Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein großer Sieg des Pragmatism­us

- VON MARTIN KESSLER

Das schwarz-grüne Experiment in Nordrhein-westfalen kann starten. Mit überwältig­ender Mehrheit haben die beiden Parteitage von CDU und Grünen ihre Zustimmung gegeben. Dass Letztere in Bielefeld lang und emotional über den Koalitions­vertrag diskutiert­en und die grüne Jugend sogar dagegen stimmte, kann nicht darüber hinwegtäus­chen, dass beide Parteien regieren wollen. Das Tempo und der Ehrgeiz insbesonde­re bei den Grünen überrasche­n dann schon, gerade auch weil er zulasten einiger zentraler Programmpu­nkte dieser Partei ging.

Das muss aber nicht von Nachteil sein. Denn Pragmatism­us ist in diesen schwierige­n Zeiten das Gebot der Stunde. Natürlich müssen der Klimaschut­z vorankomme­n, die Digitalisi­erung der Schulen fortschrei­ten, der Verkehr in NRW weniger stressig und umweltschä­dlich werden. Aber mit Maximalfor­derungen ist das nicht zu erreichen – weder bei der Union noch bei den Grünen. Und mit einem detaillier­ten, bis ins Kleinste ausformuli­erten Masterplan schon gar nicht.

Die beiden Partner müssen vor allem Geduld und Vertrauen für ihre Aufgabe mitbringen. Die groß angelegten Ziele, etwa Europas erste klimaneutr­ale Industrier­egion zu werden oder die digitale Schule zu verwirklic­hen, werden nur in mühsamer Kleinarbei­t erreicht werden. Zum einen ist der Handlungss­pielraum selbst eines so großen Landes wie NordrheinW­estfalen erschrecke­nd gering. Zum anderen gilt das Wort des großen Soziologen Max Weber jetzt umso mehr, dass Politik ein „starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenscha­ft und Augenmaß zugleich“ist.

Dafür bietet der Koalitions­vertrag ein ordentlich­es Fundament. Darauf können CDU und Grüne aufbauen, wenn beide Parteien Schwarz-grün zum neuen Modell machen wollen. Und das ist schon etwas.

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