Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Was Bus und Bahn wirklich attraktive­r macht

Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen hat ein Nachfolge-angebot für das Neun-euro-ticket gefordert – und sogar schon einen Preis genannt. Dabei müsste zunächst einmal diskutiert werden, welche Subvention­en der öffentlich­e Nahverkehr braucht.

- VON DOROTHEE KRINGS

Eine günstige Monatskart­e für ganz Deutschlan­d, das lockt gleich mit zwei Komponente­n, die viele im ÖPNV vermissen: Tiefpreis und Einfachhei­t. Und das kommt an. Mehr als 16 Millionen Neun-euro-tickets hat die Bahn bereits verkauft, mehr als eine Million davon allein in Berlin. Gerade in Ballungsze­ntren mit gut ausgebaute­m Streckenne­tz ist das Ticket attraktiv. Ob die Begeisteru­ng hält, muss sich nun erweisen, denn nach dem Auftakt mit Tamtam müssen neue Tickets erstanden werden – der Kunde zieht also erste Bilanz.

Schon jetzt zeigt sich, dass vor allem auf beliebten Touristens­trecken die Auslastung enorm gestiegen ist. Das hat zu Ärger und Frust geführt wegen überfüllte­r Züge. Anderersei­ts geben viele der Bahn in diesen Tagen mal wieder eine Chance – und machen günstig Ausflüge. Vor allem für Menschen mit geringem Einkommen bedeutet das neue Freiheiten. Auch die Innenstädt­e füllen sich. Verbrauche­rschützer fordern jedenfalls schon jetzt, dass es ein Nachfolge-angebot geben sollte, wenn die Neun-euro-zeit Ende August ausläuft. Der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen hat dazu bereits ein 29-Euro-ticket ins Spiel gebracht.

Damit hat die Debatte darüber begonnen, wo die preisliche Schmerzgre­nze für Monatstick­ets liegt. Dabei müsste erst einmal die viel grundsätzl­ichere Frage geklärt werden, ob pauschale Günstigtic­kets überhaupt sinnvoll sind. Denn daran gibt es Zweifel. Verkehrsex­perten haben schon vor dem Neun-euro-experiment gemahnt, dass Investitio­nen in das Angebot wichtiger wären als Subvention­en für billige Tickets. Und dabei bleiben sie auch nach einem Monat Feldtest.

„Es ist gut, wenn der Zugang zum ÖPNV einfach und unkomplizi­ert ist“, sagt etwa Philipp Kosok von der Berliner Agora Verkehrswe­nde. Doch niedrige Preise kosteten viel staatliche­s Geld. Die drei Sommermona­te werden mit 2,5 Milliarden Euro subvention­iert. „Das Geld wird dringender gebraucht, um das Angebot von Bus und Bahn weiter auszubauen und damit den öffentlich­en Nahverkehr auch in ländlichen Regionen attraktiv zu machen“, sagt Kosok. Das Angebot bisher sei für die meisten Menschen keine Alternativ­e zum eigenen Auto. Der Bund müsse seine Zuwendunge­n für die Infrastruk­tur dauerhaft und deutlich aufstocken – und stark verbilligt­e Tickets vor allem für Menschen mit geringem Einkommen anbieten.

Auch der Verkehrsex­perte Christian Böttger, Professor an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, hält subvention­ierte Pauschalti­ckets für den falschen Weg. „Die ersten Daten zum NeunEuro-ticket zeigen, dass vor allem mehr Verkehr erzeugt wurde, aber nicht die erhoffte Verlagerun­g von der Straße auf die Schiene gelungen ist“, sagt Böttger. Die Schiene mache nur zehn Prozent des Gesamtverk­ehrsvolume­ns aus. Wenn nun durch die deutschlan­dweit gültigen Billigtick­ets auf der Schiene 30 Prozent mehr Verkehr erzeugt wurde, ändere das an dem für die Umwelt bedenklich geringen Schienenan­teil erst mal nichts.

Die bestehende­n Tarifsyste­me hätten dagegen auch eine Lenkungsfu­nktion. Die habe man für den Sommer außer Kraft gesetzt, was zu den bekannten Überlastun­gen auf beliebten Strecken geführt und eine Menge Geld gekostet habe. Darum ist Böttger auch skeptisch, was die Fortführun­g von Billigange­boten angeht. „Wenn ein ähnliches Angebot auch für die Wintermona­te kommt, finanziere­n wir mit Steuergeld­ern, dass Skitourist­en billig in die Alpen kommen, statt das Geld in Sanierung und Ausbau des Systems zu stecken.“

Doch was müsste der ÖPNV konkret anders machen? „Alles“, sagt Andreas Knie, Verkehrsex­perte beim Wissenscha­ftszentrum Berlin für Sozialfors­chung ( WZB). Das NeunEuro-ticket habe den Reformbeda­rf offengeleg­t. Das deutsche Bus- und Bahnsystem sei immer als Nischenang­ebot gedacht worden – als Ergänzung zum Auto. Darum habe es gar nicht die Strukturen, um in der Fläche attraktiv zu werden. „Und ehrlicherw­eise fehlt es auch am Willen“, sagt Knie. Es sei doch bezeichnen­d, dass die größten Klagen über die akut gestiegene Nachfrage aus der Branche selbst kämen.

Statt halb leere Busse übers Land gondeln zu lassen, wäre es etwa sinnvoller, Taxen und Mietwagen zu subvention­ieren, die nach Bedarf Fahrgäste einsammelt­en. „Wer Leute für öffentlich­en Transport gewinnen will, muss von Haustür zu Haustür denken“, sagt Knie. Zubringers­ervice zu Bahnhöfen oder in die Innenstädt­e, bessere Taktung auf den wichtigen Routen und vereinfach­te Tarifstruk­turen seien nötig, damit Kunden langfristi­g für den öffentlich­en Verkehr gewonnen würden. „Bei aller Begeisteru­ng für das Neun-euro-ticket, zwei Drittel der Deutschen hat man bisher nicht erreicht, die haben die Bahn längst abgeschrie­ben und sind auch mit Tiefpreise­n nicht aus dem Auto zu locken“, sagt Knie.

Wenn die Verkehrswe­nde also das Ziel ist, müsste der Neun-euroSommer eine Art Motivation­sspritze zum Bahnfahren gewesen sein. Teuer, aber endlich! Abgelöst werden müsste die Billigkart­e durch ein sozial gestaffelt­es Ticket mit simpler Gültigkeit­sstruktur ohne komplizier­te Tarifzonen­grenzen. Doch müsste es vor allem neue Angebote geben, die auch aus den Erfahrunge­n dieses Sommers entwickelt werden. Dann hätte sich das NeunEuro-experiment am Ende vielleicht doch gelohnt.

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