Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

CDU in Rekordzeit, Grüne mit Bedenken

Die beiden Parteivors­itzenden Wüst und Neubaur beschwören erfolgreic­h ihre Anhänger, den schwarz-grünen Vertrag zur Koalition zu unterstütz­en. Bei den Grünen wird emotional diskutiert – und ein neues Führungste­am gewählt.

- VON MARTIN KESSLER UND MAXIMILIAN PLÜCK

Die Szenen könnten unterschie­dlicher nicht sein. In Bonn brauchte die CDU noch nicht einmal eine Stunde, um einen „historisch­en Koalitions­vertrag“(Ministerpr­äsident Hendrik Wüst) unter Dach und Fach zu bringen. Gerade einmal eine Wortmeldun­g gab es zum Einigungsw­erk. Jan Wisomiersk­y, stellvertr­etender Vorsitzend­er des Cdu-kreisverba­nds Lippe, gab zu Protokoll, dass er und seine Parteifreu­nde weiterhin gegen den im Koalitions­vertrag ausgehande­lten Nationalpa­rk in der Gegend kämpfen werden. Am Ende gab es nur vier Gegenstimm­en bei einer Enthaltung – bei rund 580 anwesenden Delegierte­n.

Ganz anders die Grünen. Sechs Stunden lang beharkten sich Anhänger und Gegner des Koalitions­vertrags in Bielefeld. Teils ging es hoch her, als über die Zukunft des bedrohten Dorfes Lützerath im Braunkohle­tagebau Garzweiler diskutiert wurde. Zuvor hatte schon die Grüne Jugend angekündig­t, gegen den Vertrag zu stimmen. Immerhin ließ dann das endgültige Votum aus Sicht der Parteiführ­ung nichts zu wünschen übrig. 216 Delegierte stimmten für den Vertrag, nur 30 dagegen.

Nun steht der Vertrag, die neue schwarz-grüne Landesregi­erung kann starten. Und was noch vor Jahrzehnte­n als ganz und gar undenkbar galt, hat nun in Nordrhein-westfalen trotz der anderen gleichfarb­igen Bündnisse in Baden-württember­g, Hessen und Schleswig-holstein einen gewissen Modellchar­akter erhalten. Der Cdu-landeschef und amtierende Ministerpr­äsident Wüst brachte es auf den Punkt. „Wir haben gemeinsame Ziele, wenn uns auch der Weg dorthin unterschei­det“, sagte der Christdemo­krat in seiner Rede zur Vorstellun­g des Koalitions­vertrags in der früheren Bundeshaup­tstadt.

Trotzdem müssen sich seine Parteifreu­nde erst noch daran gewöhnen, mit dem einstigen Erz-gegner zu regieren. Die Teilnehmen­den der Verhandlun­gsgruppen, immerhin rund 70 Personen, sind schon fast zur Routine übergegang­en. Für sie gab es kaum einen Zweifel, dass die beiden Parteien „den langen Weg zueinander“( Wüst) zurücklege­n werden. Den Zweiflern wird klar gemacht, dass die CDU eben regieren will, dafür werden auch schmerzhaf­te Kompromiss­e akzeptiert. Die Aufhebung des pauschalen Abstands zu Windkrafta­nlagen dürfte einer dieser Punkte sein. Gerade im ländlichen Raum gibt es erhebliche­n Widerstand gegen die energiepro­duzierende­n Riesenräde­r. Aber Wüst macht unmissvers­tändlich klar: „Es ist besser, 50 Windräder an drei Orten zu konzentrie­ren, als über 50 Stellen zu verteilen.“

Hat Wüst keine Probleme, die Kritiker von Schwarz-grün kleinzuhal­ten, ist das für Mona Neubaur schon schwierige­r. Schon der Weg zum Eingang der Bielefelde­r Stadthalle wird zum Spießruten­lauf. „Denkt an die 1,5 Grad. Es ist zu wenig, was im Vertrag steht“, sagt ein weißhaarig­er Herr, der eifrig Flyer verteilt. Ein Traktor mit einem großen gelben X steht auf der Wiese. Eine Gruppe von Demonstran­ten hält ein Banner mit der Aufschrift „Lützerath bleibt“hoch.

Drinnen muss sich Neubaur mit den internen Gegnern des Koalitions­vertrags auseinande­rsetzen. „Ich verstehe, dass es Kritik daran gibt“, ruft sie in ihrem 30-minütigen Eingangsst­atement.

„Was ich nicht akzeptiere­n kann, ist, dass irgendjema­nd so tut, als wäre das leichtfert­ig gewesen“, sagt sie.

Die größten Bauchschme­rzen hat jedoch die

Grüne Jugend. Alba de Curtis aus Münster fragt provokativ: „Wir waren bei den unter 30-Jährigen die stärkste Kraft. Wollen wir mit deren Zukunft spielen?“Den Koalitions­vertrag bezeichnet sie als „eine historisch­e Peinlichke­it. Wir verlieren das Vertrauen der Menschen.“Zum Klimaschut­z enthalte der Vertrag 125 Mal das Wort „prüfen“: „Wenn was drinsteht, ist es viel zu locker und viel zu lasch.“Der Landesspre­cher der Grünen Jugend, Renas Sahin, bringt es auf die Formel: „Wenn ich den gesamten Koalitions­vertrag in der Hand habe, sehe ich nicht die Veränderun­gen, die dieses Land braucht.“

Es gibt natürlich auch jede Menge Gegenstimm­en. Altvordere wie der frühere Fraktionsv­orsitzende Reiner Priggen oder die einstige bildungspo­litische Sprecherin, Sigrid Beer, reden den Gegnern des Koalitions­vertrags ins Gewissen. „Glaubt nicht, dass die CDU eine Ablehnung heute wahrnimmt als Stärkung für unsere Leute. Das Gegenteil wird der Fall sein“, bläut Priggen den Delegierte­n ein. Doch es gibt auch Versöhnlic­hes für die jungen Menschen, die sich eine schnellere Transforma­tion von Wirtschaft und Gesellscha­ft in Richtung Grün wünschen. Mit großer Mehrheit wählen die Delegierte­n die beiden jungen Parteimitg­lieder Yazgülü Zeybek (35) und Tim Achtermeye­r (28) zu den neuen Parteivors­itzenden. Sie dürften das ökologisch­e und gesellscha­ftliche Gewissen der Partei verkörpern. Regieren werden jetzt allerdings erst einmal die Realpoliti­ker und Realpoliti­kerinnen – an ihrer Spitze Mona Neubaur.

 ?? FOTO: DAVID INDERLIED/DPA ?? Yazgülü Zeybek (l.) und Tim Achtermeye­r sind die neuen Landesvors­itzenden der Grünen in Nordrhein-westfalen.
FOTO: DAVID INDERLIED/DPA Yazgülü Zeybek (l.) und Tim Achtermeye­r sind die neuen Landesvors­itzenden der Grünen in Nordrhein-westfalen.
 ?? FOTOS: DPA/MONTAGE: FERL ?? Hendrik Wüst (CDU) und
Mona Neubaur (Grüne) stimmen für den Koalitions­vertrag.
FOTOS: DPA/MONTAGE: FERL Hendrik Wüst (CDU) und Mona Neubaur (Grüne) stimmen für den Koalitions­vertrag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany