Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Zahlen bei Schwimmkursen brechen ein
Bäder schließen, es mangelt an Personal, Anbieter geben auf: Zehntausende Schwimmanfänger in Nordrhein-westfalen warten vergeblich auf eine Möglichkeit, ins Wasser zu steigen. Es kann Jahre dauern, einen freien Platz zu bekommen.
In Nordrhein-westfalen wachsen die Probleme der Eltern, einen Platz für ihre Kinder in einem Schwimmkurs zu finden. Durch die Pandemie hat sich die Problematik noch einmal verschärft. „Die Warteliste beinhaltet bei uns gerade 4000 Kinder“, sagte beispielsweise Melanie Erakovic von der Schwimmschule Aqua-gym in Düsseldorf. „Wir haben eine wachsende Zahl von Kindern, die wenig oder gar keinen Schwimmbadbesuch hatten. Immer mehr Kinder erfahren die Wassergewöhnung in ihrem ersten Schwimmkurs und brauchen viel länger, um schwimmen zu lernen“, fügte sie hinzu.
Zurückzuführen ist die sprunghafte Nachfrage vor allem auf die Schließung von Bädern in der Corona-zeit; es gibt weniger Ausbilder und Anbieter solcher Kurse. Nach Angaben der Deutschen Lebensrettungs-gesellschaft (DLRG) gab es 2021 rund 50 Prozent weniger
Teilnehmer in den Anfängerkursen und 70 Prozent weniger Prüfungen für die Schwimmabzeichen. Dabei war die Situation schon vor der Pandemie angespannt: Laut DLRG waren schon vor 2020 rund 40 Prozent der Kinder am Ende der Grundschule keine sicheren Schwimmer.
Schwimmkurse fehlen in Städten und auf dem Land. In Lülsdorf bei Köln beträgt die Wartezeit für einen freien Platz für das Kinderschwimmen der Sechs- bis Zwölfjährigen bei der DLRG beispielsweise zwischen drei und vier Jahren. „Da viele Eltern unsere Arbeit für ihre Kinder zu schätzen wissen, ist die Warteliste leider sehr lang“, heißt es bei der Dlrg-ortsgruppe Lülsdorf.
Verschärft wird die Situation durch dauerhafte Bäderschließungen, weil Kommunen die Betriebskosten nicht mehr tragen können und das Geld für Neubauten fehlt. Ausgehend von der letzten Sportstättenstatistik 2002 ist über das Projekt „Bäderleben“bis 2021 für NRW ein Rückgang der für Schwimmausbildung und Schwimmsport geeigneten Bäder um 43 Prozent (614 Frei-, Hallen- und Kombibäder) festzustellen. Die Zahl bezieht sich zwar auf die Bäder insgesamt und lässt noch keine Aussage darüber zu, welche Wasserflächen für die Schwimmausbildung geeignet sind; doch der Trend ist nach Ansicht des Schwimmverbands NRW eindeutig. Die für die Ausbildung nötigen Wasserzeiten werden dadurch knapper.
Christoph Niessen, Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes, hatte zuletzt im Interview mit unserer Redaktion die Politik in die Pflicht genommen. „Das Land müsste mit Investitionen helfen, der Sport müsste selbst in eine Betreiberverantwortung gehen, und die Kommunen müssten bereit sein, einen Betriebskostenzuschuss zu zahlen“, sagte Niessen. „Natürlich muss das Bad am Ende auch irgendwo stehen, also müsste das Grundstück von den Kommunen kommen. Mit diesem Dreiklang kann es gelingen“, so Niessen weiter.
Im Düsseldorfer Aqua-gym lag die Wartezeit für einen freien Platz vor der Pandemie zwischen sechs und zwölf Monaten; mittlerweile sind es mindestens anderthalb Jahre. Das Problem sei durch Corona noch gewachsen, weil viele Schwimmschulen, die vorher bei städtischen Bädern eingemietet gewesen seien, nicht weitermachen konnten, sagte Erakovic – häufig aus Kostengründen. Hinzu kämen jetzt noch die gestiegenen Energiepreise, die unter anderem dazu führten, dass vielerorts die Wassertemperaturen um mindestens zwei Grad gesenkt würden. „Das bedeutet, dass noch weniger Kinder ins Wasser gehen, weil es denen einfach zu kalt ist. Und so erfahren immer weniger Kinder eine Wassergewöhnung“, sagte Erakovic.
Die DLRG befürchtet, dass die Schwimmdefizite der Kinder sich kaum aufholen lassen. Man sehe mit großer Sorge den Auswirkungen entgegen, die die Corona-pandemie auf die Schwimmfähigkeit gerade der Kinder haben werde. Das Land NRW versucht, der Misere mit einem Programm entgegenzuwirken. Mit gut 800 Schwimmkursen soll das Angebot an Schwimmausbildungen für Heranwachsende in diesem Jahr unterstützt werden. Das Land stellt dafür 400.000 Euro Förderung bereit. Das Programm richtet sich an Schüler der Jahrgangsstufen eins bis sechs. Neben zweiwöchigen Ferienkursen kann die Schwimmausbildung auch mit Kompaktkursen an Nachmittagen und Samstagen vermittelt werden.