Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Da fehlt ja nur noch der Gefängnishof“
Wesels Ex-bürgermeister Jörn Schroh kann nicht verstehen, dass Verwaltung und Politik nichts gegen den Bau von Mehrfamilienhäusern in Wohnsiedlungen tun. Ein Experte hält Einfamilienhäuser dagegen für ein riesiges Problem.
Als Wesels früherer CDUBürgermeister und Stadtplaner Jörn Schroh kürzlich nach einem längeren Auslandsaufenthalt mit dem Rad durch das Hanseviertel fuhr, traf ihn fast Schlag. Auf einem Grundstück, auf dem viele Jahrzehnte ein „kleines, schnuckeliges Häuschen stand“, wie er sagt, wurde ein Mehrparteienhaus errichtet. „Ich hatte wirklich Tränen in den Augen, als ich das gesehen habe. Das kann doch nicht wahr sein“, sagt er. Zwar lässt sich über Geschmack trefflich streiten. Doch für den studierten Architekten ist „dieser Klotz eine Katastrophe. Da fehlt ja nur noch der Gefängnishof – einfach schrecklich.“Ihm sei bewusst, dass in Zeiten der Wohnungsknappheit dringend Mietwohnungen benötigt werden. Aber, so sagt Schroh: „Doch nicht in gewachsenen Siedlungen. Das passt in die Weseler Innenstadt – natürlich. Aber doch nicht hier.“
Ebenfalls im Hanseviertel, genauer gesagt am Drüner Weg, ist ein Einfamilienhaus abgerissen worden. In der Siedlung geht das Gerücht um, dass dort ein Sechs-parteien-haus entstehen soll. Nachbarin Annemarie Moseler erzählt, dass die frühere Bewohnerin viele Jahrzehnte nichts mehr in das Haus investiert habe, so dass es wohl billiger gewesen sei, es abzureißen. „Natürlich ist niemand glücklich, wenn hier so ein großes Haus hinkommt. Zumal es problematisch wird mit den Parkplätzen“, sagt Moseler, die Schroh zustimmt. Der sagt: „Die Verwaltung ist aus meiner Sicht verpflichtet, da entgegenzuwirken. Dieser Siedlungsbereich darf einfach nicht zerstört werden. Ich will niemandem einen Vorwurf machen, aber die Verwaltung und auch die Politik sind jetzt gefragt.“
Damit sich in seinem Sinne etwas tut, hat der frühere Verwaltungschef im Fachbereich Stadtplanung einen Brief abgegeben. Eine Kopie des Schreibens an Fachbereichsleiter Martin Prior liegt unserer Redaktion vor. Darin heißt es: „In letzter Zeit fällt mir auf, dass sehr viele Grundstücke in Wesel viel zu dicht mit Wohngebäuden bebaut werden, die sich in keiner Weise der Umgebung anpassen. Ich vermute, im Erbfall geht es für viele nur um Gewinnmaximierung. Das ist ein
Trend, der der Stadtgestaltung nicht gut tut. Das widerspricht dem Anspruch eines ökologischen Städtebaus.“Es tue weh festzustellen, wie sehr schön begrünte Grundstücke auf einmal verschwinden würden.
Doch kann die Verwaltung tatsächlich etwas gegen den von Jörn Schroh aufgezeigten Trend tun? Also, dass Erben Häuser mit größeren Grundstücken an Meistbietende verkaufen, die möglichst kostengünstig viele Miet- oder Eigentumswohnungen errichten?
Martin Prior kann auf Anfrage die Anregungen Schrohs nachvollziehen. „Aber momentan ist es so, dass wir eine sehr hohe Nachfrage nach Wohnungen haben und dass dieser Bedarf prioritär zu betrachten ist. Da, wo Baurecht besteht, ob nach Bebauungsplan oder Baulücken, kann man schwerlich als Verwaltung eingreifen, ohne die Rechte der Eigentümer zu beschneiden“, sagt er. An erster Stelle stehe nun mal die Bedarfsdeckung. „Und gerade auch öffentlich geförderter Wohnungsbau ist nun mal in Wesel besonders nachgefragt. Wir müssen dem gestiegenen Bedarf nachkommen.“
Wie wichtig der Bau von Mehrfamilien-häusern in Zeiten von Ressourcenknappheit und Klimawandel ist, betont auch der Kölner Professor Andreas Fritzen. Der 58-Jährige ist Architekt und Stadtplaner sowie Mitglied des Weseler Gestaltungsbeirates (siehe Infobox). Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Fritzen, dass Einfamilienhäuser „uns ein riesiges Problem bereiten. Zumal drei Viertel aller Wohnungsbaubestände dazugehören.“Denn dieser Typ Wohnungsbau gehe verschwenderisch mit der endlichen Ressource Boden um.
„Weil für wenige Menschen viel zu viel Grund und Boden verbraucht wird. Und dann ist diese Bauform auch was die Erstellungs- und die Verbrauchsenergie betrifft, sehr unwirtschaftlich.“Für Fritzen ist klar, dass Einfamilienhäuser auch nicht für „zukunftsfähige Mobilität“, geeignet sind. „Denn wo dieser Typ Wohnungsbau vorherrscht“, so argumentiert der Stadtplaner, „gibt es keine Straßen- und U-bahnen. Meist sind es Gebiete an der Peripherie, wo auch auch nur selten Busse fahren und der Weg mit dem Fahrrad ins Zentrum oft zu lang ist.“Man müsse mit dem Irrglauben aufhören, dass Einfamilienhäuser „zur Rettung der Erde beitragen, auch wenn es nach wie vor die von vielen Deutschen bevorzugte Wohnform ist.“
Für Fritzen kann die Zukunft nur so aussehen, dass Grundstücke sparsam genutzt werden, die Energieversorgung optimiert wird und Quartiere geschaffen werden, die sich für zukunftsfähige Mobilität eignen. Vor allem sozial gemischte Quartiere sind aus seiner Sicht wünschenswert. Denn: „Eigenheime kann sich nur ein gewisses Klientel leisten. In diesen Gebieten gibt es meist eine einseitige Bevölkerungsstruktur. Wir würden gerne die Bevölkerung in Quartieren mischen. Und der Geschosswohnungsbau in Einfamilienhausgebieten wird tendenziell eine passende und andere Klientel anziehen. Und das ist vorteilhaft.“
(rku) Die Spd-fraktion in Wesel bringt den Bau mehrerer Windräder im Hafengelände von Deltaport ins Gespräch. In einem Antrag bittet der Fraktionsvorsitzende Ludger Hovest die Verwaltung und den Hafen zu prüfen, ob die Errichtung „unter den nun veränderten Rahmenbedingungen“möglich sei. In den vergangenen Jahren sei gelegentlich ohne greifbare Ergebnisse darüber diskutiert worden, da die Genehmigungsverfahren einem Bau entgegenstanden.
Der Hafen entwickele sich laut SPD prächtig. Immer mehr Flächen werden entwickelt und die Firmen denken aktiv über regenerative Energiegewinnung nach. „Wir schlagen vor, dass diese Frage jetzt noch einmal intensiv geprüft wird, und können uns auch eine interkommunale Lösung von Deltaport, Stadt Voerde und Stadt Wesel vorstellen.“Die Stromgewinnung durch Windräder sei heute die günstigste Lösung und alle sollten sich positiv auf den Weg machen, hier Wege aufzuzeigen und Windräder zu errichten. Hoves hält vier bis fünf Windräder auf dem Hafengelände für möglich.