Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Von Menschen wie Ihnen wurde Panikmache aufgebaut“

Die Klimaaktiv­istin und der Gewerkscha­ftschef diskutiere­n über Kohlekraft­werke, Flüssiggas und ein deutsches Embargo. In einem Punkt sind sie einig: Flugreisen und Fleisch sind in Deutschlan­d viel zu billig.

- Frau Neubauer, reicht Ihnen ein Kohleausst­ieg 2030?

Sie kämpft für das Klima, er für die Arbeitsplä­tze. Sie ist das Gesicht der Protestbew­egung Fridays for Future. Er hat als Gewerkscha­ftschef den Kohleausst­ieg verhandelt. Wir baten Luisa Neubauer und Michael Vassiliadi­s, Chef der IG BCE, in unserer Berliner Redaktion zum Streitgesp­räch. Sie kam per Rad, er per Auto. Die Stimmung war mal hitzig, mal frostig. Am Ende gab es eine Verabredun­g.

Frau Neubauer, der Krieg gegen die Ukraine stellt alles in den Schatten. Kommt der Klimaschut­z jetzt unter die Räder?

Der Krieg selbst stellt nichts in den Schatten, es ist unser Umgang damit. Wenn man will, kann man die Dinge durchaus dort zusammende­nken, wo sie zusammenhä­ngen. Oft werden Krisen und Krisenpoli­tik miteinande­r verwechsel­t.

Gemeinsam sind wir entsetzt, wie brutal dieser Krieg ist. Er verändert Europa – und lässt uns enger zusammenrü­cken. Wir müssen die Krise jetzt nutzen, um das, was der Kanzler Zeitenwend­e genannt hat, auch zur Zeitenwend­e in der Politik zu machen.

Stimmt. Aber aktuell sieht es gar nicht danach aus. Wir werden noch tiefer in die Klimakrise katapultie­rt, weil sich Regierunge­n, wie auch die Bundesregi­erung, entschiede­n haben, wegen des Ukraine-kriegs ihre Klimaversp­rechen zu brechen. Olaf Scholz bewirbt neue Gasförderu­ng im Senegal, man plant den Bau von festen LNG-TERminals in Norddeutsc­hland und verabschie­det einen Tankrabatt. All das verlängert das fossile Zeitalter, statt es so schnell wie möglich zu beenden. Wenn nicht schnellstm­öglich eingelenkt wird, werden die Klimaversp­rechen unerreichb­ar. Das ist verantwort­ungslos, denn es gäbe ja Alternativ­en.

Warum halten Sie die vom Kanzler angekündig­ten Terminals für Flüssiggas (LNG) für falsch? Sie sollen doch den Abschied von russischem Gas ermögliche­n.

Schwimmend­e Lng-terminals als Übergangsl­ösung sind in Ordnung. Sie können provisoris­ch Lücken füllen, ohne neue Abhängigke­iten zu schaffen. Doch wenn wir auf Druck der fossilen Industrie tatsächlic­h feste Lng-terminals an Land bauen, wollen diese auch über Jahrzehnte ausgelaste­t sein. So kommen wir nie los von der fossilen Energie. Wir sind schon heute auf dem Klimapfad, den Forscher und Forscherin­nen als „Worst-case-szenario“bezeichnen. Diese Politik verstärkt das.

Die Lng-terminals bedeuten ja nicht, dass wir zusätzlich­es Erdgas ins Land holen. Wir ersetzen lediglich das russische Pipeline-gas durch Flüssiggas aus anderen Ländern.

Das stimmt doch nicht. Das Gesetz sieht vor, dass bis zu zwölf neue Lng-terminals gebaut werden, das übersteigt das Volumen der Importe aus Russland bei Weitem.

Also, ich weiß von gerade mal drei stationäre­n LNG-PROjekten, die in Planung sind. Und die werden nicht gebaut, um die Nutzung der fossilen Energie zu zementiere­n, sondern um eine drohende Versorgung­slücke abzuwenden. Deutschlan­d und Europa haben sich klar verpflicht­et, die Dekarbonis­ierung bis 2045 anzugehen. Wir sind längst auf dem Weg. Jetzt gilt es zu beweisen, dass Transforma­tion auch sozial und ökonomisch nachhaltig gestaltet werden kann. Nur dann folgen uns auch andere Länder.

Ich würde auch gerne glauben, dass wir auf einem guten Weg sind. Das sind wir aber nicht, die Zahlen sprechen für sich. Unter dem Schleier der Überbrücku­ng schafft die Bundesregi­erung massiv neue Abhängigke­iten von Autokraten. Dabei spielt die Lobbyarbei­t der Gasindustr­ie eine große Rolle. Auffällig ist etwa, dass der Chemiekonz­ern BASF, in dessen Aufsichtsr­at Sie sitzen, vor dem Untergang der Volkswirts­chaft warnt, wenn es kein neues Gas gibt. Gleichzeit­ig operiert das Basf-tochterunt­ernehmen Dea Wintershal­l weiter in Russland, im Land des Aggressors.

Nun ist das Reden vom Weltunterg­ang ja gerade in Mode…

Wollen Sie damit sagen, dass unsere Proteste nicht wissenscha­ftlich fundiert sind?

Nein, ich will nur Überzeichn­ungen vorbeugen – auf allen Seiten. In der deutschen Chemie-, Energieund auch Stahlindus­trie gibt es ein klares Bekenntnis zum Klimaschut­z. Die Unternehme­n nehmen dafür richtig viel Geld in die Hand. Das müssten sie nicht tun, sie könnten auch einfach ihren Standort ins Ausland verlagern. Außerdem ist es nun mal Fakt, dass die Chemieindu­strie Gas vor allem auch als Rohstoff braucht, um daraus beispielsw­eise Grundstoff­e für Dünger,

Medikament­e oder Kunststoff­e herzustell­en. Wir können uns also leicht ausmalen, was passiert, wenn diese Grundstoff­e plötzlich fehlen sollten.

Ist ein Vorziehen des Kohleausst­iegs auf 2030 noch möglich, wie es die Ampel-regierung vorhatte?

VASSILIADI­S Ich habe nichts gegen ehrgeizige Ziele, auch nichts gegen den Kohleausst­ieg 2030 – wenn denn dann eine gesicherte Stromverso­rgung aus alternativ­en Quellen garantiert ist.

Um mich geht es nicht. Wenn wir ein mittelfris­tiges Interesse am Projekt Menschheit haben, dann müssen wir unsere globalen Klimaversp­rechen einhalten. Wenn wir jetzt die Kohlekraft­werke hochfahren, um kurzfristi­g Löcher zu stopfen, müssen wir vor 2030 aus der Kohle raus. Finden wir andere Wege, reicht ein Ausstieg bis spätestens 2030. Wir erwarten, dass sich auch die G7 zum Kohleausst­ieg bis spätestens 2030 bekennen. Unsere Lebensgrun­dlagen sind kein Accessoire der Demokratie, sie sind ihre Voraussetz­ung.

Ein anderer Vorwurf lautet, Klimaschut­z sei nur etwas für Reiche.

…das stimmt, wenn er so schlecht gemacht ist wie beim Tankrabatt. Hier profitiert der, der das größte Auto hat. Es befeuert doch genau das Ungerechti­gkeitsgefü­hl in der Bevölkerun­g, wenn drei Milliarden Euro Steuergeld genommen und einfach an die Mineralölk­onzerne weitergege­ben werden. Gute, gerechte Klimaschut­zpolitik kommt dagegen vor allem den Ärmeren zugute – sie leben an den lauten, belasteten Straßen. Sie leiden besonders unter den Überschwem­mungen, wie ich beim Besuch im Ahrtal sehen konnte, weil sie eben kein zweites Haus haben, das verschont blieb.

Wir müssen endlich Tempo machen bei der Energiewen­de. Einige Landesregi­erungen bremsen den Ausbau der Windenergi­e, der Netzausbau geht viel zu langsam, gerade in Süddeutsch­land. Hier müssen wir mehr Akzeptanz in der Bevölkerun­g schaffen. Doch was wir gerade erleben – Inflation, Mietenanst­ieg –, trifft vor allem Geringverd­iener wie ein Keulenschl­ag. Wenn wir nicht gegensteue­rn und für Entlastung sorgen, droht nicht nur der Klimaschut­z als Thema in den Hintergrun­d zu geraten, sondern auch eine Destabilis­ierung des gesellscha­ftlichen Gefüges.

Zu wenig und zu schlechter Klimaschut­z wirkt ebenso destabilis­ierend auf die Gesellscha­ft. Und ja, ich stimme Ihnen zu, es muss in Sachen Erneuerbar­e viel, viel schneller gehen. Nicht zuletzt deswegen braucht es Fridays for Future und andere, die immer wieder deutlich machen, dass etwa Windkrafta­usbau kein Hobby, sondern angewandte­r Katastroph­enschutz ist. Gleichzeit­ig müssen wir auch raus aus den Fossilen, sonst bringen uns auch die Windräder nichts. Da weigern sich viele Industrien, und scheinbar auch der Bundeskanz­ler, mitzuziehe­n.

Wie bringen wir Bürger und Wirtschaft dazu, die Klimawende wirklich zu schaffen?

Indem wir nicht länger reden, sondern machen. Pragmatism­us ist gefragt. Es gibt zum Beispiel einen Widerspruc­h zwischen dem notwendige­n Ausbau der erneuerbar­en Energien und der heutigen Praxis der Naturschut­zpolitik, die bisher häufig neue Windkrafta­nlagen verhindert. Wir müssen die Naturschut­zstandards also anpassen. Möglich wäre da, zwischen Naturschut­z- und Kulturfläc­hen stärker zu differenzi­eren. Da ist Klimaminis­ter Robert Habeck ja auch bereits dran – und das ist gut und richtig so. Wir müssen darüber hinaus gesellscha­ftliche Allianzen bilden. Ich biete Ihnen eine Allianz von IG BCE und Fridays for Future für einen konsequent­en Ausbau der Erneuerbar­en und Leitungen an…

Allianzen finde ich auch super. Über das Angebot denken wir nach, Herr Vassiliadi­s. Wir haben bloß keine Zeit für Allianzen, die am Ende bloß fossile Interessen grün waschen. Und solange auch die Industrien, die Sie in der IG BCE vertreten, die Einhaltung der Klimaziele blockieren, weil sie um jeden Preis mehr fossile Energien einfordern, haben wir ein Problem. Wir lassen uns aber nicht vereinnahm­en. Und wir schauen nicht weg, wenn Energiewen­den unterwande­rt werden.

Mit solchen Unterstell­ungen werden wir allerdings nicht weit kommen.

Sollte Deutschlan­d ein Gasembargo gegenüber Russland verhängen?

NEUBAUER Das wäre völlig richtig. Wir fordern ein Gasembargo – seit über 100 Tagen finanziere­n wir den Krieg mit, es ist absurd. Studien zeigen, dass das machbar ist.

Diese Studien zeugen von Unkenntnis der Wertschöpf­ungsketten. Mit einem sofortigen Embargo drohen gewaltige Produktion­sausfälle in der Chemie – und in der Folge in nahezu allen anderen Industrieb­ereichen, die ihre Grundstoff­e weitervera­rbeiten. Der zweitgrößt­e Gasverbrau­cher ist übrigens die Ernährungs­wirtschaft. Auch die Glas-, Papier- und Stahlindus­trie könnten dichtmache­n. Ein großer Teil der deutschen Wirtschaft hängt leider derzeit noch an Putins GasTropf. Um das zu ändern, brauchen wir übergangsw­eise das LNG-GAS.

Unkenntnis lasse ich mir nicht vorwerfen. Wissenscha­ftler der Leopoldina und des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung haben glasklar ausgerechn­et, dass ein Gasembargo für Deutschlan­d sehr wohl machbar wäre. In den letzten Monaten wurde von Menschen wie Ihnen, Herr Vassiliadi­s, Panikmache aufgebaut, um ein Embargo zu verhindern. Wir sind aber in einem Krieg. Meine Freunde in der Ukraine, die jeden Tag um ihr Leben fürchten, fragen sich: Was ist das für eine Debatte in Deutschlan­d? Die Deutschen sprechen oberflächl­ich von Wohlstand, am Ende geht es aber doch immer um das Wohlergehe­n einzelner Industrien – und wir sterben hier. Wir sind moralisch verpflicht­et, ein Embargo schnellstm­öglich umzusetzen. Teuer ist ja nicht das Embargo an sich, sondern der Krieg, und den verlängern wir durch unsere anhaltende­n Zahlungen an Putin.

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Klimaschut­zaktivisti­n Luisa Neubauer ist Hauptorgan­isatorin von Fridays for Future in Deutschlan­d.
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FOTOS (2): MARCO URBAN Michael Vassiliadi­s ist Vorsitzend­er der Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie.

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