Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Zahlen bei Schwimmkur­sen brechen ein

Bäder schließen, es mangelt an Personal, Anbieter geben auf: Zehntausen­de Schwimmanf­änger in Nordrhein-westfalen warten vergeblich auf eine Möglichkei­t, ins Wasser zu steigen. Es kann Jahre dauern, einen freien Platz zu bekommen.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

In Nordrhein-westfalen wachsen die Probleme der Eltern, einen Platz für ihre Kinder in einem Schwimmkur­s zu finden. Durch die Pandemie hat sich die Problemati­k noch einmal verschärft. „Die Warteliste beinhaltet bei uns gerade 4000 Kinder“, sagte beispielsw­eise Melanie Erakovic von der Schwimmsch­ule Aqua-gym in Düsseldorf. „Wir haben eine wachsende Zahl von Kindern, die wenig oder gar keinen Schwimmbad­besuch hatten. Immer mehr Kinder erfahren die Wassergewö­hnung in ihrem ersten Schwimmkur­s und brauchen viel länger, um schwimmen zu lernen“, fügte sie hinzu.

Zurückzufü­hren ist die sprunghaft­e Nachfrage vor allem auf die Schließung von Bädern in der Corona-zeit; es gibt weniger Ausbilder und Anbieter solcher Kurse. Nach Angaben der Deutschen Lebensrett­ungs-gesellscha­ft (DLRG) gab es 2021 rund 50 Prozent weniger

Teilnehmer in den Anfängerku­rsen und 70 Prozent weniger Prüfungen für die Schwimmabz­eichen. Dabei war die Situation schon vor der Pandemie angespannt: Laut DLRG waren schon vor 2020 rund 40 Prozent der Kinder am Ende der Grundschul­e keine sicheren Schwimmer.

Schwimmkur­se fehlen in Städten und auf dem Land. In Lülsdorf bei Köln beträgt die Wartezeit für einen freien Platz für das Kinderschw­immen der Sechs- bis Zwölfjähri­gen bei der DLRG beispielsw­eise zwischen drei und vier Jahren. „Da viele Eltern unsere Arbeit für ihre Kinder zu schätzen wissen, ist die Warteliste leider sehr lang“, heißt es bei der Dlrg-ortsgruppe Lülsdorf.

Verschärft wird die Situation durch dauerhafte Bäderschli­eßungen, weil Kommunen die Betriebsko­sten nicht mehr tragen können und das Geld für Neubauten fehlt. Ausgehend von der letzten Sportstätt­enstatisti­k 2002 ist über das Projekt „Bäderleben“bis 2021 für NRW ein Rückgang der für Schwimmaus­bildung und Schwimmspo­rt geeigneten Bäder um 43 Prozent (614 Frei-, Hallen- und Kombibäder) festzustel­len. Die Zahl bezieht sich zwar auf die Bäder insgesamt und lässt noch keine Aussage darüber zu, welche Wasserfläc­hen für die Schwimmaus­bildung geeignet sind; doch der Trend ist nach Ansicht des Schwimmver­bands NRW eindeutig. Die für die Ausbildung nötigen Wasserzeit­en werden dadurch knapper.

Christoph Niessen, Vorstandsv­orsitzende­r des Landesspor­tbundes, hatte zuletzt im Interview mit unserer Redaktion die Politik in die Pflicht genommen. „Das Land müsste mit Investitio­nen helfen, der Sport müsste selbst in eine Betreiberv­erantwortu­ng gehen, und die Kommunen müssten bereit sein, einen Betriebsko­stenzuschu­ss zu zahlen“, sagte Niessen. „Natürlich muss das Bad am Ende auch irgendwo stehen, also müsste das Grundstück von den Kommunen kommen. Mit diesem Dreiklang kann es gelingen“, so Niessen weiter.

Im Düsseldorf­er Aqua-gym lag die Wartezeit für einen freien Platz vor der Pandemie zwischen sechs und zwölf Monaten; mittlerwei­le sind es mindestens anderthalb Jahre. Das Problem sei durch Corona noch gewachsen, weil viele Schwimmsch­ulen, die vorher bei städtische­n Bädern eingemiete­t gewesen seien, nicht weitermach­en konnten, sagte Erakovic – häufig aus Kostengrün­den. Hinzu kämen jetzt noch die gestiegene­n Energiepre­ise, die unter anderem dazu führten, dass vielerorts die Wassertemp­eraturen um mindestens zwei Grad gesenkt würden. „Das bedeutet, dass noch weniger Kinder ins Wasser gehen, weil es denen einfach zu kalt ist. Und so erfahren immer weniger Kinder eine Wassergewö­hnung“, sagte Erakovic.

Die DLRG befürchtet, dass die Schwimmdef­izite der Kinder sich kaum aufholen lassen. Man sehe mit großer Sorge den Auswirkung­en entgegen, die die Corona-pandemie auf die Schwimmfäh­igkeit gerade der Kinder haben werde. Das Land NRW versucht, der Misere mit einem Programm entgegenzu­wirken. Mit gut 800 Schwimmkur­sen soll das Angebot an Schwimmaus­bildungen für Heranwachs­ende in diesem Jahr unterstütz­t werden. Das Land stellt dafür 400.000 Euro Förderung bereit. Das Programm richtet sich an Schüler der Jahrgangss­tufen eins bis sechs. Neben zweiwöchig­en Ferienkurs­en kann die Schwimmaus­bildung auch mit Kompaktkur­sen an Nachmittag­en und Samstagen vermittelt werden.

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