Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Endspurt für das deutsche Fotoinstitut
Düsseldorf und Essen bringen sich erneut in Stellung für den Standort eines neuen Bundesfotoarchivs: Die Landeshauptstadt mit einer neuen Analyse, die Ruhrgebietsstadt mit einer Diskussionsrunde auf Zeche Zollverein.
Jetzt oder nie muss die Entscheidung für ein Bundesfotoarchiv fallen, damit es nicht der allgemeinen politischen Wetterlage geopfert wird. Deshalb ergriffen die Städte Essen und Düsseldorf, die beide das Institut in ihre Mauern holen möchten, die Flucht nach vorn. Essen lud zur hochkarätigen Diskussionsrunde auf die Zeche Zollverein, Düsseldorf veröffentlichte seine Analyse zur Fotografie in der Landeshauptstadt.
Beide Städte hatten sich in der Zwischenzeit Verbündete besorgt. In Essen sind es die milliardenschwere Rag-stiftung und die Krupp-stiftung. Bernd Tönjes, Vorstandsvorsitzender der Rag-stiftung, bietet seine Hilfe an, denn für ihn ist Essen seit 150 Jahren einer der bedeutendsten Standorte für Fotografie als Bildgedächtnis der Montanindustrie. Mit leichter Ironie verwies er auf Andreas Gursky, der zwar die Werbetrommel für Düsseldorf rührt, aber 2008 mit „Hamm, Bergwerk Ost“das Großformat einer Waschkaue schuf.
Für Tönjes wie für den Rektor der Folkwang-universität der Künste, Andreas Jacob, ist die Zeche Zollverein der ideale Standort, denn dort sitzen die Stiftung, der Campus und das Ruhr-museum – Sinnbilder für Kultur, Bildung, Freiheit und Wirtschaft. Mit dem historischen Archiv Krupp und dem Museum Folkwang bilden sie schon heute das Zentrum für Fotografie, das es auszubauen gilt. Der Essener Rektor verwies auf sein Haus als Forschungsinstitut mit sechs Fotografie-professoren, die 180 Studierende zu Künstlern und Wissenschaftlern ausbilden. „Wir hätten mit unseren Absolventen zugleich die Mitarbeiter des neuen Instituts. Wir könnten die Expertise, die wir seit Jahren fördern, hier auch einbringen“, sagte er.
Essen kann seine Vorrangstellung auch mit Zahlen belegen. So deckt das Museum Folkwang die gesamte Geschichte der Fotografie mit 65.000 Fotos, in der Mehrzahl mit Vintages ab. Das Historische Archiv Krupp greift auf 2,5 Millionen Bilder zurück und bezeichnet sich als das älteste und größte fotografische Wirtschaftsarchiv Deutschlands. Das Ruhr-museum gilt als eine der größten dokumentarfotografischen
Sammlungen in Deutschland mit über vier Millionen Beispielen.
Folkwang-direktor Peter Gorschlüter wehrt zugleich das von Düsseldorf betonte Argument der künstlerischen Fotografie ab. „Der Kamera ist es egal, wer aus welchem Grund auf den Auslöser drückt. Ein Foto, das dokumentarisch aufgenommen wurde, kann durch den Kontext, in dem es gezeigt wird, einen anderen Wert erfahren. Es gibt keine Grenze zwischen künstlerischer und dokumentarischer Fotografie.“
Düsseldorf gibt den Wettkampf dennoch nicht auf. Immerhin sitzt hier die Julia Stoschek Collection als weltgrößte Privatsammlung zeitbasierter Medienkunst. Die Sammlung des Kunstpalastes ist mit 3000 Fotos aus der Sammlung Kicken zwar jung, aber Theatermuseum und Filmmuseum bringen es zusammen auch auf über eine Million fotografischer Objekte. Der Trumpf der Landeshauptstadt liegt jedoch in den 250 namentlich genannten Fotokünstlern. „Düsseldorf: Ort fotografischer Praxis“heißt es voller Stolz. Von A bis Z sind sie alle vertreten, von Auberger über Gursky bis Zeitler, von Baumgarten über Wolleh bis Ruff, von Becher bis Wegwerth, Wenders und Wilp, aber auch von Polke bis Richter, die das Medium Fotografie in ihre malerischen
Prozesse einbezogen haben. „Die gelebte fotografische Praxis hat zu einem erweiterten Begriff der Fotografie geführt“, so die Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Christiane Irrgang, die großzügig auch Joseph Beuys in die Fotokunst einbezieht.
Weitere Pluspunkte der Landeshauptstadt sind die Galerien. Hans Mayer setzte früh auf Peter Lindbergh, Helmut Newton und Nam June Paik. Konrad Fischer hob die Arbeiten von Bernd und Hilla Becher aus der Taufe. Die Düsseldorfer Expertise betont zugleich, dass die Initiative zum bundesdeutschen Fotoinstitut nicht von der Politik, sondern 2009 von Düsseldorfer Künstlern unter Andreas Gursky und Moritz Wegwerth kam. Sie gründeten einen Verein, arbeiteten eine Konzeption für das DFI aus und fanden erlesene Institute und Geistesgrößen als Verbündete. Dazu gehören die Photographische Sammlung/sk Stiftung Kultur in Köln in Zusammenarbeit mit Max Becher, dem Leiter des Studios
Bernd & Hilla Becher, die Kunstakademie, das Jacques-herzog-undPierre-de-meuron-kabinett in Basel sowie das Depot Boijmans Van Beuningen in Rotterdam.
Den Initiativen und Künstlern gehe es darum, Fotos nicht nur zu bewahren, sondern auch zu produzieren und gleichermaßen zu reflektieren, Hand in Hand mit den berühmten Laborfachleuten von Firmen wie Grieger und HSL. Bedeutende Hersteller optischer Techniken sitzen in der Stadt. Für den privaten Verein zur Gründung eines Düsseldorfer Fotoinstituts unter den Freunden Wegwerth & Gursky steht fest: „Ein wesentlicher Ausgangspunkt ist der Mensch: Keine Fotografie existiert ohne Autor. Algorithmus, C-print, Abzug, Rahmen, Sammlung oder Vor- und Nachlass stehen immer in Beziehung zu Individuen, Werkstätten und Ateliers, deren Wissen und Erfahrung in der institutionellen Aufbereitung individuell mitgedacht und eingebunden werden müssen.“