Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
CDU in Rekordzeit, Grüne mit Bedenken
Die beiden Parteivorsitzenden Wüst und Neubaur beschwören erfolgreich ihre Anhänger, den schwarz-grünen Vertrag zur Koalition zu unterstützen. Bei den Grünen wird emotional diskutiert – und ein neues Führungsteam gewählt.
Die Szenen könnten unterschiedlicher nicht sein. In Bonn brauchte die CDU noch nicht einmal eine Stunde, um einen „historischen Koalitionsvertrag“(Ministerpräsident Hendrik Wüst) unter Dach und Fach zu bringen. Gerade einmal eine Wortmeldung gab es zum Einigungswerk. Jan Wisomiersky, stellvertretender Vorsitzender des Cdu-kreisverbands Lippe, gab zu Protokoll, dass er und seine Parteifreunde weiterhin gegen den im Koalitionsvertrag ausgehandelten Nationalpark in der Gegend kämpfen werden. Am Ende gab es nur vier Gegenstimmen bei einer Enthaltung – bei rund 580 anwesenden Delegierten.
Ganz anders die Grünen. Sechs Stunden lang beharkten sich Anhänger und Gegner des Koalitionsvertrags in Bielefeld. Teils ging es hoch her, als über die Zukunft des bedrohten Dorfes Lützerath im Braunkohletagebau Garzweiler diskutiert wurde. Zuvor hatte schon die Grüne Jugend angekündigt, gegen den Vertrag zu stimmen. Immerhin ließ dann das endgültige Votum aus Sicht der Parteiführung nichts zu wünschen übrig. 216 Delegierte stimmten für den Vertrag, nur 30 dagegen.
Nun steht der Vertrag, die neue schwarz-grüne Landesregierung kann starten. Und was noch vor Jahrzehnten als ganz und gar undenkbar galt, hat nun in Nordrhein-westfalen trotz der anderen gleichfarbigen Bündnisse in Baden-württemberg, Hessen und Schleswig-holstein einen gewissen Modellcharakter erhalten. Der Cdu-landeschef und amtierende Ministerpräsident Wüst brachte es auf den Punkt. „Wir haben gemeinsame Ziele, wenn uns auch der Weg dorthin unterscheidet“, sagte der Christdemokrat in seiner Rede zur Vorstellung des Koalitionsvertrags in der früheren Bundeshauptstadt.
Trotzdem müssen sich seine Parteifreunde erst noch daran gewöhnen, mit dem einstigen Erz-gegner zu regieren. Die Teilnehmenden der Verhandlungsgruppen, immerhin rund 70 Personen, sind schon fast zur Routine übergegangen. Für sie gab es kaum einen Zweifel, dass die beiden Parteien „den langen Weg zueinander“( Wüst) zurücklegen werden. Den Zweiflern wird klar gemacht, dass die CDU eben regieren will, dafür werden auch schmerzhafte Kompromisse akzeptiert. Die Aufhebung des pauschalen Abstands zu Windkraftanlagen dürfte einer dieser Punkte sein. Gerade im ländlichen Raum gibt es erheblichen Widerstand gegen die energieproduzierenden Riesenräder. Aber Wüst macht unmissverständlich klar: „Es ist besser, 50 Windräder an drei Orten zu konzentrieren, als über 50 Stellen zu verteilen.“
Hat Wüst keine Probleme, die Kritiker von Schwarz-grün kleinzuhalten, ist das für Mona Neubaur schon schwieriger. Schon der Weg zum Eingang der Bielefelder Stadthalle wird zum Spießrutenlauf. „Denkt an die 1,5 Grad. Es ist zu wenig, was im Vertrag steht“, sagt ein weißhaariger Herr, der eifrig Flyer verteilt. Ein Traktor mit einem großen gelben X steht auf der Wiese. Eine Gruppe von Demonstranten hält ein Banner mit der Aufschrift „Lützerath bleibt“hoch.
Drinnen muss sich Neubaur mit den internen Gegnern des Koalitionsvertrags auseinandersetzen. „Ich verstehe, dass es Kritik daran gibt“, ruft sie in ihrem 30-minütigen Eingangsstatement.
„Was ich nicht akzeptieren kann, ist, dass irgendjemand so tut, als wäre das leichtfertig gewesen“, sagt sie.
Die größten Bauchschmerzen hat jedoch die
Grüne Jugend. Alba de Curtis aus Münster fragt provokativ: „Wir waren bei den unter 30-Jährigen die stärkste Kraft. Wollen wir mit deren Zukunft spielen?“Den Koalitionsvertrag bezeichnet sie als „eine historische Peinlichkeit. Wir verlieren das Vertrauen der Menschen.“Zum Klimaschutz enthalte der Vertrag 125 Mal das Wort „prüfen“: „Wenn was drinsteht, ist es viel zu locker und viel zu lasch.“Der Landessprecher der Grünen Jugend, Renas Sahin, bringt es auf die Formel: „Wenn ich den gesamten Koalitionsvertrag in der Hand habe, sehe ich nicht die Veränderungen, die dieses Land braucht.“
Es gibt natürlich auch jede Menge Gegenstimmen. Altvordere wie der frühere Fraktionsvorsitzende Reiner Priggen oder die einstige bildungspolitische Sprecherin, Sigrid Beer, reden den Gegnern des Koalitionsvertrags ins Gewissen. „Glaubt nicht, dass die CDU eine Ablehnung heute wahrnimmt als Stärkung für unsere Leute. Das Gegenteil wird der Fall sein“, bläut Priggen den Delegierten ein. Doch es gibt auch Versöhnliches für die jungen Menschen, die sich eine schnellere Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Grün wünschen. Mit großer Mehrheit wählen die Delegierten die beiden jungen Parteimitglieder Yazgülü Zeybek (35) und Tim Achtermeyer (28) zu den neuen Parteivorsitzenden. Sie dürften das ökologische und gesellschaftliche Gewissen der Partei verkörpern. Regieren werden jetzt allerdings erst einmal die Realpolitiker und Realpolitikerinnen – an ihrer Spitze Mona Neubaur.