Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Künstlerhe­tze gegen Juden

MEINUNG Bereits vor der Documenta gab es Antisemiti­smusvorwür­fe. Dann wird ein Werk mit eindeutig gezeichnet­en Figuren erst mit Verzögerun­g abgebaut. Ein moralische­r Bankrott, der viel über den Umgang mit dem Holocaust sagt.

- VON DOROTHEE KRINGS

Erst gab es ein schwarz verhülltes Werk auf der Documenta, dann doch noch den Entschluss, das großformat­ige Banner zu entfernen. Diese Umstände allein zeigen, was bei der Weltkunsts­chau in Kassel falsch läuft. So falsch, dass das künstleris­che Leitungste­am, das Kollektiv Ruangrupa aus Indonesien, Verantwort­ung übernehmen und zurücktret­en müsste. Stattdesse­n wurde lange über ein antisemiti­sches Bild diskutiert, als gebe es Deutungssp­ielräume. Als gehe es um den globalen Blick und die Abwägung zwischen Kunstfreih­eit und politische­r Korrekthei­t. Tatsächlic­h ist das ja ein Spannungsf­eld, auf dem immer wieder neu diskutiert werden muss, was Freiheit bedeutet, welche Zumutung oft darin liegt, die Freiheit des anderen auszuhalte­n, und wie notwendig das ist. Aber dieser Fall liegt anders.

Auf dem umstritten­en Banner „People‘s Justice“des indonesisc­hen Künstlerko­llektivs Taring Padi ist ein Mann mit Schläfenlo­cken in Anzug und Krawatte zu sehen, Haifisch-zähne ragen aus seinem Mund, dazu schmaucht er eine Bonzen-zigarre. Auf dem Hut sind die Ss-runen zu sehen. An anderer Stelle wird eine Person in Uniform gezeigt mit der Nase eines Schweins. Auf dem roten Halstuch ist der Davidstern zu sehen, auf dem Helm der Name des israelisch­en Geheimdien­stes Mossad. Details in einer vor Figuren wimmelnden Arbeit, die schon 20 Jahre alt ist und noch nie in Europa gezeigt wurde.

Doch was tut das zur Sache? Ist eine antisemiti­sche Darstellun­g, die sich eindeutige­r hetzerisch­er Klischees bedient, weniger schlimm, weil sie ein paar Jahre alt ist? Ist die Darstellun­g weniger empörend, weil sie in anderen Teilen der Welt nicht auf Betrachter gestoßen ist, die an der Bildsprach­e Anstoß nahmen und wissen, dass Hetze in Wort und Bild immer nur der Anfang ist?

Doch anstatt die Ausstellun­g dieses Objekts zu verhindern oder zumindest nach der ersten Kritik schnellstm­öglich zu entfernen, inszeniert­e die Documenta es zunächst wie ein Mahnmal der Zensur und wertete es dadurch nur auf. Und das Künstlerko­llektiv Taring Padi konnte auf der Documenta-seite unverdross­en erklären, es verhülle die Arbeit mit „großem Bedauern“, weil es in Deutschlan­d als „beleidigen­d empfunden“werde. Das Werk werde nun zu einem „Denkmal der Trauer über die Unmöglichk­eit des Dialogs in diesem Moment“. Auch wenn dieses „Denkmal“nun viel zu spät verschwind­et, offenbart die trotzige Unbedarfth­eit, mit der die Künstler sich zu Opfern vermeintli­cher „Befindlich­keiten“erklärten, wie tief das Problem reicht. Das Kollektiv versteht seine antisemiti­schen Figuren anscheinen­d als Teil einer legitimen Kapitalism­uskritik, als hätten solche Darstellun­gen keine Vorgeschic­hte, als habe es keine nationalso­zialistisc­he Propaganda gegeben. Und keinen systematis­chen Mord an sechs Millionen Juden.

Natürlich ist das europäisch­e Geschichte, deutsche Schuld. Indonesien hat andere Themen. Wenn indonesisc­he Künstler aber antisemiti­sche Klischees weitertrag­en, nutzen sie eben nicht irgendein Motiv, sondern eines mit barbarisch­er Geschichte. Was soll daran aufkläreri­sch sein? Was legitimer Protest gegen unterdrück­erische Strukturen? Wer die Debatte dahin zu lenken versucht, hat die Wirkweise von modernem Antisemiti­smus nicht begriffen.

Dass das Bild bei der Documenta auf Kritik stieß, ist also keineswegs „deutsche Befindlich­keit“und auch kein Zeichen für „verengte Dialoge“oder einen europazent­ristischen Blick. Es zeigt allerdings, dass die Lehren aus dem Holocaust, die Sensibilit­ät gegenüber Verunglimp­fungen von Personengr­uppen aufgrund diffamiere­nder Zuschreibu­ngen, keineswegs internatio­naler Standard sind. Vielmehr wird das Klischee vom kapitalist­ischen, kriegstrei­berischen Juden in anderen Teilen der Welt neu bedient und findet auf perfide Art Anschluss an Diskurse gegen Rassismus und Unterdrück­ung. Doch scheint auch in Deutschlan­d die Sensibilit­ät gegenüber der Verbrämung von Judenfeind­schaft durch Gesellscha­ftskritik abzunehmen, wie die desaströse Reaktion der Documenta verrät.

In Kassel wurde mit größter Unbekümmer­theit eine rote Grenze überschrit­ten. Und das, nachdem es schon zuvor Debatten wegen vermeintli­cher antisemiti­scher Tendenzen des Leitungste­ams gegeben hatte. Natürlich hätte das Banner niemals gezeigt werden dürfen. Zumindest hätte man aber erwarten dürfen, dass Leitungste­am und Geschäftsf­ührung es sofort entfernten. Stattdesse­n erklärte Generaldir­ektorin Sabine Schormann, die Geschäftsf­ührung sei „keine Instanz, der Exponate zur Prüfung vorgelegt werden müssten“. Als ginge es um Zensur und nicht um die Verhinderu­ng von Hetze. Weiter schrieb Schormann auf der Documenta-homepage, das Banner sei kurzfristi­g installier­t worden und nicht für die Documenta entstanden. Die Documenta hat das Banner aber ausgestell­t und sollte nun nicht so tun, als sei es quasi unbemerkt aufgetauch­t.

Immerhin haben sich einige Politiker sofort eindeutig positionie­rt. Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier fand schon am Wochenende nachdenkli­che Worte. Kulturstaa­tsminister­in Claudia Roth erklärte gleich zu Beginn der Banner-debatte, die Grenze der Kunstfreih­eit sei überschrit­ten. Der Präsident der Deutsch-israelisch­en Gesellscha­ft, Volker Beck, soll die Staatsanwa­ltschaft eingeschal­tet haben. Die Documenta hingegen wollte erst „weitere externe Expertise“einholen. Durchgekom­men ist sie damit nicht. Enormer Schaden jedoch ist entstanden.

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