Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein Berg von Bedrohunge­n

- VON GREGOR MAYNTZ

Die 27 Staats- und Regierungs­chefs der Europäisch­en Union wirken stets wie befreit, wenn es ihnen in schwierige­n Verhandlun­gen gelungen ist, zu einem einstimmig­en Votum zu kommen. So war es auch bei diesem JuniGipfel wieder, als die Gipfelteil­nehmer bei der Verleihung des Beitrittss­tatus für die Ukraine und für die Republik Moldau eine Einigkeit erzielten, wie sie sie selbst zuvor nicht für möglich gehalten hatten. Sie feierten den Schritt als „historisch“. Doch die geschichtl­ich größte Herausford­erung für die Europäisch­e Union steht erst noch bevor.

Der Zwei-tage-feldzug, den Putin anfangs im Sinn hatte, ist wegen völliger Verkennung der Lage gescheiter­t. Bei einem Zwei-jahre-krieg sieht die Sache schon anders aus. Damit gewinnt die eigentlich­e Herausford­erung für die EU Konturen. Da ist das abnehmende Interesse an dem brutalen Krieg mit der Frage, ob die Verantwort­lichen die Ukraine auch dann noch mit den dringend benötigten schweren Waffen beliefern, wenn die eigene Bevölkerun­g sich um andere Sorgen kümmert. Da ist das russische Militärpot­enzial, das der Ukraine nicht mehr auf einen Schlag, aber Kilometer für Kilometer die Luft zum Atmen nimmt und ihre Abhängigke­it vom Westen zugleich vergrößert. Da sind die explodiere­nden Energiepre­ise, die auch sozialen Sprengstof­f mit vielen Verwerfung­en in den Eu-ländern mit sich bringen.

Ob die 27 diesen Berg von Bedrohunge­n tatsächlic­h untergehak­t bewältigen können, wie es der Kanzler versichert, ist angesichts der Uneinigkei­t auf vergleichs­weise nebensächl­ichen Konfliktfe­ldern eher zu bezweifeln. Historisch ist nicht der Beitrittss­tatus der Ukraine, sondern vor allem, ob die EU unter nie gekanntem Druck von außen wie von innen auseinande­rfliegt oder sich in einer wirklich existenzie­llen Bedrohung als einig und stark erweist.

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