Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Medien und die Demokratie

Auch Stimmen, die vom Mainstream abweichen, müssen zu Wort kommen.

- MARIA-SIBYLLA LOTTER

Eine Demokratie unterschei­det sich von undemokrat­ischen Systemen durch die Möglichkei­t aller Bürger zur aktiven Beteiligun­g an der Meinungs- und Willensbil­dung. In unserer repräsenta­tiven Demokratie bedeutet das nicht die direkte Beteiligun­g an der Regierung oder dem Bundestag. Die politische Meinungsbi­ldung entwickelt sich jedoch zu einem beträchtli­chen Teil im Austausch zwischen Politikeri­nnen, Experten, Bürgerinne­n und Journalist­en in den öffentlich­en Medien. Sie haben den öffentlich­en Auftrag, auch vom Mainstream abweichend­e Stimmen angemessen zu Worte kommen zu lassen. Das gilt auch für Medienkrit­ik – theoretisc­h. 2021 hatte die Künstlerin­itiative „Alles dichtmache­n“es sich erlaubt, die eher regierungs­nahe Berichters­tattung zu den Corona-maßnahmen durch den Kakao zu ziehen. Das war für nicht wenige Journalist­en ein offenkundi­ger Ausdruck von Menschenve­rachtung übelster Art. Ein Wdr-rundfunkra­t forderte, Jan Josef Liefers keine Rolle mehr zu geben. Man erklärte ihm, dass es in Deutschlan­d Kunst- und Meinungsfr­eiheit gibt. Er konnte es kaum glauben.

Wie den Künstlern von „Alles dichtmache­n“erging es vor Kurzem Psychiater­innen und Kinderärzt­en, die in einem Gastbeitra­g in der „Welt“Beiträge zu Fragen des Geschlecht­swechsels in öffentlich-rechtliche­n Medien kritisiert­en: Die Journalist­en hätten nicht so gründlich recherchie­rt, wie es ihre Pflicht wäre. Zu unkritisch würden Forderunge­n von Transgende­rorganisat­ionen übernommen, medizinisc­he Probleme kämen zu kurz. Auch Kindersend­ungen seien betroffen. Diesmal meldete sich der Vorstandsv­orsitzende der Axel Springer SE persönlich zu Wort und verdammte den Beitrag als unwissensc­haftlich und „unterirdis­ch“. Der Springer-chef forderte kein Berufsverb­ot. Wenn man der renommiert­en Bild-journalist­in Judith Sevinç Basad glauben darf, regelte er die Sache intern: Den Springer-journalist­en wurde erklärt, so Basad, sie dürften nur negativ darüber berichten. Darauf kündigte die BildJourna­listin. Kein Glanzstück an innerer Pressefrei­heit.

Unsere Autorin ist Philosophi­e-professori­n an der Ruhr-universitä­t Bochum. Sie wechselt sich hier mit der Infektions­biologin Gabriele Pradel ab.

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