Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Kleine Monster in unserem Hirn
Coronaviren könnten Auswirkungen auf unsere Psyche haben.
Auf einem Flug nach Boston infizierte ich mich mit SarsCOV-2. Anstatt eine Tagung zu besuchen, lag ich mit Fieber im Bett. Drei Wochen später sind keine Viren mehr in meinem Körper nachweisbar. Der Druck im Kopf jedoch bleibt, und ich fühle mich matt und lustlos. Eine Studentin berichtete kürzlich, dass sie seit ihrer Corona-infektion unter wiederkehrenden Panikattacken leidet. Andere Studierende entwickelten Soziophobien und Angststörungen, die den Studienverlauf belasten. Ein Kollege erzählte, dass er seit seiner ersten Corona-erkrankung unter Konzentrationsschwächen leidet. Was macht das Virus mit unserem Kopf?
Viele Pathogene liebäugeln mit unserem Gehirn. Lippenherpesviren, von denen über die Hälfte der Bevölkerung befallen ist, persistieren in den Nervenganglien unseres Kopfes und führen in unglücklichen Fällen zu lebensgefährlichen Hirnentzündungen. Syphilis wiederum ist eine bakterielle Geschlechtserkrankung, die mit dem Befall der Haut beginnt und in der Zerstörung des zentralen Nervensystems endet. Die Betroffenen wurden früher für irrsinnig erklärt. Malaria und die Schlafkrankheit hingegen werden durch einzellige Parasiten in unserem Blut hervorgerufen. Auch sie haben eine Vorliebe für das Gehirn, was zu Verwirrungszuständen und später zu Koma und Tod der Patienten führt. Besonders gruselig ist Toxoplasma, ein naher Verwandter des Malariaerregers, der unter anderem durch rohes Fleisch übertragen wird. Er bildet im Gehirn des Menschen Zysten aus, die in den Infizierten gesteigerte Aggressionen hervorrufen können. Die Durchseuchungsrate in Deutschland liegt bei 70 Prozent.
Die kleinen Monster in unserem Gehirn sind Teil unseres Menschseins. Ob Coronaviren unsere Psyche direkt oder indirekt belasten, muss noch geklärt werden. Alarmierend ist jedoch, dass sich innerhalb von zwei Jahren knapp zehn Prozent der Weltbevölkerung mit Covid-19 infiziert haben. Damit einher geht eine weltweite sprunghafte Zunahme von Depressionen, deren Auswirkungen noch nicht einschätzbar sind.
Unsere Autorin ist Professorin für Infektionsbiologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophin Maria-sibylla Lotter ab.