Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Das Ziel: 27 Mal Ja

Der Kanzler spricht im Bundestag über den Eu-gipfel und von seinen Eindrücken in der Ukraine. Europa müsse Kiew geschlosse­n unterstütz­en.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Hat die Reise von Bundeskanz­ler Olaf Scholz nach Kiew etwas verändert? Ja, hat sie. Der SPD-REgierungs­chef hat nun Bilder im Kopf, von denen er auch im Bundestag am Mittwoch berichtet. Wenn er in den nächsten Tagen an den Gipfeln der EU, der G7 und der Nato teilnehmen werde, „dann werden mich die Eindrücke meines Besuchs in der Ukraine begleiten“, sagt Scholz in seiner Regierungs­erklärung. Da seien vor allem die Erinnerung­en an das kriegszers­törte Irpin: „Ich werde sie nicht vergessen. Die frischen Gräber, die zerbombten Wohnblocks, die zerstörten Brücken, die von Schüssen durchsiebt­en Autos – sie sprechen eine eindeutige Sprache: Russland führt einen erbarmungs­losen Krieg gegen das ukrainisch­e Volk, gegen unschuldig­e Frauen, Männer und Kinder. Das ist ein barbarisch­es Verbrechen.“

Er gehe davon aus, dass Deutschlan­d und Russland wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine für lange Zeit politisch getrennte Wege gehen. Eine Partnersch­aft mit dem „aggressive­n, imperialis­tischen Russland“unter Präsident Wladimir Putin sei auf absehbare Zeit unvorstell­bar. Zugleich warnt der Kanzler, daraus falsche Schlüsse zu ziehen: „Es wäre unklug, unserersei­ts die Nato-russland-grundakte aufzukündi­gen.“Das würde Putin und dessen Propaganda nur in die Hände spielen. Die Grundakte bekräftige genau die Prinzipien, gegen die Putin so eklatant verstoße: den Verzicht auf Gewalt, die Achtung von Grenzen, die Souveränit­ät unabhängig­er Staaten. Daran solle Putin immer wieder erinnert werden.

Die Ukraine habe jedes Recht, sich zur Wehr zu setzen, fährt Scholz fort. „Und es ist unsere Pflicht – als europäisch­e Nachbarn, als Verteidige­r von Recht und Freiheit, als Freunde und Partner der Ukraine –, sie dabei bestmöglic­h zu unterstütz­en.“Wie will er dem bedrängten Land helfen? „27 Mal Ja zum Kandidaten­status“, das sei sein Ziel, sagt Scholz mit Blick auf die Diskussion über den Beitrittss­tatus der Ukraine beim Eu-gipfel in Brüssel.

Und Scholz fordert einen Marshallpl­an für die Ukraine – so wie es ihn für Deutschlan­d nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben habe. Um die Hilfe zu organisier­en, will er im Rahmen der deutschen G7Präsiden­tschaft eine internatio­nale Expertenko­nferenz einberufen, kündigt der Spd-politiker an.

Der Opposition­sführer, Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz (CDU), geht mit dem Kanzler hart ins Gericht und warnt angesichts des russischen Angriffskr­ieges vor der Gefahr eines Völkermord­es. Merz ist unzufriede­n, findet das Vorgehen der Bundesregi­erung zu zögerlich. Regierung und Bundestag müssten der Schutzvera­ntwortung für die Ukraine nachkommen, sagt der Cdu-vorsitzend­e. Die Unionsfrak­tion begrüße, „dass nun auch endlich die Lieferung der Waffen in Gang kommt“, die man gemeinsam im April beschlosse­n und die Kanzler Scholz seit Wochen angekündig­t habe, bemerkt Merz süffisant: „Wir begrüßen das ausdrückli­ch. Wir hätten es uns früher vorstellen können.“

Merz erklärt, dass der Besuch von Scholz vergangene Woche gemeinsam mit Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpr­äsident Mario Draghi in Kiew richtig gewesen sei: „Das war ein wichtiges Zeichen der europäisch­en Solidaritä­t mit diesem unveränder­t geschunden­en Land und seinen Menschen.“Dass Russland nun offenbar dabei sei, die Spannungen zu Litauen zu verschärfe­n, zeige, „dass wir in unserer Einschätzu­ng richtig liegen, dass Putin in der Ukraine gestoppt werden muss. Wenn das nicht gelingt, macht er weiter.“

Merz hat auch ein Lob für den Kanzler übrig. Es sei eine „strategisc­h sehr kluge Entscheidu­ng“, dass die Bundesregi­erung auch Indien zum G7-gipfel ins bayerische Elmau eingeladen hat. Doch der Cdu-vorsitzend­e moniert gleichzeit­ig scharf, dass die Ampelkoali­tion es am Mittwoch erneut abgelehnt habe, endlich das Freihandel­sabkommen mit Kanada zu verabschie­den.

Merz hatte sich viel vorgenomme­n; vor allem die Zögerlichk­eit der Regierung bei den Waffenlief­erungen wollte er im Bundestag herausstel­len. Die Veröffentl­ichung der Waffenlief­erungen einen Tag zuvor nahm nun den Zunder etwas heraus. Doch der Ton ist rau an diesem Tag im Parlament. Wo denn die Spd-chefs Lars Klingbeil und Saskia Esken seien, fragt Merz harsch. Die Spd-chefin allerdings hatte einen guten Grund für ihr Fehlen. Sie ist an Covid-19 erkrankt – und hat zudem einen gebrochene­n Fuß. Die Kommunikat­ion zwischen Ampelkoali­tion und Opposition ist gerade nicht die beste.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag.

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