Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Weltuntergang auf der Couch
„Climate Fiction“heißt inzwischen ein ganzes literarisches Genre, das sich mit dem Klimawandel und seinen Folgen für die Menschheit beschäftigt. Es ist ein vielfältiger Versuch, etwas kaum Greifbares sichtbar zu machen.
Eine der ältesten Erzählungen der Menschheit handelt von der großen Flut. 1000 Jahre bevor sie uns in der Bibel begegnet, findet sie sich schon im babylonischen Gilgamesch-epos. Von der Wortbedeutung hat die Sintflut nichts mit „Sünde“zu tun. Vielmehr bedeutet die germanische Vorsilbe „sin“soviel wie „andauernd“, „umfassend“oder einfach nur „groß“. Gleichwohl schickt Gott Wassermassen, da „der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar“(1. Mose – Kapitel 6).
Bis heute versuchen Wissenschaftler zu klären, ob es ein zentrales Fluterlebnis gegeben hat, was das kollektive Gedächtnis der Menschheit nachhaltig geprägt hat. Vor 15 Jahren gelang es ihnen, relativ exakt den Zeitpunkt zu bestimmen, als das Schwarze Meer in nur gut drei Jahrzehnten entstand. Um 6300 vor Christus brach infolge des weltweiten Anstiegs des Meeresspiegels, der mit der globalen Erwärmung zum Ende der Eiszeit einherging, die schmale Landbrücke am Bosporus. 73.000 Quadratkilometer Tiefebene nördlich des Mittelmeeres wurden in kürzester Zeit überflutet, die dort an einem Süßwassersee siedelnden Menschen vertrieben. Es muss ihnen wie der Untergang der Welt vorgekommen sein.
Der Mythos von der Sintflut ist noch immer stärker als der historische Beweis. Der schöpferische Akt der Kunst, auch jener der Religion, sucht stets den Sinn hinter dem vermeintlich Sinnlosen und vermag so einen Ausweg aus der Katastrophe zu finden. Das verleiht der menschlichen Spezies ihre Kraft. Das Kapitel der Sintflut schließt mit einem Happy End: Der neue Bund zwischen Gott und Noah enthält das himmlische Versprechen, dass sich eine solche Katastrophe nicht wiederholen soll. Eine Art göttliche Bestandsgarantie für die Schöpfung.
Im Moment können sich weite Teile der Menschheit nicht mehr so sicher sein, wie lange die bekannte Welt noch existieren wird. Und nicht göttliche Willkür dürfte der Grund sein, sollte sie untergehen. Die nächste große Flut ist menschengemacht.
Es sind weniger spektakuläre Missetaten, die dramatische Folgen für Natur und Mensch haben, die jedes Jahr sichtbarer werden. Das Unheil geschieht lautlos, es besteht aus Gedankenlosigkeit, Untätigkeit, Gleichgültigkeit und lähmender Angst. Einer der wenigen Romane, der die aktuelle Gegenwart der Krise einfängt, ist „Wetter“(2021) der Autorin Jenny Offills. Protagonistin Lizzie muss nicht nur ihr chaotisches Leben meistern, sondern betreut auch einen Endzeit-podcast, der tonnenweise Zuschriften von Preppern, Predigern, Apokalyptikern, Klimawandelleugnern und besorgten Müttern erhält. Daraus verdichtet sich ein Bild der kollektiven Zerrissenheit eines Landes angesichts einer ungewissen Zukunft.
Schon 2011 hat der bulgarische Schriftsteller Ilija Trojanow in „Eistau“die Ignoranz gegenüber den Ursachen für das sich verändernde Klima thematisiert. Sein Buch beginnt mit dem Satz: „Es gibt keinen schlimmeren Albtraum, als sich nicht mehr ins Wachsein retten zu können“, was die Gemütsverfassung seines Helden gut beschreibt. Ein früherer Gletscherforscher begleitet nun Touristengruppen bei Schiffstouren durch die Antarktis. Wissbegierig verfolgen die Passagiere seine Vorträge über das Sterben der Eisgiganten – um dann unbeschwert in ihr Luxusleben zurückzukehren.
Die Krise kommt nicht irgendwann, sie ist schon da. Das unterschwellig vorhandene Unbehagen zu beschreiben, auch die Machtlosigkeit, die viele verspüren, ist schwieriger, als den Klimawandel als dramatische Science-fiction zu inszenieren. Doch so beklemmend die vielen düsteren Dystopien in Literatur, Film oder bildender Kunst zum Thema auch sein mögen: Am Ende, etwa von Roland Emmerichs Klimakatastrophenepos „The Day After Tomorrow“(2004), ist man doch geneigt, sich aufatmend zurückzulehnen. War doch nur ein Film. Die Welt, die Couch, auf der man sitzt – alles noch da. Wird schon nicht so schlimm werden. Eines Tages vielleicht. Aber nicht heute.
„Waterworld“(1995) oder „Snowpiercer“(2013) gehören ebenfalls zu den Endzeitfilmen, bei denen freilich spektakuläres Actionkino im Vordergrund steht und nicht der Versuch, die Konsequenzen der Gegenwart für die Zukunft aufzuzeigen. Dem nähert sich das britische TVDrama „Der Marsch“(1990) ernsthafter: Als der Klimawandel große Teile Afrikas unbewohnbar gemacht hat, setzen sich seine Bewohner in Richtung Europa in Bewegung, was zu rassistischen Spannungen führt. Ein wenig ist die Vision von damals heute schon Realität, wohingegen in „Interstellar“(2014) die Erde bereits ein so trockener Ort geworden ist, dass eine neue in den Tiefen des Weltalls gesucht werden muss.
Überhaupt spielt „Climate Fiction“zum überwiegenden Teil in einer näheren oder fernen Zukunft, in der eine unberechenbar gewordene Natur das Überleben der Menschen bedroht. Frank Schätzings „Der Schwarm“(2004) zum Beispiel ist der wohl bekannteste deutsche Ökothriller, der die Folgen insbesondere der Zerstörung der Ozeane beschreibt. Die Natur schlägt mit Tsunamis, Untersee-erdrutschen und aggressiven Attacken diverser Meerestiere zurück – ausgelöst durch die Yrr, eine intelligente einzellige maritime Lebensform. Sven Böttchers „Prophezeiung“zählt ebenfalls zu den deutschen Bestsellern und handelt von bedrohlichen Klimavorhersagen, die aber unter Verschluss gehalten werden, bis eine junge Frau beschließt, die Welt zu warnen.
Von einer ganz anderen Seite geht der Architekturkritiker und Journalist Niklas Maak ans Thema heran: Sein Roman „Technophoria“(2020) handelt vom Umbau einer ganzen Weltregion, der Flutung der Kattara-senke in der Libyschen Wüste, durch die der Mensch den Anstieg des Meeresspiegels in den Griff zu bekommen sucht. Eine Geschichte zwischen Technik-faszination und Hybris. Eher zwiespältig lässt einen dagegen Michael Crichtons „Welt in Angst“(2004) zurück, das Klimawandel als einen von Umweltaktivisten erfundenen Betrug darstellt.
Oden an den Untergang, Elegien auf die Endzeit, apokalyptische Aussichten – all das macht „Climate Fiction“in den Augen der Literaturkritik ein wenig suspekt. Zu Unrecht. Denn das Genre schafft es immerhin, ein zentrales Thema aus dem Elfenbeinturm zu holen und eine Ahnung von dem zu vermitteln, was Sophokles in seiner vermutlich im Jahr 442 vor Christus uraufgeführten Tragödie „Antigone“zum Ausdruck bringt: „Vielgestaltig ist das Ungeheure, und nichts ist ungeheurer als der Mensch.“
Neben der Wissenschaft sind es vor allem die Kunst, die Mythen, nicht zuletzt die Religion, die das Leben nicht nur deuten, sondern das Verhalten von Menschen womöglich zum Besseren wenden können. „Bücher – gerade Romane, die Geschichten erzählen – bringen auf den Punkt, was sonst als abstraktes Phänomen wahrgenommen wird“, sagt Julia Hoydis, die ein gemeinsames Projekt der Universitäten Köln und DuisburgEssen über den literaturwissenschaftlichen Beitrag in der Kommunikation zum Klimawandel leitet.
So schlimm könnte es enden – so lautet einerseits die Botschaft von „Climate Fiction“. Darin schwingt andererseits immer auch mit, warum es so enden könnte. Die Entscheidung, ob der Weltuntergang nur auf der Couch stattfindet, liegt bei uns.
Das Unheil geschieht lautlos, es besteht aus Gedankenlosigkeit, Untätigkeit und Gleichgültigkeit