Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Schadstoffe machen Pollen aggressiver“
Die Expertin vom Deutschen Allergie- und Asthmabund erklärt, wie sich Betroffene in der Heuschnupfenzeit helfen können, was bei Kindern zu beachten ist und für wen eine Immuntherapie sinnvoll ist.
Frau Lämmel, man hat derzeit den Eindruck, im eigenen Umfeld hat nahezu jeder mit Heuschnupfen zu kämpfen. Hat die Zahl Betroffener tatsächlich in diesem Jahr zugenommen?
Ja es macht den Anschein. Auch bei uns treten gehäuft Anfragen zum Thema Pollenallergie und speziell Gräserpollen auf. Die Hauptblütezeit der Gräser in Deutschland ist von Mai bis Ende Juli. Im Juni werden dabei meist die höchsten Pollenbelastungen gemessen.
Die Allergiker werden aber nicht nur immer mehr, es scheint sie derzeit auch stärker zu erwischen als in früheren Jahren. Gibt es dafür eine biologische Erklärung?
Durch die aktuell höhere Pollenbelastung in der Luft entwickeln nun auch Menschen Allergien, die zuvor davon verschont geblieben sind. Nicht selten klagen nun etwa Menschen ab 50 über neu auftretende Allergien. Ebenfalls könnte der Klimawandel ein Faktor der erhöhten Pollenbelastung und damit verbunden der steigenden Zahl der Pollenallergiker sein. Aber der Klimawandel wirkt sich nicht nur auf Wachstum und den stärkeren Pollenflug aus. Auch Schadstoffe in der Luft wirken sich auf die Pollenbelastung aus. Sie beschädigen die Pollen und machen sie dadurch aggressiver. Treffen diese nun auf gereizte Schleimhäute, ist der Effekt umso größer.
Sind wir nach zwei Pandemiejahren mit Maske im Gesicht empfindlicher geworden gegen Keime und Pollen in der Luft?
LÄMMEL Empfindlicher würde ich nicht unbedingt sagen, aber durch die Maske wurden die Pollen zurückgehalten, sodass es nicht oder nur gering zur Pollenbelastung in den Atemwegen kam.
Die meisten Allergiker helfen sich in der akuten Phase mit Sprays oder Tabletten. Was kann man noch tun, um Symptome zu lindern?
Es gibt viele unterstützende Maßnahmen zur Allergievermeidung. Dazu gehören etwa die Beachtung der Pollenflugvorhersage, ein Staubsauger mit Hepa-filter-system, Pollenschutzgitter vor den Schlafzimmerfenstern und der regelmäßige Wechsel der Pollenfilter im Auto. Auch sollten Betroffene die Haare vor dem Zubettgehen waschen und ihre Kleider nicht im Schlafzimmer ausziehen. Eine tägliche Nasendusche kann ebenfalls Pollenkontakt vermindern und zur Symptomlinderung beitragen. Sonnenbrillen können sehr empfindliche Bindehäute vor übermäßigem Lichteinfall schützen. Wichtig ist außerdem ein Rauchverzicht, da die Allergene durch die ständige Reizung der Atemwege noch viel besser an den Schleimhäuten angreifen können und auf Dauer chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen wie COPD entstehen können.
Was ist mit Kindern? Muss man hier besondere Dinge beachten für die Behandlung?
Speziell bei Kindern gilt es, frühzeitig mit der Therapie anzufangen. Der Arzt wählt hier die entsprechenden Medikamente aus. Wichtig ist, dass der Zeitpunkt der Behandlung nicht unnötig rausgeschoben wird, weil das ungute Gefühl in Bezug auf eine Medikamentengabe in dem Alter oft im Weg steht. Auch für Kinder gilt: Aus einem eher „harmlosen“Heuschnupfen kann sich in kurzer Zeit ein allergisches Asthma entwickeln. Dies gilt zwar für jedes Alter, aber speziell bei den Kleinen ist die Erfolgsquote bei der ursächlichen Behandlung durch die Hyposensibilisierung besonders vielversprechend.
Manche Menschen leiden ja den ganzen Sommer über an Allergien gegen Pollen aller Art. Ist es schlimm, wenn man über einen so langen Zeitraum Mittel wie Nasensprays oder Allergietabletten etc nutzt?
LÄMMEL Der Vorteil der heute eingesetzten modernen Antihistaminika ist, dass sie, im Gegensatz zu den früher verwendeten Formen, also Antihistaminika der ersten Generation, kaum noch oder gar keine Müdigkeit mehr hervorrufen und zum Teil mit weniger Wirkstoff die gleiche Wirkung erzielen. Es gilt also abzuwägen, was den Körper mehr belastet: eine dauerhafte Entzündung durch die Allergie oder die Nebenwirkung eines Medikamentes. Wenn frühzeitig mit entsprechender Medikamentengabe begonnen wird, setzt sich die Entzündung erst gar nicht fest.
Manche Menschen machen eine Immuntherapie, also Hyposensibilisierung, in der Hoffnung, den Heuschnupfen dann für immer los zu sein. Wie sind hier die medizinischen Erkenntnisse?
Diese Therapie wird für Kinder ab dem Schulalter empfohlen. Eine generelle Altersbeschränkung besteht nicht mehr. Sie ist besonders gut wirksam, wenn sie schon frühzeitig nach der Allergieentstehung eingesetzt werden kann. Langzeitdaten bestätigen die gute Wirksamkeit, die Reduzierung von Neusensibilisierungen und den Schutz vor der Entstehung eines allergischen Asthma bronchiale.
Gibt es noch andere Möglichkeiten, eine Allergie wie Heuschnupfen nachhaltig und an der Ursache zu bekämpfen?
Leider nein, die einzige aktuell sinnvolle ursächliche Therapie ist die Hyposensibilisierung.
Befördert eine Allergie wie Heuschnupfen auch eine Corona-infektion?
LÄMMEL Nein, hierzu gibt es keinerlei Hinweise. Allergiker sind nicht gefährdeter sich anzustecken als Menschen ohne Allergien. Dies gilt für alle Formen von Allergien: allergische Rhinitis oder Rhinokonjunktivitis, also Heuschnupfen, allergisches Asthma, Lebensmittelallergien, atopisches Ekzem beziehungsweise Neurodermitis.