Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Saudi-arabien erschwert Reise nach Mekka
Ein neues Anmeldesystem verhindert private Buchungen muslimischer Pilger auch aus Deutschland.
Eine Million Pilger aus aller Welt wollen nach zweijähriger Pandemie-pause am diesjährigen Hadsch teilnehmen, aber Muslime aus Deutschland und anderen westlichen Ländern könnten sich umsonst gefreut haben. Kurz vor Beginn des Hadsch am 7. Juli hat Saudi-arabien jetzt ein neues Anmeldesystem eingeführt, das vielen Muslimen aus Europa und Amerika den Weg nach Mekka erschwert. Vom deutschen Islamrat kommt Kritik.
Der Hadsch ist neben dem Glaubensbekenntnis, den fünf täglichen Gebeten, dem Fasten im Ramadan und der Almosengabe eine der fünf Grundpflichten des Islam. Jeder Gläubige sollte einmal im Leben die Pilgerreise machen, wenn er körperlich und finanziell dazu in der Lage ist. Vor der Pandemie besuchten rund 2,5 Millionen Menschen während der Hadsch-saison die heiligen Stätten – die größte Menschenansammlung der Welt. Um Chaos zu verhindern, weist Saudi-arabien jedem Land eine Höchstzahl von Pilgern zu.
Wegen der Pandemie reduzierte Saudi-arabien die Zahl der Pilger im Jahr 2020 auf rund 1000 Einheimische. Im vergangenen Jahr ließen die Saudis 60.000 saudische und in Saudi-arabien lebende ausländische Pilger zu. In diesem Jahr gelten zwar noch Einschränkungen: Wallfahrer müssen jünger als 65 Jahre und negativ auf das Coronavirus getestet sein. Doch mit der Zulassung von Pilgern aus dem Ausland und der Steigerung auf eine Million Menschen erreicht der diesjährige Hadsch ab dem 7. Juli immerhin wieder fast die Hälfte der Zahlen aus den Zeiten vor Corona.
Allerdings gibt es für die mehr als fünf Millionen Muslime in Deutschland und andere Muslime im Westen ein Problem. Ohne Vorankündigung führte Saudi-arabien nur wenige Wochen vor Beginn des Hadsch ein neues Anmeldeverfahren für Pilger aus Europa, den USA, Kanada und Australien ein. Statt ihre Pilgerreise wie bisher bei Reiseveranstaltern zu buchen, müssen sich Wallfahrer jetzt auf einer Website des saudischen Hadsch-ministeriums anmelden und warten, ob sie per Verlosung einen Pilgerplatz bekommen.
Auch ein Visum für den Hadsch bekommen Muslime aus Europa, Amerika und Australien nur noch über die saudische Internetseite (www.motawif.com.sa). Die Preise für den knapp zweiwöchigen Aufenthalt in Saudi-arabien liegen je nach gewünschtem Komfort zwischen 5100 Euro und 6500 Euro pro Person, inklusive Flug mit Saudia Airlines.
Das neue zentralisierte System soll die Pilger nach saudischen Angaben vor Betrügern schützen. Vorerst gibt es jedoch vor allem Verwirrung und Ärger. Wer vor Einführung des neuen Systems bereits über ein Reisebüro eine Wallfahrt gebucht hatte, hat Pech gehabt und muss stornieren: Die Betroffenen werden auf der Website aufgefordert, sich ihr Geld von den Agenturen zurückzuholen.
In Deutschland kommt die Neuregelung nicht gut an. „Die wollen ein Geschäft machen“, sagt ein Reiseveranstalter, der sich auf den Hadsch spezialisiert hat, über die saudischen Behörden; „Die wollen ihre Hotels vollmachen.“
Auch für die Kunden sei die Neuerung nicht gut, sagt ein Reiseunternehmer aus Nordrhein-westfalen unserer Redaktion. Sein Reisebüro bot bisher Hadsch-pakete an, zu denen neben der Reise selbst auch Vorbereitungskurse für die Kunden gehörten. Zudem schickte er eigene Experten und Ärzte mit auf die Reise, um seine Kunden zu betreuen. Was die Pilger unter dem neuen System erwarte, sei offen: „Wir wissen nicht, was die vorbereitet haben.“
Wegen der kurzfristigen Einführung des neuen Anmeldeverfahrens sind kurz vor dem Beginn des Hadsch noch viele Fragen offen. Das neue System für die Muslime aus dem Westen startete Anfang Juni – da kamen in Saudi-arabien bereits die ersten Pilger aus Indonesien an.
Murat Gümüs, Generalsekretär des deutschen Islamrates, sagte unserer Redaktion, europäische Muslime hätten über die Jahre „eigenständig Initiativen für ihre religiösen Bedürfnisse“beim Hadsch entwickelt. Dazu gehöre die Betreuung durch Reiseveranstalter, die sich auf die Pilgerreisen spezialisiert hätten. „All das soll nun entfallen“, kritisierte Gümüs: „Die aktuelle saudi-arabische Alternative spricht die Bedürfnisse in der Form, wie sie die europäischen Hadsch-organisatoren bislang gewährleistet haben, nicht an.“Saudi-arabien solle das neue System überdenken.
Die saudische Botschaft in Berlin ließ eine Bitte um Stellungnahme unbeantwortet.