Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Künstlerhetze gegen Juden
MEINUNG Bereits vor der Documenta gab es Antisemitismusvorwürfe. Dann wird ein Werk mit eindeutig gezeichneten Figuren erst mit Verzögerung abgebaut. Ein moralischer Bankrott, der viel über den Umgang mit dem Holocaust sagt.
Erst gab es ein schwarz verhülltes Werk auf der Documenta, dann doch noch den Entschluss, das großformatige Banner zu entfernen. Diese Umstände allein zeigen, was bei der Weltkunstschau in Kassel falsch läuft. So falsch, dass das künstlerische Leitungsteam, das Kollektiv Ruangrupa aus Indonesien, Verantwortung übernehmen und zurücktreten müsste. Stattdessen wurde lange über ein antisemitisches Bild diskutiert, als gebe es Deutungsspielräume. Als gehe es um den globalen Blick und die Abwägung zwischen Kunstfreiheit und politischer Korrektheit. Tatsächlich ist das ja ein Spannungsfeld, auf dem immer wieder neu diskutiert werden muss, was Freiheit bedeutet, welche Zumutung oft darin liegt, die Freiheit des anderen auszuhalten, und wie notwendig das ist. Aber dieser Fall liegt anders.
Auf dem umstrittenen Banner „People‘s Justice“des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi ist ein Mann mit Schläfenlocken in Anzug und Krawatte zu sehen, Haifisch-zähne ragen aus seinem Mund, dazu schmaucht er eine Bonzen-zigarre. Auf dem Hut sind die Ss-runen zu sehen. An anderer Stelle wird eine Person in Uniform gezeigt mit der Nase eines Schweins. Auf dem roten Halstuch ist der Davidstern zu sehen, auf dem Helm der Name des israelischen Geheimdienstes Mossad. Details in einer vor Figuren wimmelnden Arbeit, die schon 20 Jahre alt ist und noch nie in Europa gezeigt wurde.
Doch was tut das zur Sache? Ist eine antisemitische Darstellung, die sich eindeutiger hetzerischer Klischees bedient, weniger schlimm, weil sie ein paar Jahre alt ist? Ist die Darstellung weniger empörend, weil sie in anderen Teilen der Welt nicht auf Betrachter gestoßen ist, die an der Bildsprache Anstoß nahmen und wissen, dass Hetze in Wort und Bild immer nur der Anfang ist?
Doch anstatt die Ausstellung dieses Objekts zu verhindern oder zumindest nach der ersten Kritik schnellstmöglich zu entfernen, inszenierte die Documenta es zunächst wie ein Mahnmal der Zensur und wertete es dadurch nur auf. Und das Künstlerkollektiv Taring Padi konnte auf der Documenta-seite unverdrossen erklären, es verhülle die Arbeit mit „großem Bedauern“, weil es in Deutschland als „beleidigend empfunden“werde. Das Werk werde nun zu einem „Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment“. Auch wenn dieses „Denkmal“nun viel zu spät verschwindet, offenbart die trotzige Unbedarftheit, mit der die Künstler sich zu Opfern vermeintlicher „Befindlichkeiten“erklärten, wie tief das Problem reicht. Das Kollektiv versteht seine antisemitischen Figuren anscheinend als Teil einer legitimen Kapitalismuskritik, als hätten solche Darstellungen keine Vorgeschichte, als habe es keine nationalsozialistische Propaganda gegeben. Und keinen systematischen Mord an sechs Millionen Juden.
Natürlich ist das europäische Geschichte, deutsche Schuld. Indonesien hat andere Themen. Wenn indonesische Künstler aber antisemitische Klischees weitertragen, nutzen sie eben nicht irgendein Motiv, sondern eines mit barbarischer Geschichte. Was soll daran aufklärerisch sein? Was legitimer Protest gegen unterdrückerische Strukturen? Wer die Debatte dahin zu lenken versucht, hat die Wirkweise von modernem Antisemitismus nicht begriffen.
Dass das Bild bei der Documenta auf Kritik stieß, ist also keineswegs „deutsche Befindlichkeit“und auch kein Zeichen für „verengte Dialoge“oder einen europazentristischen Blick. Es zeigt allerdings, dass die Lehren aus dem Holocaust, die Sensibilität gegenüber Verunglimpfungen von Personengruppen aufgrund diffamierender Zuschreibungen, keineswegs internationaler Standard sind. Vielmehr wird das Klischee vom kapitalistischen, kriegstreiberischen Juden in anderen Teilen der Welt neu bedient und findet auf perfide Art Anschluss an Diskurse gegen Rassismus und Unterdrückung. Doch scheint auch in Deutschland die Sensibilität gegenüber der Verbrämung von Judenfeindschaft durch Gesellschaftskritik abzunehmen, wie die desaströse Reaktion der Documenta verrät.
In Kassel wurde mit größter Unbekümmertheit eine rote Grenze überschritten. Und das, nachdem es schon zuvor Debatten wegen vermeintlicher antisemitischer Tendenzen des Leitungsteams gegeben hatte. Natürlich hätte das Banner niemals gezeigt werden dürfen. Zumindest hätte man aber erwarten dürfen, dass Leitungsteam und Geschäftsführung es sofort entfernten. Stattdessen erklärte Generaldirektorin Sabine Schormann, die Geschäftsführung sei „keine Instanz, der Exponate zur Prüfung vorgelegt werden müssten“. Als ginge es um Zensur und nicht um die Verhinderung von Hetze. Weiter schrieb Schormann auf der Documenta-homepage, das Banner sei kurzfristig installiert worden und nicht für die Documenta entstanden. Die Documenta hat das Banner aber ausgestellt und sollte nun nicht so tun, als sei es quasi unbemerkt aufgetaucht.
Immerhin haben sich einige Politiker sofort eindeutig positioniert. Bundespräsident Frank-walter Steinmeier fand schon am Wochenende nachdenkliche Worte. Kulturstaatsministerin Claudia Roth erklärte gleich zu Beginn der Banner-debatte, die Grenze der Kunstfreiheit sei überschritten. Der Präsident der Deutsch-israelischen Gesellschaft, Volker Beck, soll die Staatsanwaltschaft eingeschaltet haben. Die Documenta hingegen wollte erst „weitere externe Expertise“einholen. Durchgekommen ist sie damit nicht. Enormer Schaden jedoch ist entstanden.