Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Müssen uns im Inneren reformieren“
Forderungen des Eu-außenexperten an den heute beginnenden Gipfel in Brüssel.
Herr Mcallister, klappt es mit dem Kandidatenstatus für die Ukraine und Moldau beim Eu-gipfel?
Ja, bei dieser Frage bin ich zuversichtlich. Es geht um ein eindrucksvolles Signal der Solidarität und Unterstützung. Denn damit ist die unwiderrufliche Botschaft verbunden, dass beide Länder sich für einen europäischen Weg entschieden haben.
Kann die EU erweitert werden, bevor sie sich im Innern reformiert?
In der Tat: Wir müssen uns im Innern reformieren, bevor wir weitere Mitglieder aufnehmen können. Das eine jetzt tun und das andere weiter vorbereiten, das ist das Gebot der Stunde. Die Konferenz zur Zukunft Europas hat viele gute und wichtige Vorschläge gemacht, wie die EU handlungsfähiger werden kann. Wir müssen vor allem unsere Entscheidungsprozesse vereinfachen. So fordert das Europäische Parlament, dass wir in außenpolitischen Fragen von der Einstimmigkeit zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen kommen. Sonst kann ein einzelnes Land wichtige und dringende Entscheidungen verhindern beziehungsweise sehr verzögern. Wir müssen unsere Strukturen optimieren.
Was muss jetzt passieren?
Die Staats- und Regierungschefs werden über den Abschlussbericht der Zukunftskonferenz beraten. Das Europäische Parlament unterstützt die darin enthaltenen Vorschläge. Wir brauchen eine ehrliche, schonungslose und ergebnisoffene Debatte, wie wir die EU auf die Herausforderungen der 2030er-jahre einstellen. Seit 2009 arbeiten wir auf der Grundlage des Lissabon-vertrages. Vieles hat sich bewährt, vieles kann flexibel im Rahmen der bestehenden Verträge gehandhabt werden, manches aber nicht. In einigen Bereichen stößt unser Regelwerk auf seine Grenzen. So ist es nicht zukunftsfähig, wenn die Einstimmigkeit aus der Zeit, als wir sechs, neun oder zwölf Mitglieder waren, immer noch angewendet wird bei 27 oder eines Tages sogar mehr Mitgliedstaaten. Die Staats- und Regierungschefs müssen jetzt ihre eigene Reformbereitschaft unter Beweis
stellen.
Was sind Ihre Erkenntnisse zu Putins Kriegszielen?
Die Reden, Interviews und Aufsätze von Präsident Putin müssen wir sehr ernst nehmen. Im Kreml gibt es die bizarre Vorstellung, die Welt wieder in Interessensphären wie im 19. Jahrhundert aufzuteilen. Putin meint, dass alles, was einmal Zarenreich oder Sowjetunion war, dem russischen Einfluss zu unterliegen hat. Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben: Sollte Russland in der Ukraine erfolgreich sein, wird der Appetit von Putin und seiner Entourage nicht gestillt sein. Der Kampf der Ukraine gegen die russische Aggression ist ein Kampf der Demokratie gegen den Autoritarismus, ein Kampf der Freiheit gegen die Unfreiheit, ein Kampf der Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren.
Was bedeutet das für Europa?
Es gibt ein Europa vor dem 24. Februar und eines danach. Vieles ist eben nicht mehr wie vorher. Wir erleben einen brutalen Angriff auf die europäische Friedens- und Sicherheitsordnung. Alle diesbezüglichen Vereinbarungen, die nach 1945 geschaffen und nach 1990 bestätigt wurden, von der Helsinki-schlussakte bis zur Charta von Paris, werden von Russland ignoriert. Wie gehen wir mit einer russischen Föderation um, die unter dem Diktator Putin ein gefährlicher und aggressiver Nachbar ist? Wir müssen auf allen Ebenen harte Kante gegen das Regime im Kreml zeigen.