Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Knatsch vorm Parteitag

Der Grünen-nachwuchs geht auf Konfrontat­ionskurs zur Parteispit­ze. Trotz der Senkung des Wahlalters fehlen der Jugend zentrale Projekte im Koalitions­vertrag mit der CDU. Unterdesse­n stellt die Partei ihre vier Minister vor.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Während sich die CDU in NRW in Sachen Ministerpo­sten noch bedeckt hält – immerhin muss Ministerpr­äsident Hendrik Wüst (CDU) sich am Dienstag noch einer Wahl im Landtag stellen –, schaffen die Grünen Tatsachen: Am Freitag benannte die Partei ihre Minister für das Kabinett Wüst II. Demnach wird Spitzenkan­didatin Mona Neubaur an die Spitze eines Superminis­teriums für Wirtschaft, Industrie, Klima und Energie rücken. Zugleich wird die 44-Jährige stellvertr­etende Regierungs­chefin. Thematisch auf den Leib geschneide­rt ist das Ressort Kinder, Jugend und Familie, Gleichstel­lung, Integratio­n und Flucht der derzeitige­n Co-fraktionsc­hefin der Grünen, Josefine Paul.

Mit Oliver Krischer übernimmt ein prominente­r Bundespoli­tiker aus NRW das neu geschaffen­e Ressort für Umwelt, Naturschut­z und Verkehr. Der Aachener Bundestags­abgeordnet­e ist derzeit noch Parlamenta­rischer Staatssekr­etär bei Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck. Krischer stach den Kölner Verkehrsex­perten Arndt Klocke aus, der mit seiner Enttäuschu­ng nicht hinterm Berg hielt: „Ich hätte gern nach zwölf Jahren als Fachpoliti­ker im Landtag diesen Koalitions­vertrag aus der Regierung heraus mit umgesetzt. Unsere Grünen-spitze hat dies anders entschiede­n“, schrieb er an seine Follower. Dem künftigen Minister wünschte er dennoch viel Erfolg und eine gute Hand bei den vielfältig­en Herausford­erungen.

Kaum jemand dürfte den neuen Justizmini­ster auf dem Zettel gehabt haben: Benjamin Limbach, derzeit Präsident der Hochschule des Bundes für öffentlich­e Verwaltung, hat bereits im Nrw-justizmini­sterium als Referatsle­iter gearbeitet. Der Grünen-politiker ist der Sohn der verstorben­en Bundesverf­assungsger­ichts-präsidenti­n Jutta Limbach.

Damit räumen die Grünen kurz vor ihrem Parteitag alle Personalsp­ekulatione­n ab. Raum für Diskussion­en bleibt trotzdem. Einen Vorgeschma­ck bekamen die Grünen in den sozialen Medien, wo unter anderem kritisiert wurde, dass ein Bekenntnis zur Cannabis-legalisier­ung ebenso fehle wie Entschärfu­ngen beim Polizei- und Versammlun­gsgesetz. Zudem blieben die Elektrosch­ocker bei der Polizei; Luftfilter für Klassenzim­mer seien nicht durchgeset­zt worden.

Auch von anderer Seite droht Ungemach: Nachdem sich die Grüne Jugend bei der Abstimmung über das Sondierung­spapier Ende Mai in Essen noch enthalten hatte, kommt es nun zur offenen Revolte. Die Nachwuchso­rganisatio­n lehnt nach eigenen Angaben das 146-seitige Papier ab. Dies sei „nach gründliche­r Überlegung“geschehen, teilte die Grüne Jugend mit. Zwar gestanden die jungen Politiker zu, dass „einige wichtige Ergebnisse erzielt“worden seien, insbesonde­re die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre, die gerade den Grünen bei der nächsten Landtagswa­hl in die Karten spielen sollte, außerdem das Bekenntnis zu „Sowi bleibt”, also zum Erhalt des Fachs Sozialwiss­enschaften, sowie die Abschaffun­g der pauschalen Mindestabs­tände von Windrädern zu Wohnbebauu­ng.

Trotzdem werde der Vertrag den Krisen der Zeit nicht gerecht und biete keine gute Grundlage für eine Regierungs­zusammenar­beit, sagte Nicola Dichant, Landesspre­cherin der Grünen Jugend NRW, unserer Redaktion. Deshalb empfehle der Jugendverb­and der Grünen der Landesdele­giertenkon­ferenz keine Zustimmung, sondern eine Ablehnung des Koalitions­vertrags. „Wir hatten die Hoffnung, dass nach den Sondierung­en noch mal ordentlich nachverhan­delt würde. Das hat sich aber zerschlage­n.“

Viel zu viel sei schwammig formuliert. „Wir haben nicht das Gefühl, dass mehr gegenüber dem Sondierung­sstand herausgeho­lt worden ist. Das betrifft Themen wie das Wohnen, aber auch Finanzieru­ngsfragen.“Dass kein echtes, günstiges Azubi-ticket für NRW geplant sei, sei absolut unverständ­lich. Dass ein Bekenntnis zur Finanzieru­ng des Tarifvertr­ags Entlastung für das Personal an den Uniklinike­n fehle, sei ein fatales Zeichen. Genau wie die fehlende finanziell­e Bekämpfung von Armut, gerade im Angesicht der Inflation. Zudem fehlten ein echtes Bekenntnis zum Braunkohle­dorf Lützerath und ein konkreter Pfad zur Klimaneutr­alität. „So ist völlig schleierha­ft, wie das 1,5-Grad-ziel erreicht werden soll“, sagte Dichant.

Die Landesspre­cherin der Grünen Jugend kritisiert­e zudem, dass die Verhandlun­gsgruppe nicht mehr Raum für echte Diskussion vorgesehen habe, deren Ergebnisse noch hätten einfließen können. Zugleich betonte sie aber: „Natürlich sind wir weiterhin an einer konstrukti­ven Mitarbeit interessie­rt.“

Der Co-landesvors­itzende der Grünen, Felix Banaszak, äußerte Verständni­s für die Position: „Die Haltung der Grünen Jugend ist insofern konsequent, als sie nie einen Hehl daraus gemacht hat, ein solches Bündnis mindestens kritisch zu sehen. Alles andere hätte mich überrascht“, sagte er unserer Redaktion. Die inhaltlich­e Bewertung des Erreichten teile er explizit nicht. „Deshalb werde ich mit voller Überzeugun­g bei unseren Delegierte­n für die Annahme des Koalitions­vertrags werben – und diese werden dann entscheide­n. Das ist gelebte Demokratie.“Trotz der ablehnende­n Haltung des Parteinach­wuchses gilt eine Zustimmung der Mehrheit der Delegierte­n als sicher.

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FOTO:: HAMMER, HS-BUND, IMAGO, VENNENBERN­D | GRAFIK: FERL

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