Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Drake kontert Kritik an neuem Album
Der kanadische Superstar hat seinen Sound radikal verändert. Die Reaktionen darauf sind durchwachsen.
Es ist immer eine Sensation, wenn ein Superstar unverhofft die Richtung seiner Musik ändert und zu einem neuen Sound findet. Man fragt sich dann, ob das nun der Klang der Zukunft ist oder schlicht eine persönliche Befreiung, weil da jemand nicht mehr so wie immer klingen mag.
Der kanadische Rapper Drake hat soeben sein neues Album „Honestly, Nevermind“vorgelegt, nur sechs Stunden lagen zwischen Ankündigung und Veröffentlichung, und was man zu hören bekommt, ist verblüffend. Drake gehört zu den einflussreichsten Persönlichkeiten der Popkultur. Er bestimmt seit etwa zehn Jahren die Regeln des Gegenwartspop. Seine Art, Gesang und Rap zu überblenden und HipHop mit RNB und Pop zu mischen, ist stilbildend. Er visualisiert seine Musik auf eine Weise, in der bereits angelegt war, dass sie sich als
Meme über die sozialen Netzwerke ausbreitet – man denke nur an seinen Hit „Hotline Bling“.
Zuletzt meinte man jedoch Ermüdungserscheinungen zu erkennen. Das Album „Certified Lover Boy“aus dem Jahr 2021 wirkte aufgeblasen und satt, über die Distanz von 21 Stücken verlor Drake seinen Fokus. Er ist 35, geht also auf die 40 zu, das für Solo-rapper kritische Alter. Jenseits der 40 haben selbst Giganten wie Eminem kaum je Nennenswertes zustande gebracht. Einzig Jay-z ist es auf „4:44“gelungen, so etwas wie ein erwachsenes HipHop-album zu produzieren.
Drake neigte bislang nicht zum Experimentieren, umso irritierender wirkt, was er auf „Honestly, Nevermind“bietet. Es gibt nur zwei klassische Rap-songs, „Sticky“und „Jimmy Cooks“. Das ist größtenteils ein leichtes, freies, eskapistisches Album, das auf champagnerseligen House- statt auf Hip-hop-beats basiert. Jeder Track hat mehr als 100 Beats per minute, dazu singsäuselt Drake von Liebesweh und Romantik-pein, und im Gegensatz zu dem in diesem Genre verbreiteten Mackertum tritt er in seinen Geschichten zumeist als schwacher Mann und drittes Rad am Liebeswagen auf. Er nähert sich soundtechnisch seinem Kumpel The Weeknd an, und die einzige Referenz in
Drakes eigenem Werk ist vielleicht das sommerliche und sanft perlende „Passionfruit“von 2017.
Von Kanye West gab es einen derartig radikalen Wechsel im Sound, als er 2008 „808s & Heartbreak“veröffentlichte. Taylor Swift flirtete 2017 auf „Reputation“mit der Hip-hopÄsthetik, was jedoch für ihre Verhältnisse ein Flop wurde. Sie kehrte dann auf „Lover“zu ihrem Trademark-sound zurück, bevor sie 2020 Indie-pop zum Mainstream-phänomen machte.
Bleibt die Frage: Ist Drakes „Honestly, Nevermind“der Sound der Zukunft oder ein einmaliger Ausflug? Es gibt auffallend viele negative Reaktionen auf das mutige Album. Drake sah sich genötigt, Stellung zu nehmen. Seine Worte klingen wie die eines enttäuschten Visionärs, der schon mal vorausgegangen ist und eingeschnappt ist, dass keiner folgt: „Es ist okay, wenn ihr es jetzt noch nicht begreift. Wir machen das, und wir warten auf euch.“