Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Was Bus und Bahn wirklich attraktiver macht
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat ein Nachfolge-angebot für das Neun-euro-ticket gefordert – und sogar schon einen Preis genannt. Dabei müsste zunächst einmal diskutiert werden, welche Subventionen der öffentliche Nahverkehr braucht.
Eine günstige Monatskarte für ganz Deutschland, das lockt gleich mit zwei Komponenten, die viele im ÖPNV vermissen: Tiefpreis und Einfachheit. Und das kommt an. Mehr als 16 Millionen Neun-euro-tickets hat die Bahn bereits verkauft, mehr als eine Million davon allein in Berlin. Gerade in Ballungszentren mit gut ausgebautem Streckennetz ist das Ticket attraktiv. Ob die Begeisterung hält, muss sich nun erweisen, denn nach dem Auftakt mit Tamtam müssen neue Tickets erstanden werden – der Kunde zieht also erste Bilanz.
Schon jetzt zeigt sich, dass vor allem auf beliebten Touristenstrecken die Auslastung enorm gestiegen ist. Das hat zu Ärger und Frust geführt wegen überfüllter Züge. Andererseits geben viele der Bahn in diesen Tagen mal wieder eine Chance – und machen günstig Ausflüge. Vor allem für Menschen mit geringem Einkommen bedeutet das neue Freiheiten. Auch die Innenstädte füllen sich. Verbraucherschützer fordern jedenfalls schon jetzt, dass es ein Nachfolge-angebot geben sollte, wenn die Neun-euro-zeit Ende August ausläuft. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat dazu bereits ein 29-Euro-ticket ins Spiel gebracht.
Damit hat die Debatte darüber begonnen, wo die preisliche Schmerzgrenze für Monatstickets liegt. Dabei müsste erst einmal die viel grundsätzlichere Frage geklärt werden, ob pauschale Günstigtickets überhaupt sinnvoll sind. Denn daran gibt es Zweifel. Verkehrsexperten haben schon vor dem Neun-euro-experiment gemahnt, dass Investitionen in das Angebot wichtiger wären als Subventionen für billige Tickets. Und dabei bleiben sie auch nach einem Monat Feldtest.
„Es ist gut, wenn der Zugang zum ÖPNV einfach und unkompliziert ist“, sagt etwa Philipp Kosok von der Berliner Agora Verkehrswende. Doch niedrige Preise kosteten viel staatliches Geld. Die drei Sommermonate werden mit 2,5 Milliarden Euro subventioniert. „Das Geld wird dringender gebraucht, um das Angebot von Bus und Bahn weiter auszubauen und damit den öffentlichen Nahverkehr auch in ländlichen Regionen attraktiv zu machen“, sagt Kosok. Das Angebot bisher sei für die meisten Menschen keine Alternative zum eigenen Auto. Der Bund müsse seine Zuwendungen für die Infrastruktur dauerhaft und deutlich aufstocken – und stark verbilligte Tickets vor allem für Menschen mit geringem Einkommen anbieten.
Auch der Verkehrsexperte Christian Böttger, Professor an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, hält subventionierte Pauschaltickets für den falschen Weg. „Die ersten Daten zum NeunEuro-ticket zeigen, dass vor allem mehr Verkehr erzeugt wurde, aber nicht die erhoffte Verlagerung von der Straße auf die Schiene gelungen ist“, sagt Böttger. Die Schiene mache nur zehn Prozent des Gesamtverkehrsvolumens aus. Wenn nun durch die deutschlandweit gültigen Billigtickets auf der Schiene 30 Prozent mehr Verkehr erzeugt wurde, ändere das an dem für die Umwelt bedenklich geringen Schienenanteil erst mal nichts.
Die bestehenden Tarifsysteme hätten dagegen auch eine Lenkungsfunktion. Die habe man für den Sommer außer Kraft gesetzt, was zu den bekannten Überlastungen auf beliebten Strecken geführt und eine Menge Geld gekostet habe. Darum ist Böttger auch skeptisch, was die Fortführung von Billigangeboten angeht. „Wenn ein ähnliches Angebot auch für die Wintermonate kommt, finanzieren wir mit Steuergeldern, dass Skitouristen billig in die Alpen kommen, statt das Geld in Sanierung und Ausbau des Systems zu stecken.“
Doch was müsste der ÖPNV konkret anders machen? „Alles“, sagt Andreas Knie, Verkehrsexperte beim Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ( WZB). Das NeunEuro-ticket habe den Reformbedarf offengelegt. Das deutsche Bus- und Bahnsystem sei immer als Nischenangebot gedacht worden – als Ergänzung zum Auto. Darum habe es gar nicht die Strukturen, um in der Fläche attraktiv zu werden. „Und ehrlicherweise fehlt es auch am Willen“, sagt Knie. Es sei doch bezeichnend, dass die größten Klagen über die akut gestiegene Nachfrage aus der Branche selbst kämen.
Statt halb leere Busse übers Land gondeln zu lassen, wäre es etwa sinnvoller, Taxen und Mietwagen zu subventionieren, die nach Bedarf Fahrgäste einsammelten. „Wer Leute für öffentlichen Transport gewinnen will, muss von Haustür zu Haustür denken“, sagt Knie. Zubringerservice zu Bahnhöfen oder in die Innenstädte, bessere Taktung auf den wichtigen Routen und vereinfachte Tarifstrukturen seien nötig, damit Kunden langfristig für den öffentlichen Verkehr gewonnen würden. „Bei aller Begeisterung für das Neun-euro-ticket, zwei Drittel der Deutschen hat man bisher nicht erreicht, die haben die Bahn längst abgeschrieben und sind auch mit Tiefpreisen nicht aus dem Auto zu locken“, sagt Knie.
Wenn die Verkehrswende also das Ziel ist, müsste der Neun-euroSommer eine Art Motivationsspritze zum Bahnfahren gewesen sein. Teuer, aber endlich! Abgelöst werden müsste die Billigkarte durch ein sozial gestaffeltes Ticket mit simpler Gültigkeitsstruktur ohne komplizierte Tarifzonengrenzen. Doch müsste es vor allem neue Angebote geben, die auch aus den Erfahrungen dieses Sommers entwickelt werden. Dann hätte sich das NeunEuro-experiment am Ende vielleicht doch gelohnt.