Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Medien und die Demokratie
Auch Stimmen, die vom Mainstream abweichen, müssen zu Wort kommen.
Eine Demokratie unterscheidet sich von undemokratischen Systemen durch die Möglichkeit aller Bürger zur aktiven Beteiligung an der Meinungs- und Willensbildung. In unserer repräsentativen Demokratie bedeutet das nicht die direkte Beteiligung an der Regierung oder dem Bundestag. Die politische Meinungsbildung entwickelt sich jedoch zu einem beträchtlichen Teil im Austausch zwischen Politikerinnen, Experten, Bürgerinnen und Journalisten in den öffentlichen Medien. Sie haben den öffentlichen Auftrag, auch vom Mainstream abweichende Stimmen angemessen zu Worte kommen zu lassen. Das gilt auch für Medienkritik – theoretisch. 2021 hatte die Künstlerinitiative „Alles dichtmachen“es sich erlaubt, die eher regierungsnahe Berichterstattung zu den Corona-maßnahmen durch den Kakao zu ziehen. Das war für nicht wenige Journalisten ein offenkundiger Ausdruck von Menschenverachtung übelster Art. Ein Wdr-rundfunkrat forderte, Jan Josef Liefers keine Rolle mehr zu geben. Man erklärte ihm, dass es in Deutschland Kunst- und Meinungsfreiheit gibt. Er konnte es kaum glauben.
Wie den Künstlern von „Alles dichtmachen“erging es vor Kurzem Psychiaterinnen und Kinderärzten, die in einem Gastbeitrag in der „Welt“Beiträge zu Fragen des Geschlechtswechsels in öffentlich-rechtlichen Medien kritisierten: Die Journalisten hätten nicht so gründlich recherchiert, wie es ihre Pflicht wäre. Zu unkritisch würden Forderungen von Transgenderorganisationen übernommen, medizinische Probleme kämen zu kurz. Auch Kindersendungen seien betroffen. Diesmal meldete sich der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer SE persönlich zu Wort und verdammte den Beitrag als unwissenschaftlich und „unterirdisch“. Der Springer-chef forderte kein Berufsverbot. Wenn man der renommierten Bild-journalistin Judith Sevinç Basad glauben darf, regelte er die Sache intern: Den Springer-journalisten wurde erklärt, so Basad, sie dürften nur negativ darüber berichten. Darauf kündigte die BildJournalistin. Kein Glanzstück an innerer Pressefreiheit.
Unsere Autorin ist Philosophie-professorin an der Ruhr-universität Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Infektionsbiologin Gabriele Pradel ab.