Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Warten auf den nächsten Papst
ANALYSE Franziskus hat gesundheitliche Probleme – die Bewegung fällt ihm zunehmend schwer. Deswegen blühen Spekulationen über seinen Rücktritt. Er selbst dementiert, aber längst laufen Vorbereitungen für das nächste Konklave.
Ein Mittwochmorgen im italienischen Hochsommer, der schon Anfang Juni begonnen hat. Auf dem Petersplatz gibt es Schatten nur unter dem großen Baldachin vor der Basilika. Der Jeep mit Papst Franziskus fährt die Rampe hinauf, die der Papst vor Wochen noch alleine, leicht gestützt, tapfer hinaufstapfte. Voller Mühe humpelt Franziskus die paar Schritte zum Polsterstuhl unter dem Baldachin. Kurz bevor er aus dem Fahrzeug steigt, hat das Vatikanfernsehen auf die Menge geschwenkt. Die Weltöffentlichkeit soll nicht direkt mitbekommen, wie gebrechlich der Stellvertreter Christi auf Erden geworden ist. Das könnte die frohe Botschaft trüben.
Franziskus, da ist er wieder ganz katholischer Anarchist, macht der Geheimniskrämerei dann selbst ein Ende, als er sagt: „Im Alter ist es eben so. Man bekommt all diese Krankheiten, und wir müssen sie akzeptieren, wenn sie kommen.“Dann zitiert er Jesus, der sich an Petrus gewandt und gesagt habe: „,Als du jung warst, warst du selbstgenügsam. Wenn du alt bist, wirst du nicht mehr so sehr Herr über dich und dein Leben sein.‘ Und das sagen sie mir, der ich im Rollstuhl herumfahren muss.“
Der Meister der diffusen Kommunikation hat mal wieder allen ein Schnippchen geschlagen. Die Menge lacht. Jetzt ist es das Knie. Nach Entzündung des Ischias-nervs, einer dramatischen Dickdarm-operation im Sommer 2021, als es für Jorge Bergoglio auf Messers Schneide stand, nun Bewegungsunfähigkeit. Franziskus selbst machte vor Wochen einen Witz und sagte, er wolle lieber abdanken, als sich noch mal operieren zu lassen. Die Vollnarkose letztes Jahr hatte ihm schwer zugesetzt. Das Zitat wurde kolportiert, dann folgten die Spekulationen über seinen Rücktritt, den er jüngst wieder einmal kategorisch ausgeschlossen hat.
„Wir sind in der Endphase des Pontifikats“, sagt der Vatikan-kenner und Buchautor Marco Politi: „Die Frage ist nur, wie lange sie dauert.“Vier, fünf Jahre wolle er amtieren, vielleicht auch nur zwei oder drei, sagte Franziskus einmal. Im kommenden März wären es zehn Jahre. Abnutzungserscheinungen sind nicht zu übersehen.
Aber Kurienmitarbeiter, Erzbischöfe und externe Beobachter sind sich einig, dass Franziskus nicht zurücktreten wird, solange sein 95 Jahre alter Vorgänger Benedikt XVI. noch am Leben ist. Drei Päpste, einen neu gewählten und zwei emeritierte, das wolle auch Franziskus seiner Kirche nicht zumuten. Sicher?
Im Gästehaus Santa Marta, in dem Franziskus zu Amtsbeginn sein Quartier bezogen hat, nahm 2013 alles seinen Lauf. Hier residierten viele Kardinäle, die im Konklave Bergoglio wählten. Hier kam man zusammen, checkte Kandidaten ab und verwarf sie. Hier leiteten die selbst ernannten Spin-doktoren die Wahl von Franziskus ein. Bergoglios langjähriger Chefberater im Hintergrund, Kardinal Óscar Rodríguez Maradiaga aus Honduras, wollte nach dem zweiten Wahlgang wissen, wie es wirklich um den rechten Lungenflügel Bergoglios stehe. Es hatte Gerüchte gegeben, der Erzbischof von Buenos Aires habe gesundheitliche Probleme. Bergoglio jedoch gab grünes Licht und wurde noch am selben Abend Papst.
Bergoglios Wahl wurde damals von der sogenannten Sankt-gallen-gruppe im Geheimen vorbereitet, einem Club reformorientierter Kardinäle und Bischöfe. Karl Lehmann und Walter Kasper gehörten dazu. Die einzigen drei deutschen Kardinäle heißen heute Reinhard Marx (München), Rainer Maria Woelki (Köln) und Gerhard Ludwig Müller. Dass sie sich in einer Gruppe
Marco Politi Journalist
treffen, ist unvorstellbar; zu verschieden sind ihre Vorstellungen, und zu beschäftigt in ihren Diözesen sind zumindest die ersten beiden.
Auch heute gibt es Gruppen, doch sie tagen fernab der Öffentlichkeit. Insider wissen von Seilschaften im italienischen Kardinalskollegium, das 2013 zerstritten war und nun den charismatischen Erzbischof von Bologna und neuen Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz, Matteo Zuppi, zum Kandidaten auserkoren hat. Zuppi hat beste Verbindungen zur liberalen Laiengemeinschaft Sant‘egidio, die voll auf der Franziskus-linie liegt.
Alternativ könnte Staatssekretär Pietro Parolin die auseinandertreibenden Enden wieder zusammenführen, meinen andere. Der Chef der Bischofskongregation, Marc Ouellet, wird wohl wieder einige Stimmen bekommen, Kardinal Sean O‘malley aus Boston ebenfalls, auch der Konservative Peter Erdö aus Budapest. Der „Restauration“, wie Franziskus selbst seine offenen und verdeckten Gegner nennt, die auf etwa 20 Prozent der Kirchenhierarchie geschätzt werden, werden aber keine echten Chancen eingeräumt. Die Hardliner im Kardinalskollegium wie Leo Burke, Robert Sarah oder den Ex-chef der Glaubenskongregation, den Deutschen Müller, hat der Papst entmachtet.
Seine Nachfolge bereitet er nun selbst in gewisser Weise vor. 67 von 117 derzeit wahlberechtigten, also unter 80-jährigen Kardinälen hat er ernannt. Im Oktober 2023 kommen Bischöfe und Kardinäle zur Weltsynode zusammen. „Ein kleines Konzil“nennt Vatikan-kenner Politi die Veranstaltung. Es soll um „Teilhabe und Teilnahme“gehen, um die Beteiligung von Frauen an der Kirchenleitung, um Synodalität im Allgemeinen. Franziskus, wenn er dann noch im Amt ist, will der Kirche zeigen, was er sich unter diesem Begriff vorstellt. Ganz gewiss wird es bei den informellen AbendRunden aber vor allem um die derzeit wichtigste Frage der Kirche gehen. Sie lautet: Wer wird der nächste Papst?
„Wir sind in der Endphase des Pontifikats“