Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Steuerfreie Prämie birgt Risiko
ANALYSE Millionen Arbeitnehmer profitierten von den Corona-prämien. Nun will der Kanzler die Kasse wieder öffnen, um Energiekosten auszugleichen.
Klare Unterstützung und deutliche Kritik erhält Kanzler Olaf Scholz für seine Idee, zum Ausgleich der Inflation den Arbeitgebern das Auszahlen einer steuer- und abgabenfreien Sonderprämie zu erlauben. Dies würde an die Corona-prämien der vergangenen zwei Jahre anknüpfen, bei der Arbeitgeber ihren Beschäftigten bis zu 1500 Euro steuer- und abgabenfrei auszahlen durften. Scholz will auch an die „konzertierte Aktion“der 60er-jahre anknüpfen: Wenn Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sich am 4. Juli treffen, soll überlegt werden, wie trotz Inflation von 7,9 Prozent zu hohe Lohnsteigerungen vermieden werden können, damit Jobs sicher bleiben und damit neue Preissteigerungen wegen zu hoher Löhne vermieden werden. Die Argumente.
Entlastungschance Gut findet die Idee Michael Hüther, Chef des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Eine solche Entlastung von Unternehmen und Arbeitnehmern könne „ein probates Instrument in Tarifverhandlungen und bei Gehaltserhöhungen“sein. Eine Studie des IW hatte im Januar gezeigt, dass viele Branchen steuerfreie Corona-prämien in Tarifverträge eingebaut hatten. Das senkte dann indirekt die prozentualen Erhöhungen der Gehälter etwas. Der Vorteil einer neuen Prämie, so Hüther zum „Handelsblatt“: „Dann wären diese Beiträge brutto für netto verfügbar.“
Mitnahmerisiko Das befürchtet Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). „Insbesondere, wo Unternehmen hohe Gewinne machen, ist eine Subventionierung dieser Arbeitgeber durch den Staat nicht angezeigt.“Er weist darauf hin, dass Abgabenfreiheit auch bedeuten würde, dass Firmen für den befreiten Teil des Lohnes keine Abgaben an die Kranken- und Rentenkassen zahlen. Auch um dem Vorwurf der Abzockerei zu entgehen, hatten Bayer, Evonik und Henkel
Corona-prämien nicht für alle bezahlt.
Grundgesetz „Falls der Bund die Gewerkschaften indirekt zu einer gewissen Zurückhaltung bei der Forderung nach hohen prozentualen Lohnerhöhungen bringen will, indem Einmalzahlungen teilweise steuerfrei werden, ist das sein Recht und denkbar“, sagt der Düsseldorfer Anwalt Julius Reiter: „Aber jede Vorstellung einer wie auch immer gearteten formalen Vereinbarung wäre weltfremd und wohl verfassungswidrig. Den Gewerkschaften ist ihre Tarifautonomie ein viel zu hohes Gut, als dass sie Tarifverhandlungen quasi mit indirekter Beteiligung des Staates führen würden.“
Entlastungsstrategie Ifo-chef Clemens Fuest sagt, „flächendeckende Hilfen für alle Arbeitnehmer“seien „der falsche Ansatz“. Der Staat solle gezielt Niedrigverdienern helfen. Ähnlich denkt Andreas Ehlert, Präsident von Handwerk NRW: „Die Idee könnte die nächste Strohfeueraktion sein, die folgenlos verpufft. Besser wären verlässliche Entlastungen bei der Energiebesteuerung oder bei der Einkommensteuer. Die Tarifpolitik müssen die Sozialpartner in eigener Verantwortung lösen, noch mehr politische Einflussnahme untergräbt das System nur weiter.“