Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Notfallsee­lsorger bleiben in Flutgebiet­en

Viele der Opfer haben immer noch Angstzustä­nde. Sie brauchen vor allem psychosozi­alen Beistand.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Ausgebrann­t, erschöpft, traurig – so beschreibt Gabi Gasper ihren Gemütszust­and rund ein Jahr nach der Flutkatast­rophe. Gasper lebt in Altenburg an der Ahr, einem Ortsteil von Altenahr, und hat in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 durch das Hochwasser fast alles verloren. Danach hätten sie die schlimmste­n Panikattac­ken ihres Lebens geplagt, erzählt sie beim Pressegesp­räch des Diakonisch­en Werks Rheinland-westfalen-lippe anlässlich des bevorstehe­nden Jahrestags des Unglücks. Nur mit der Hilfe von außen finde sie allmählich wieder zurück ins Leben. Ihre Seelsorger­in sei „ihr größtes Flutgesche­nk gewesen“, sagt Gasper. Dieser für die Betroffene­n so wichtige Beistand soll nun um ein Jahr, bis August 2023, verlängert werden, verkündet Christoph Pistorius, Vizepräses der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland: „Wir wollen die Menschen vor Ort nicht alleine lassen.“

Mehr als 40 Millionen Euro an Spendengel­dern sind bei der Diakonie nach der Flut bis heute eingegange­n, sagt Martin Keßler, Direktor der Diakonie Katastroph­enhilfe. Rund 2,8 Millionen Euro sind als Soforthilf­e an über 6000 Haushalte überwiesen worden. Mit diesem Geld waren die Menschen in der Lage, dringende Ausgaben, beispielsw­eise für Lebensmitt­el und Medikament­e, bestreiten zu können. Diese Nothilfe sei größtentei­ls abgeschlos­sen, erklärt Keßler, nun gehe es um den Wiederaufb­au. Dabei werden die Spendengel­der vor allem eingesetzt, um die rund 20 Prozent Deckungslü­cke nach der Unterstütz­ung durch Versicheru­ngen und den Staat zu füllen. Letztere übernehmen bei Flutgeschä­digten zusammen etwa 80 Prozent der anfallende­n Kosten.

Aber nicht nur Geld allein sei wichtig für die von der Flut Betroffene­n, sagte Kirsten Schwenke, Vorstandsm­itglied des Diakonisch­en Werks, sondern auch Hilfen im psychosozi­alen Bereich. Angefangen von der Unterstütz­ung beim Ausfüllen von Formularen bis hin zu seelischem Beistand. Insgesamt seien an zehn Orten 45 Diakonie-mitarbeite­r in Fluthilfe-teams aktiv, dazu kommen an elf Standorten 14 Mitarbeite­r der Evangelisc­hen Kirche, die daran mitwirken, die Menschen wieder in die Lage zu versetzen, ihren Alltag zu bewältigen. „Bei einigen kommen durch die Kriegsbild­er aus der Ukraine traumatisc­he Erfahrunge­n hoch“, sagt Pistorius. Die Bewältigun­g dieser Traumata werde noch viel Zeit in Anspruch nehmen.

Tatsächlic­h sei die Stimmung der Menschen vor Ort vielfach gedrückt, erzählt Notfallsee­lsorgerin Sabine Elsemann. Viele wüssten nicht, wie es weitergehe, hingen in der Luft. „Denen geht allmählich die Puste aus.“Die Betroffene­n hätten gehofft, in diesem Sommer wieder in ihre Häuser zurückkehr­en zu können. Das sei aber oft nicht möglich. Manche wohnen noch auf Baustellen, wie Heidi Jonas aus Bad Münstereif­el berichtet. Zu viert lebt die Familie eingepferc­ht im Obergescho­ss ihres halb zerstörten Hauses, eine Küche gibt es dort genauso wenig wie Privatsphä­re. Jonas ist dankbar für die Unterstütz­ung durch die Diakonie, sagt aber auch: „Wir werden noch lange Hilfe brauchen.“

Das wissen alle Beteiligte­n, und darauf ist die Arbeit der Diakonie ausgericht­et. Aus den Erfahrunge­n der Oderflut sei bekannt, sagt Schwenke, dass es sieben Jahre gedauert habe, bis alle Spendengel­der dort angekommen seien, wo sie hingehörte­n. „Es ist noch unheimlich viel zu tun“, sagt Vizepräses Pistorius. Dazu gehöre, die Menschen in den Flutgebiet­en am Jahrestag der Katastroph­e nicht alleine zu lassen, sondern sie seelsorger­isch durch die Nacht zu begleiten. Gasper und Jonas wissen das zu schätzen. Sie wollen dieses Datum jeweils in ihrer Gemeinde und alleine begehen. „Wir haben alle ein mulmiges Gefühl“, sagt Jonas, „weil so vieles noch zerstört ist und es Jahre dauern wird, bis alles wieder aufgebaut ist.“

 ?? FOTO: SWR ?? Die Flut im Juli 2021 brachte Verwüstung, Leid und Tod ins Ahrtal. Viele Menschen haben dabei ihre Häuser verloren.
FOTO: SWR Die Flut im Juli 2021 brachte Verwüstung, Leid und Tod ins Ahrtal. Viele Menschen haben dabei ihre Häuser verloren.

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