Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
CO2 soll nun schneller teurer werden
Rasant wie selten hat das Eu-parlament zu einem neuen Kompromiss beim Klimaschutzpaket gefunden. Was daraus wird, entscheidet sich nun in den Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten.
Wenn fast alle Beteiligten fürchten, dass ihnen beim Klimaschutz die Zeit davonläuft, kann der Eu-betrieb in Brüssel auch ein rekordverdächtiges Tempo anschlagen. Vergehen gewöhnlich Monate und Jahre, bis ein Gesetzentwurf Entscheidungsreife erlangt, brauchte das Europäische Parlament dieses Mal nur 13 Tage, um vom Scheitern eines zentralen Bestandteiles des Klimapaketes über Neuverhandlungen zum Beschluss zu kommen: Mit der deutlichen Mehrheit von 439 gegen 157 Stimmen bei 32 Enthaltungen beschloss das Parlament einen Kompromissvorschlag, wonach der Ausstoß des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid (CO2) schneller teurer werden soll, als zunächst bei den Regelungen für den Zertifikatehandel geplant war.
Vor zwei Wochen hatten die Zertifikate-entwürfe nach Modifizierungen in den Details bei der Schlussabstimmung Schiffbruch erlitten, weil bei Grünen, Linken und Sozialdemokraten durch die Veränderungen rote Linien überschritten worden waren und die Rechtspopulisten ohnehin gegen das Paket votierten. Statt nun auf ganzer Breite mit den Verhandlungen neu zu beginnen, schlug Chefunterhändler Peter Liese von der CDU vor, nur noch über die wenigen Einzelheiten zu reden, die bei den Gegnern das Fass zum Überlaufen gebracht hatten. So kam es binnen einer Woche bereits zu einem Kompromiss zwischen Union, Liberalen und Sozialdemokraten, der auch bei den Grünen auf Zustimmung stieß. Es sei „gelungen, die fossile Allianz aufzubrechen“, meinte Grünen-klimaExperte Michael Bloss.
Beim Ausstieg aus den freien Zuteilungen für CO2 emittierende Betriebe „fangen wir nun ein Jahr früher an und hören zwei Jahre früher auf“, fasste Spd-zertifikate-experte Tiemo Wölken zusammen. Bloss verwies auf die Zahlen, wonach bereits 2027 nur noch 93 Prozent der Zertifikate frei zugeteilt werden und sie dann in jedem folgenden Jahr fallen: auf 84, 69, 50, 25 und schließlich null Prozent im Jahr 2032. So klar sich die Gegenspieler auf diesen Kompromiss verständigen konnten, so weit lagen sie bei der Interpretation auseinander. Bloss rechnete aus, dass damit 100 Millionen Tonnen Kohlendioxid weniger emittiert würden. Nach den Berechnungen von Liese sind es lediglich sechs Millionen – angesichts eines Gesamtvolumens von 1500 Millionen Tonnen Einsparung.
Liese unterstrich zudem, dass der Zertifikate-handel 25 Mal mehr Emissionen einspare als die Vorgaben für Pkw und Vans. Hier hatte es vor zwei Wochen eine Mehrheit für ein vollständiges Verbrenner-aus im Jahr 2035 gegeben. Befürworter dieser radikalen Vorgabe verwiesen darauf, dass deutsche Autohersteller ihre Flotten bereits vorher vollständig auf E-fahrzeuge umgestellt haben wollen. Gegner vermissen die Voraussetzungen: eine flächendeckende Verfügbarkeit von Schnellladestationen. Es werde auch in Europa noch auf längere Zeit Regionen ohne genügend Ladestationen für Elektroautos geben – von den weltweiten Verhältnissen ganz abgesehen, die aber für die vom Export lebende Auto-industrie wichtig bleiben.
Allerdings hat sich inzwischen FDP-CHEF Christian Lindner mit einer klaren Ablehnung eingeschaltet. Die EU müsse an dieser Stelle technologieoffen sein. Er will Neuentwicklungen und Sprit aus erneuerbaren Energien eine Chance geben. Können sich die Koalitionspartner nicht einigen, stimmt Deutschland in der Regel mit Enthaltung. Bei einer ersten Runde unter den Umweltministern der Eu-staaten hatte Deutschland noch zugestimmt.
Der Streit in der Berliner Koalition liefert nur einen Vorgeschmack auf folgende Verhandlungen. Zunächst werden die Mitgliedstaaten versuchen, eine einheitliche Position zu finden. Mit der werden sie dann in Verhandlungen mit Kommission und Parlament gehen. Die Ländervertreter und das Parlament sind dabei gleich wichtig – ohne eine beiderseitige Bestätigung können Eu-vorgaben nicht in Kraft treten. Konfliktpunkte zeichnen sich ab. So dürften manche Regierungen große Probleme mit einem einheitlichen Co2-preis bei unterschiedlicher Kaufkraft in ihren Ländern haben. Mit großer Skepsis wird auch eine Co2-grenzsteuer als begleitendes Instrument betrachtet. Damit sollen Produkte, die in Drittländern unter höherer Klimabelastung hergestellt werden, beim Import in die EU zusätzlich besteuert werden, um die klimafreundlichen Betriebe vor unfairer Konkurrenz zu schützen.