Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Was die Alarmstufe für Kunden bedeutet
Der Bund ruft die zweite Stufe des GasNotfallplans aus. Noch ist die Versorgung gesichert, doch am 11. Juli droht der Lieferstopp bei Nord Stream 1. Die Branche fürchtet die Pleite von Stadtwerken. Verbraucher erwarten hohe Preissprünge.
Die Bundesregierung ruft die Alarmstufe beim Notfallplan Gas aus. „Die Lage ist ernst“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). „Die Drosselung der Lieferungen ist ein ökonomischer Angriff auf uns“, erklärte Habeck am Donnerstag Noch sei die Versorgung gesichert, aber der Winter werde kommen.
Was ist der Anlass? Auslöser ist, dass der Gazprom-konzern die Lieferung über Nord Stream 1 deutlich reduziert hat. Durch die Pipeline fließen nur noch 40 Prozent der bisherigen Gasmenge. Russland begründet dies mit einer Turbine, die angeblich wegen der Sanktionen in Kanada festhängt. Habeck und die Bundesnetzagentur halten das für vorgeschoben. Schlimmer noch: Am 11. Juli soll die Wartung von Nord Stream 1 stattfinden. Dann fließt üblicherweise zehn Tage lang gar kein Gas mehr. Was Präsident Putin danach macht, ist offen. Die Netzagentur hat Szenarien gerechnet, und die meisten zeigen einen Notstand im Winter, wenn es so weitergeht.
Was bedeutet die Alarmstufe? Der Notfallplan kennt drei Stufen: Frühwarnstufe, Alarmstufe, Notfallstufe.
Mit der Frühwarnstufe kam im März die Netzagentur ins
Spiel; sie hat Kriterien zur Verteilung erarbeitet. Nun hat Habeck die zweite Stufe ausgerufen. Damit liegt also „eine Störung vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt, der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung zu bewältigen“. Technisch ändert sich dadurch zunächst nichts, es zeigt aber den Ernst der Lage.
Was passiert bei der dritten Stufe? Bei der Notfallstufe wird die Netzagentur zum „Bundeslastverteiler“und rationiert das
Gas. Dabei unterscheidet sie zwei Gruppen: In der ersten sind 2500 Industrieunternehmen, die eine Anschlussleistung von mehr als zehn Megawatt Gas pro Stunde haben. Das sind Chemie-, Stahl-, Glas-, Zement und Aluminium-hersteller. „Hier können wir schnell und zielgerichtet Gas einsparen, indem wir eine punktuelle Abschaltverfügung erlassen“, sagte unlängst Netzagentur-chef Klaus Müller. Als Zweites kann er kleinere Betriebe anweisen, zu sparen. „Wir können sie etwa anweisen, den Gasverbrauch um zehn oder 20 Prozent zu senken.“
Was gilt nun für Verbraucher? Private Haushalte, Altenheime, Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Schulen, Kitas und Gefängnisse sind gesetzlich geschützte Kunden. „Sie sollen möglichst weiter versorgt werden“, betonte Müller. Das gilt auch in der dritten Stufe, der sogenannten Notfallstufe. Es wird bereits diskutiert, die Heizvorgaben für Vermieter im Winter um einige Grad zu senken, um den Gasverbrauch zu verringern.
Was passiert mit den Preisen und welche Rolle spielt Paragraf 24? Die Preise sind kräftig gestiegen. Teilweise haben Vermieter schon die Abschlagzahlungen für Mieter erhöht. Habeck rechnet damit, dass Gas noch teurer wird. Womöglich sind dann Versorger und Stadtwerke nicht mehr in der Lage, noch Gas zu beschaffen. Dann soll ihnen erlaubt werden, sprunghafte Anstiege sofort an die Kunden weiterzugeben. Damit das möglich ist, müsste Habeck Paragraf 24 aus dem „Gesetz zur Sicherung der Energieversorgung“aktivieren. „Wenn die Preissprünge so groß sind, dass die Unternehmen umfallen, droht ein Lehman-effekt im ganzen System“, warnte Habeck. Die Pleite der Us-bank Lehman Brothers 2008 hatte zu einem Dominoeffekt geführt und die Weltfinanzkrise ausgelöst.
Was droht Verbrauchern? Würden die Versorger die Preissprünge weitergeben dürfen, stiegen die
Gas- und Stromrechnungen der Privatkunden sprunghaft an. „Das ist eine extreme Belastung für viele Menschen und Unternehmen“, sagte Habeck. Die Aufgabe der Politik in den nächsten Wochen sei es, Entlastungen für Haushalte und Unternehmen zu schaffen. An den Preisen wolle man aber nicht drehen, das führe zu noch mehr Problemen.
Wie wird die Pleite von Stadtwerken verhindert? Die Gefahr ist da: „Angesichts der hohen Gaspreise sind Stadtwerke, Regionalversorger und Importeure akut existenziell gefährdet, wir brauchen umgehend einen Schutzschirm für Versorger“, sagte Verdi-chef Frank Werneke. Auch die Chefin des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft , Kerstin Andreae, mahnte, es bestehe das Risiko, dass Versorger die GasKäufe finanziell nicht mehr stemmen können. Der Bund stellt über die Staatsbank KFW bereits 15 Milliarden Euro bereit, mit denen die Beschaffungstochter der Branche, Trading Hub Europe aus Ratingen, Gas zum Speichern beschaffen soll. Das nützt aber den Stadtwerken nichts. Habeck rief erneut dazu auf, Gas einzusparen. Die Industrie habe bislang acht Prozent gespart.
Was gefährlich wird die Krise für Uniper? Uniper ist der größte Importeur von russischem Gas. Wegen der Preise muss der Düsseldorfer Versorger beim Handel immer höhere Sicherheiten hinterlegen, hat aber einen möglichen Kfw-kredit noch nicht in Anspruch genommen. „Die Gasversorgung in Deutschland ist so angespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Es ist wichtig, dass mit der Alarmstufe sehr zügig Klarheit geschaffen wird, welche Kosten durch die derzeit angespannte Versorgungslage entstehen“, sagte UniperChef Klaus-dieter Maubach unserer Redaktion. „Klar ist auch, dass dies für diesen Winter keine Lösung ist, wenn die Versorgungslage so bleibt oder sich über die kommenden Wochen weiter verschärft.“Wenn eine Auffüllung der Speicher bis Oktober nicht möglich sei, seien „weitere Schritte dringend geboten.“Unipers Aktie gab zeitweise um fast acht Prozent auf 18 Euro nach.