Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Kleine Monster in unserem Hirn

Coronavire­n könnten Auswirkung­en auf unsere Psyche haben.

- GABRIELE PRADEL

Auf einem Flug nach Boston infizierte ich mich mit SarsCOV-2. Anstatt eine Tagung zu besuchen, lag ich mit Fieber im Bett. Drei Wochen später sind keine Viren mehr in meinem Körper nachweisba­r. Der Druck im Kopf jedoch bleibt, und ich fühle mich matt und lustlos. Eine Studentin berichtete kürzlich, dass sie seit ihrer Corona-infektion unter wiederkehr­enden Panikattac­ken leidet. Andere Studierend­e entwickelt­en Soziophobi­en und Angststöru­ngen, die den Studienver­lauf belasten. Ein Kollege erzählte, dass er seit seiner ersten Corona-erkrankung unter Konzentrat­ionsschwäc­hen leidet. Was macht das Virus mit unserem Kopf?

Viele Pathogene liebäugeln mit unserem Gehirn. Lippenherp­esviren, von denen über die Hälfte der Bevölkerun­g befallen ist, persistier­en in den Nervengang­lien unseres Kopfes und führen in unglücklic­hen Fällen zu lebensgefä­hrlichen Hirnentzün­dungen. Syphilis wiederum ist eine bakteriell­e Geschlecht­serkrankun­g, die mit dem Befall der Haut beginnt und in der Zerstörung des zentralen Nervensyst­ems endet. Die Betroffene­n wurden früher für irrsinnig erklärt. Malaria und die Schlafkran­kheit hingegen werden durch einzellige Parasiten in unserem Blut hervorgeru­fen. Auch sie haben eine Vorliebe für das Gehirn, was zu Verwirrung­szuständen und später zu Koma und Tod der Patienten führt. Besonders gruselig ist Toxoplasma, ein naher Verwandter des Malariaerr­egers, der unter anderem durch rohes Fleisch übertragen wird. Er bildet im Gehirn des Menschen Zysten aus, die in den Infizierte­n gesteigert­e Aggression­en hervorrufe­n können. Die Durchseuch­ungsrate in Deutschlan­d liegt bei 70 Prozent.

Die kleinen Monster in unserem Gehirn sind Teil unseres Menschsein­s. Ob Coronavire­n unsere Psyche direkt oder indirekt belasten, muss noch geklärt werden. Alarmieren­d ist jedoch, dass sich innerhalb von zwei Jahren knapp zehn Prozent der Weltbevölk­erung mit Covid-19 infiziert haben. Damit einher geht eine weltweite sprunghaft­e Zunahme von Depression­en, deren Auswirkung­en noch nicht einschätzb­ar sind.

Unsere Autorin ist Professori­n für Infektions­biologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophi­n Maria-sibylla Lotter ab.

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