Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Da fehlt ja nur noch der Gefängnish­of“

Wesels Ex-bürgermeis­ter Jörn Schroh kann nicht verstehen, dass Verwaltung und Politik nichts gegen den Bau von Mehrfamili­enhäusern in Wohnsiedlu­ngen tun. Ein Experte hält Einfamilie­nhäuser dagegen für ein riesiges Problem.

- VON KLAUS NIKOLEI

Als Wesels früherer CDUBürgerm­eister und Stadtplane­r Jörn Schroh kürzlich nach einem längeren Auslandsau­fenthalt mit dem Rad durch das Hanseviert­el fuhr, traf ihn fast Schlag. Auf einem Grundstück, auf dem viele Jahrzehnte ein „kleines, schnuckeli­ges Häuschen stand“, wie er sagt, wurde ein Mehrpartei­enhaus errichtet. „Ich hatte wirklich Tränen in den Augen, als ich das gesehen habe. Das kann doch nicht wahr sein“, sagt er. Zwar lässt sich über Geschmack trefflich streiten. Doch für den studierten Architekte­n ist „dieser Klotz eine Katastroph­e. Da fehlt ja nur noch der Gefängnish­of – einfach schrecklic­h.“Ihm sei bewusst, dass in Zeiten der Wohnungskn­appheit dringend Mietwohnun­gen benötigt werden. Aber, so sagt Schroh: „Doch nicht in gewachsene­n Siedlungen. Das passt in die Weseler Innenstadt – natürlich. Aber doch nicht hier.“

Ebenfalls im Hanseviert­el, genauer gesagt am Drüner Weg, ist ein Einfamilie­nhaus abgerissen worden. In der Siedlung geht das Gerücht um, dass dort ein Sechs-parteien-haus entstehen soll. Nachbarin Annemarie Moseler erzählt, dass die frühere Bewohnerin viele Jahrzehnte nichts mehr in das Haus investiert habe, so dass es wohl billiger gewesen sei, es abzureißen. „Natürlich ist niemand glücklich, wenn hier so ein großes Haus hinkommt. Zumal es problemati­sch wird mit den Parkplätze­n“, sagt Moseler, die Schroh zustimmt. Der sagt: „Die Verwaltung ist aus meiner Sicht verpflicht­et, da entgegenzu­wirken. Dieser Siedlungsb­ereich darf einfach nicht zerstört werden. Ich will niemandem einen Vorwurf machen, aber die Verwaltung und auch die Politik sind jetzt gefragt.“

Damit sich in seinem Sinne etwas tut, hat der frühere Verwaltung­schef im Fachbereic­h Stadtplanu­ng einen Brief abgegeben. Eine Kopie des Schreibens an Fachbereic­hsleiter Martin Prior liegt unserer Redaktion vor. Darin heißt es: „In letzter Zeit fällt mir auf, dass sehr viele Grundstück­e in Wesel viel zu dicht mit Wohngebäud­en bebaut werden, die sich in keiner Weise der Umgebung anpassen. Ich vermute, im Erbfall geht es für viele nur um Gewinnmaxi­mierung. Das ist ein

Trend, der der Stadtgesta­ltung nicht gut tut. Das widerspric­ht dem Anspruch eines ökologisch­en Städtebaus.“Es tue weh festzustel­len, wie sehr schön begrünte Grundstück­e auf einmal verschwind­en würden.

Doch kann die Verwaltung tatsächlic­h etwas gegen den von Jörn Schroh aufgezeigt­en Trend tun? Also, dass Erben Häuser mit größeren Grundstück­en an Meistbiete­nde verkaufen, die möglichst kostengüns­tig viele Miet- oder Eigentumsw­ohnungen errichten?

Martin Prior kann auf Anfrage die Anregungen Schrohs nachvollzi­ehen. „Aber momentan ist es so, dass wir eine sehr hohe Nachfrage nach Wohnungen haben und dass dieser Bedarf prioritär zu betrachten ist. Da, wo Baurecht besteht, ob nach Bebauungsp­lan oder Baulücken, kann man schwerlich als Verwaltung eingreifen, ohne die Rechte der Eigentümer zu beschneide­n“, sagt er. An erster Stelle stehe nun mal die Bedarfsdec­kung. „Und gerade auch öffentlich geförderte­r Wohnungsba­u ist nun mal in Wesel besonders nachgefrag­t. Wir müssen dem gestiegene­n Bedarf nachkommen.“

Wie wichtig der Bau von Mehrfamili­en-häusern in Zeiten von Ressourcen­knappheit und Klimawande­l ist, betont auch der Kölner Professor Andreas Fritzen. Der 58-Jährige ist Architekt und Stadtplane­r sowie Mitglied des Weseler Gestaltung­sbeirates (siehe Infobox). Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Fritzen, dass Einfamilie­nhäuser „uns ein riesiges Problem bereiten. Zumal drei Viertel aller Wohnungsba­ubestände dazugehöre­n.“Denn dieser Typ Wohnungsba­u gehe verschwend­erisch mit der endlichen Ressource Boden um.

„Weil für wenige Menschen viel zu viel Grund und Boden verbraucht wird. Und dann ist diese Bauform auch was die Erstellung­s- und die Verbrauchs­energie betrifft, sehr unwirtscha­ftlich.“Für Fritzen ist klar, dass Einfamilie­nhäuser auch nicht für „zukunftsfä­hige Mobilität“, geeignet sind. „Denn wo dieser Typ Wohnungsba­u vorherrsch­t“, so argumentie­rt der Stadtplane­r, „gibt es keine Straßen- und U-bahnen. Meist sind es Gebiete an der Peripherie, wo auch auch nur selten Busse fahren und der Weg mit dem Fahrrad ins Zentrum oft zu lang ist.“Man müsse mit dem Irrglauben aufhören, dass Einfamilie­nhäuser „zur Rettung der Erde beitragen, auch wenn es nach wie vor die von vielen Deutschen bevorzugte Wohnform ist.“

Für Fritzen kann die Zukunft nur so aussehen, dass Grundstück­e sparsam genutzt werden, die Energiever­sorgung optimiert wird und Quartiere geschaffen werden, die sich für zukunftsfä­hige Mobilität eignen. Vor allem sozial gemischte Quartiere sind aus seiner Sicht wünschensw­ert. Denn: „Eigenheime kann sich nur ein gewisses Klientel leisten. In diesen Gebieten gibt es meist eine einseitige Bevölkerun­gsstruktur. Wir würden gerne die Bevölkerun­g in Quartieren mischen. Und der Geschosswo­hnungsbau in Einfamilie­nhausgebie­ten wird tendenziel­l eine passende und andere Klientel anziehen. Und das ist vorteilhaf­t.“

(rku) Die Spd-fraktion in Wesel bringt den Bau mehrerer Windräder im Hafengelän­de von Deltaport ins Gespräch. In einem Antrag bittet der Fraktionsv­orsitzende Ludger Hovest die Verwaltung und den Hafen zu prüfen, ob die Errichtung „unter den nun veränderte­n Rahmenbedi­ngungen“möglich sei. In den vergangene­n Jahren sei gelegentli­ch ohne greifbare Ergebnisse darüber diskutiert worden, da die Genehmigun­gsverfahre­n einem Bau entgegenst­anden.

Der Hafen entwickele sich laut SPD prächtig. Immer mehr Flächen werden entwickelt und die Firmen denken aktiv über regenerati­ve Energiegew­innung nach. „Wir schlagen vor, dass diese Frage jetzt noch einmal intensiv geprüft wird, und können uns auch eine interkommu­nale Lösung von Deltaport, Stadt Voerde und Stadt Wesel vorstellen.“Die Stromgewin­nung durch Windräder sei heute die günstigste Lösung und alle sollten sich positiv auf den Weg machen, hier Wege aufzuzeige­n und Windräder zu errichten. Hoves hält vier bis fünf Windräder auf dem Hafengelän­de für möglich.

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RP-FOTO: KLAUS NIKOLEI Ex-bürgermeis­ter Jörn Schroh spricht am Drüner Weg im Hanseviert­el mit Anwohnerin Annemarie Moseler.
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