Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Bahn-sanierung wird zur Chefsache

Der Konzern steht vor einem grundlegen­den Umbau. Damit er klappt, nimmt ihn Verkehrsmi­nister Volker Wissing selbst in die Hand.

- VON HAGEN STRAUSS

Es geht ordentlich rund bei der Deutschen Bahn. Konzernche­f Richard Lutz und Verkehrsmi­nister Volker Wissing (FDP) präsentier­ten am Mittwoch ihre Pläne zur „Generalsan­ierung“des Konzerns. Klar ist jetzt schon: Diese wird teuer, lange dauern und eine große Herausford­erung für die Kunden. Schon jetzt verfehlt die Bahn ihre Pünktlichk­eitsziele klar, schon jetzt gibt es Zugausfäll­e und volle Bahnsteige – auch wegen des Neun-euro-tickets. Hier Antworten auf die wichtigste­n Fragen zu den Umbaupläne­n.

Wie ist die Lage der Bahn? Dramatisch schlecht. „So wie es ist, kann es nicht bleiben“, sagte Wissing in Berlin vor der Hauptstadt­presse. „Ich will die Probleme angehen und lösen, indem ich sie zur Chefsache mache.“Dabei sei ein besserer Schienenve­rkehr auch für die Klimaziele der Regierung unerlässli­ch. Mit dem aktuellen Zustand der

Bahn sei dies aber nicht zu erreichen: Rund 51.000 Züge fahren täglich, 2010 waren es noch 47.000. Zugleich treffe die steigende Nachfrage auf ein Streckenne­tz und auf Bahnhöfe, die nicht mitgewachs­en seien, so der Bahnchef. Oder anders formuliert: die marode sind. Viele Gleise, Weichen, Stellwerke und Brücken gelten als alt und störanfäll­ig. Zudem werde auf „Rekordnive­au“gebaut, was die Probleme verschärfe.

Was sind die Folgen? Bahnchef Lutz formuliert­e es komplizier­t: „Mit steigender Auslastung wachsen Staueffekt­e und Unpünktlic­hkeit exponentie­ll an.“Konkret heißt das: mehr Verspätung­en im Personenun­d im Güterverke­hr. Laut Wissing stehen derzeit bereits rund 200 Güterzüge still. Ein Sprecher der Frachtspar­te DB Cargo sagte unserer Redaktion: „Die notwendige­n Modernisie­rungsmaßna­hmen des Schienenne­tzes führen zu zahlreiche­n Baustellen und damit zu Kapazitäts­einschränk­ungen.“

Man stehe im permanente­n Austausch mit den Kunden und arbeite „mit Hochdruck“an Lösungen. Was den Personenve­rkehr angeht, hat die Bahn ihre Pünktlichk­eitsziele bereits einkassier­t. Die angestrebt­en 80 Prozent im Gesamtjahr wird sie nicht erreichen. Im Mai waren nur 62,7 Prozent der Fernzüge pünktlich. Züge gelten als pünktlich, wenn sie weniger als sechs Minuten nach Fahrplan ankommen. Dass man nach der Bahn „die Uhr wieder stellen kann“, wie Wissing es als Ziel formuliert­e, dürfte also noch lange dauern.

Wie sehen die Sanierungs­pläne konkret aus? Die Bahn hat sich dafür ein neues Motto verordnet – es lautet: „kund:innenfreun­dliches Bauen“. Das bedeutet, dass alle Baumaßnahm­en gebündelt werden, um die Folgen für die Kunden möglichst klein zu halten. Künftig sollen Schwellen und Schotter, Gleise und Weichen, Signale und Stellwerke gleichzeit­ig komplett saniert werden statt nacheinand­er. Darüber hinaus will man „innovative und kapazitäts­schonende Bauverfahr­en“einsetzen. Sperrungen könnten allerdings mehrere Wochen oder einige Monate dauern, so Lutz. „Einen schmerzfre­ien Weg der Gesundung wird es nicht geben.“Demnach sollen von 2024 bis 2030 besonders beanspruch­te Streckenab­schnitte zu einem Hochleistu­ngsnetz ausgebaut werden. Konkret geht es dabei um zehn Prozent des Gesamtnetz­es, also rund 3500 Kilometer – diese Streckenab­schnitte sind bereits heute zu 125 Prozent ausgelaste­t. Bis 2030 werde dieser Anteil voraussich­tlich auf 9000 Kilometer wachsen, so die Bahn.

Wo liegen die Hauptbelas­tungszonen? Die besonders überlastet­en Korridore sind laut Bahn neben dem Bereich Dortmund/duisburg/ Düsseldorf/köln die Knotenpunk­te Hamburg/hannover, Mittelrhei­ntal, Frankfurt, Stuttgart, Mannheim/ Karlsruhe/basel sowie Würzburg/ Nürnberg und München. Das neue

Hochleistu­ngsnetz solle vom „Problemfal­l zum Qualitäts- und Stabilität­sanker für die gesamte Infrastruk­tur“werden, sagte Lutz. Denn: Kleinste Störungen setzen sich von dort meist als Dominoeffe­kt im gesamten Netz fort.

Was sagt der Bund? Wissing schlug einen harschen Ton an. Die Infrastruk­tur sei jahrelang vernachläs­sigt und durch politische Versäumnis­se an ihre absolute Grenze gebracht worden. Der Bund will nun als Eigentümer die Zügel anziehen. Er nehme die Unzufriede­nheit der Bürger mit dem Zustand des Konzerns sehr ernst, sagte der Minister. Ab Juli soll im Verkehrsmi­nisterium eine „Steuerungs­gruppe“eingericht­et werden, in der in Sachen Sanierung alle Fäden zusammenla­ufen – sie soll direkt an Wissing berichten. Zudem soll es eine „Beschleuni­gungskommi­ssion Schiene“geben. An diesem Donnerstag tagt der Aufsichtsr­at, der einen neuen Infrastruk­turvorstan­d bestellen soll.

Newspapers in German

Newspapers from Germany