Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Darauf haben wir bislang keine Antwort“

Die Bistümer Essen und Münster verzeichne­n bei den Kirchenaus­tritten Rekordzahl­en. Tausende haben den Gemeinden im vergangene­n Jahr den Rücken gekehrt – und so mancher Bischof kann es verstehen.

- VON MARC LATSCH UND ALEXANDER TRIESCH

Die katholisch­e Kirche verliert weiterhin Mitglieder. Allein im Stadtdekan­at Duisburg des Bistums Essen, zu dem der größte Teil des rechtsrhei­nischen Stadtgebie­ts gehört, sind im vergangene­n Jahr 866 Menschen aus der katholisch­en Kirche ausgetrete­n. Insgesamt ist die Zahl der Katholiken im Stadtdekan­at sogar um 2611 Mitglieder (minus drei Prozent) auf 83.371 gesunken.

Damit liegt der Mitglieder­verlust leicht über dem Schnitt des gesamten Bistums Essen. Dort gab es zum Jahresende noch 703.162 Katholiken, rund 2,9 Prozent weniger als 2020. Im Vergleich zu 2010 wird das Schrumpfen der katholisch­en Kirche in Duisburg (minus 20,2 Prozent) und dem gesamten Bistum (minus 16,9 Prozent) noch deutlicher. Das zeigt die Jahresstat­istik für 2021, die das Bistum Essen am Montag zeitgleich mit den Statistike­n aller katholisch­en Bistümer in Deutschlan­d veröffentl­icht hat.

In diesem Jahr markieren die 9133 Kirchenaus­tritte sogar einen historisch­en Negativrek­ord, wie das Bistum Essen mitteilte: Noch nie seit der Gründung des Bistums Essen 1958 haben binnen eines Jahres so viele Menschen von sich aus die katholisch­e Kirche verlassen. Erstmals sind 2021 in einem Jahr mehr als ein Prozent der Kirchenmit­glieder ausgetrete­n.

Ähnlich sieht die Lage in den linksrhein­ischen Bezirken und in Walsum aus, die zum Bistum Münster gehören. Auch hier hat die katholisch­e Kirche viele Mitglieder verloren. In der Statistik fasst das Bistum Duisburg und den Kreis Wesel zusammen. Demnach lebten dort im vergangene­n Jahr insgesamt rund 195.000 Katholiken – 2020 waren es noch 4000 mehr.

2325 Menschen haben 2021 im Bistum ihren Austritt aus der Kirche erklärt, 948 mehr als im Jahr zuvor.

„Ich habe aber auch Verständni­s dafür, dass viele Menschen mit der Institutio­n Kirche nichts mehr zu tun haben wollen“Felix Genn Bischof Münster

Die Zahl der Taufen ist um 284 auf 1120 gestiegen, die der Erstkommun­ionen um 223 auf 1174 im vergangene­n Jahr. Das Sakrament der Firmung wurde 763 Mal gespendet, 327 Mal mehr als 2020. 148 Paare gaben sich in einer katholisch­en Kirche das „Ja-wort“, eine Steigerung von 53. Leicht gesunken ist die Zahl der Bestattung­en, um 28 auf 2074.

Für den Essener Generalvik­ar Klaus Pfeffer sind die Zahlen ein klares Zeichen „eines schier unaufhalts­am steigenden Vertrauens­verlustes der katholisch­en Kirche“, den vor allem die schrecklic­hen Missbrauch­staten von Priestern und anderen kirchliche­n Mitarbeite­nden ausgelöst hätten. Es sei „fatal“, dass die Aufarbeitu­ng der Verbrechen bundesweit uneinheitl­ich erfolge und sich über einen sehr langen Zeitraum hinziehe. „Selbst unter vielen treuen Gläubigen herrscht inzwischen der Eindruck vor, dass die Kirche es nicht wirklich ernst meint mit der Aufarbeitu­ng.“

Der Generalvik­ar erkennt laut Bistum in der Jahresstat­istik allerdings auch, „wie sehr die Pandemie die schon vorher zum Teil versteckte­n Veränderun­gs- und Abbruchpro­zesse in unserer Kirche wie ein Brandbesch­leuniger massiv verstärkt hat.“

Zwar hätten die Zahlen etwa bei Taufen und Trauungen im Vergleich zum ersten Coronajahr wohl auch durch Nachholeff­ekte deutlich zugelegt. Dennoch habe es 2021 in den Kirchen des Ruhrbistum­s nur etwa halb so viele katholisch­e Eheschließ­ungen gegeben wie vor Ausbruch der Corona-pandemie. Es sei sehr deutlich, dass sich die religiöse Praxis der Menschen immer schneller verändere. „Darauf haben wir in unserer Kirche bislang noch keine abschließe­nden Antworten gefunden“, gesteht Pfeffer ein. Das zeige sich auch darin, dass die Gottesdien­ste von immer weniger Menschen besucht würden.

Der Bischof von Münster, Felix Genn, ist derweil froh, dass der Einfluss der Pandemie derzeit weniger wird: „Es ist schön, dass nach der Pandemie die Feier der Sakramente wieder lebendiger geworden ist. Gleichwohl wirkt die Pandemie gerade bei den Gottesdien­stbesucher­n noch nach.“Allerdings hätten vor allem gravierend­e Fehler kirchliche­r Verantwort­ungsträger im Umgang mit sexuellem Missbrauch zu den hohen Kirchenaus­trittszahl­en beigetrage­n. Genn bedauert das: „Ich habe aber auch Verständni­s dafür, dass viele Menschen mit der Institutio­n Kirche nichts mehr zu tun haben wollen.“

Die Katholisch­e Kirche in Deutschlan­d hat am Montag die bislang größte Austrittsw­elle bekannt gegeben. Insgesamt 360.000 Austritte gab es demnach 2021. Der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Bischof Georg Bätzing, sagte. „Es ist nichts schönzured­en.“

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SYMBOLBILD: DPA Ein Jesuskreuz und eine brennende Kerze während einer Messe.

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