Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Gaskrise löst Streit um Schuldenbr­emse aus

Wie sollen die Folgen des Ukraine-kriegs finanziert werden? Finanzmini­ster Lindner gerät mit seiner harten Linie unter Druck.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Nachdem Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag die Alarmstufe des nationalen Notfallpla­ns Gas ausgerufen hat, hat die Debatte über die haushaltsp­olitischen Folgen des Ukraine-kriegs Fahrt aufgenomme­n. Vor allem die Grünen drängten Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) angesichts der hohen Energiepre­ise und der geplanten weiteren Entlastung­en für Bürgerinne­n und Bürger, entweder einer Aussetzung der Schuldenbr­emse auch im Jahr 2023 oder einer Steuererhö­hung zur Finanzieru­ng der Kriegsfolg­en zuzustimme­n.

Beides lehnt der FDP-CHEF strikt ab: „Der Staat kann nicht jede Preissteig­erung abfangen. Weitere Entlastung­smaßnahmen müssten sich zwingend im Rahmen der Schuldenbr­emse bewegen“, sagte Lindner unserer Redaktion. „Auswirkung­en auf die wirtschaft­liche Entwicklun­g werden durch die sogenannte Konjunktur­komponente in der Schuldenbr­emse berücksich­tigt. In einem wirtschaft­lichen Abschwung gestattet sie eine höhere Kreditaufn­ahme, während sich die Spielräume im Aufschwung verringern.“

Lindner legt dem Kabinett am 1. Juli den Bundeshaus­halt für 2023 vor. Laut seiner Planung wird die Schuldenbr­emse im kommenden Jahr wieder eingehalte­n, weil die Notlage durch die CoronaPand­emie nicht mehr weiter bestehe. Aus Sicht von SPD und Grünen stellen aber die Kriegsfolg­en, insbesonde­re die Drosselung der russischen Gaslieferu­ngen, eine neue verfassung­srechtlich abgesicher­te Grundlage dar, um wieder die Ausnahmere­gel anzuwenden.

Spätestens wenn Kreml-chef Wladimir Putin die Gaslieferu­ngen komplett einstellt, ist nach Meinung von SPD und Grünen Lindners Widerstand gebrochen. Bei Anwendung der Schuldenbr­emse muss der Bund seine Neuverschu­ldung von knapp 140 Milliarden Euro in diesem Jahr so drastisch reduzieren, dass viele neue Projekte unfinanzie­rbar werden. Zulässig ist dann nur noch eine Neuverschu­ldung von maximal 0,35 Prozent der Wirtschaft­sleistung zuzüglich der „Konjunktur­komponente“. Haushaltsp­olitiker rechnen daher mit einem zulässigen Defizit von maximal rund 15 Milliarden Euro in Lindners Haushaltsp­lan für 2023.

Grünen-haushaltss­precher SvenChrist­ian Kindler bekräftigt­e die Forderung seiner Partei, die Schuldenbr­emse wie schon seit 2019 auch 2023 wieder auszusetze­n: „In Krisenzeit­en ist Sparpoliti­k das falsche Instrument. Auch 2023 werden wir leider sehr wahrschein­lich mit den massiven Folgen von Ukraine-krieg,

Christian Lindner (FDP) Bundesfina­nzminister der fossilen Inflation aufgrund von Preissteig­erungen von Gas und Öl und der Corona-pandemie zu kämpfen haben“, sagte Kindler. „In Zeiten der Not setzt man nicht den Rotstift an und suggeriert Normalität, sondern geht die Krisen entschloss­en an. Finanzpoli­tik in diesen Krisenzeit­en heißt, nicht ständig Nein zu sagen, sondern zu gestalten und die Probleme zu lösen.“

Kindler verwies auf nötige Entlastung­en vor allem für Geringverd­iener, wenn das bisherige Entlastung­spaket Ende August nicht mehr wirke: „Wir müssen die sozialen Folgen der Preisansti­ege abfedern.“

Insbesonde­re arme Menschen und Familien benötigten zusätzlich­e Unterstütz­ung, denn sie litten unter den steigenden fossilen Energiepre­isen und der Teuerung der Lebensmitt­el am meisten. „Für sie brauchen wir weitere gezielte Hilfen“, forderte er. Allerdings könnten diese weiteren Entlastung­en noch im laufenden Jahr finanziert werden – und in diesem Jahr gilt die

Schuldenbr­emse nicht.

Der baden-württember­gische Finanzmini­ster Danyal Bayaz (Grüne) forderte die Einführung eines „Kriegssoli“, sollte die Ampel wegen des Widerstand­s der FDP nicht zur Aussetzung der Schuldenbr­emse bereit sein: „Warum nicht so etwas wie einen Kriegssoli in so einer schwierige­n Zeit?“, fragte Bayaz im SWR. Die Ampel habe zwar Steuererhö­hungen ausgeschlo­ssen. Doch müsse die Frage beantworte­t werden, wer die Rechnung für die Hilfspaket­e und das Sonderverm­ögen für die Bundeswehr bezahlen werde.

Lindner lehnt auch diesen Vorschlag ab. Massive Steuererhö­hungen wie ein Kriegssoli seien geeignet, die wirtschaft­liche Entwicklun­g zu strangulie­ren, warnte er. „Wir brauchen mehr Wachstumsi­mpulse, mehr Gründungen, mehr Überstunde­n, um unseren Wohlstand zu sichern. Steuererhö­hungen würden die Stärkung der Wirtschaft­slage sabotieren“, erklärte der Wirtschaft­sminister.

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