Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

RHEINISCHE LÖSUNG Rheinische­s Taktgefühl

Musik, die der guten Stimmung dient, ist nicht verwerflic­h, sondern willkommen.

- HORST THOREN

Der Rheinlände­r hat ein feines Gespür für schräge Töne. Deshalb wird hierzuland­e auch unterschie­den zwischen Musik, gern auch klassisch intoniert und im Konzert inszeniert, oder Musick, gemacht und gespellt vörr de Freud. Musick, die Betonung liegt auf dem ck, hat einen vor allem unterhalte­nden Zweck, wird – wenn eintönig – als Jedudels verunglimp­ft, kann aber auch ausgelasse­n und fröhlich sein – Kirmesmusi­ck oder Rockmusick. Insoweit haben Campino und die Kölner Brings-brüder eins gemeinsam: Sie wissen, wie außer Rand und Band geht, wie Musick funktionie­rt – über Ohr und Herz. Das sind rheinische Profis, denen kein Türelür daneben geht. Ganz anders im Brauchtum. Da wird – ob zur Kirmes oder im Karneval – Musick gebraucht, um in

Bewegung zu kommen, zu schunkeln, zu paradieren, zu jubilieren. Entscheide­nd ist häufig nicht, ob die Akteure wirklich Musick mahke könne, wichtig ist, dass sie es irgendwie gut rüber bringen.

So wird hierzuland­e getrötet, was das Zeug hält. Bei uns zu Hause hat meine Herzallerl­iebste das geübte Gehör. Oft genug verkündet sie: „Hörst du das gar nicht – die spielen falsch.“Dann muss ich die Kritikerin, von ihrem bergischen Vater musikalisc­h, aber wenigernig­er in Stimmungen geschult, aufklären: „Et jeht doch ömm de Freud.“Heißt konkret: Hauptsache, das Bierchen schmeckt. Und deshalb bekommen die Musikanten, unter denen es natürlich wirklich Gute gibt, zwischendu­rch immer auch eine Runde ausgegeben. Motto: Ohne Tön kann kinner

Musick mahke. Ohne Bierche och net. Was nun Musik oder Musick ist, wird klar kommunizie­rt. Als jüngst unser benachbart­er Wirt, in dessen Draußengas­tronomie der Stern (der deinen Namen trägt) besungen wird, für ihn ungewöhnli­che Töne vernahm, fragte er an: „Spielt Ihr Weihnachts­lieder?“Es war aber Bach. Meine Freundin saß am Cembalo. Unser Bürgermeis­ter ist jetzt auch Tröötemann geworden. Er übt Alphorn, das er zum Schützenfe­st geschenkt bekommen hat, weil er ja schon als Trommler Taktgfühl bewiesen habe. Wie pflegte mein Vater, nicht ohne Zwischentö­ne, zu sagen: „Da muss man Freud dran haben.“

Unser Autor ist stellvertr­etender Chefredakt­eur. Er wechselt sich hier mit Politikred­akteurin Dorothee Krings ab.

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