Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Mehr Geld für Investitionen
Investitionen Sie werden auf hohem Niveau von jährlich mehr als 50 Milliarden Euro verstetigt. In die Schiene soll ab 2024 mehr Geld als in die Straße fließen.
Verteidigung Durch Entnahmen aus dem 100-MilliardenEuro-sondervermögen der Bundeswehr werden die Verteidigungsausgaben erhöht. Die NatoQuote erreicht 1,6 Prozent der Wirtschaftsleistung in 2023.
halten werden und Steuern dürften nicht erhöht werden. Den ersten Teil konnte der Fdp-politiker nach harten Verhandlungen mit den Ministerien jetzt durchbringen – zumindest auf dem Papier. Die Ressorts hätten Mehrforderungen für die Jahre 2023 bis 2026 gegenüber den bisherigen Planungen von insgesamt 100 Milliarden Euro angemeldet, Lindner hat sie fast alle abgeschmettert. Die Rückkehr zur Schuldenbremse sei wichtig, damit der Staat die Inflation nicht durch kreditfinanzierte Mehrausgaben weiter anheize, hieß es in den Regierungskreisen.
Allerdings sind die Risiken für Lindners ersten Haushalt enorm. Angefangen von Konjunktur und Wirtschaftswachstum, das sich gegenüber der zugrunde liegenden Prognose von 2,2 und 2,5 Prozent 2022 und 2023 verlangsamen könnte, könnten vor allem der Ukraine-krieg und ein drohender russischer Gas-lieferstopp seine Etatpläne durchkreuzen. Noch kann der Finanzminister in den Kriegsfolgen keinen Anlass für eine Haushaltsnotlage erkennen, die der Bundestag mit qualifizierter Mehrheit beschließen könnte, um die Schuldenbremse auch 2023 auszusetzen. Lindner bekommt vom Bundeskanzler zwar Rückendeckung, aber für SPD und Grüne im Bundestag hat die Rückkehr zur Schuldenbremse keine Priorität. Viele Abgeordnete sind der Auffassung, dass die Gas-notlage Grund genug sei, die Schuldenbremse abermals auszusetzen. Entschieden wird darüber aber erst im Herbst, bevor das Parlament den Etat verabschiedet.
Um die Neuverschuldung um mehr als 120 Milliarden Euro von einem auf das nächste Jahr herunterzudrücken, muss Lindner eine Rücklage der alten Regierung von 48 Milliarden Euro fast vollständig auflösen. Zudem werden höhere Steuereinnahmen erwartet, die wiederum fast vollständig verwendet werden, um stark steigende Zinsausgaben zu finanzieren. Sie verdoppeln sich 2023 gegenüber dem Vorjahr auf rund 30 Milliarden Euro. Hauptgrund dafür sind inflationsindexierte Bundesanleihen: Wegen der stark gestiegenen Inflation muss der Bund bei der Rückzahlung nun deutlich mehr bezahlen als bisher.
Die Reduzierung des Defizits gelingt jedoch vor allem, weil die Corona-pandemie zu Ende sei und die Ausgaben des Bundes 2023 daher um rund 50 Milliarden Euro geringer ausfallen sollen als 2022 – auch das eine optimistische Annahme.
Im Mai war die Teuerungsrate mit 7,9 Prozent so hoch ausgefallen wie seit dem Winter 1973/74 nicht mehr. Im April betrug sie 7,4 Prozent. Energie verteuerte sich im zu Ende gehenden Monat Juni mit 38,0 Prozent nicht mehr ganz so stark wie im Mai mit 38,3 Prozent. Nahrungsmittel kosteten dagegen 12,7 Prozent mehr als im Juni 2021. Hier hat sich der Preisauftrieb sogar noch einmal beschleunigt (Mai: plus 11,1 Prozent).
Volkswirte sprachen von einer Atempause, nicht von einem Wendepunkt bei der Teuerung. Die staatlichen Entlastungsmaßnahmen wie Tankrabatt und Neun-euro-ticket hätten den Preisanstieg um etwa 0,9 Prozentpunkte gedrückt, laufen aber im August wieder aus. „Der Höhepunkt der Inflation dürfte eher im September erreicht werden“, sagte der Chefökonom des Vermögensverwalters HQ Trust, Michael Heise.
„Man darf sich nicht Sand in die Augen streuen lassen“, sagte auch Dekabank-chefvolkswirt Ulrich Kater: „Es sind ja insbesondere fiskalische Entlastungsmaßnahmen, die die Inflation etwas herunter gebracht haben.“Erst ab Januar 2023 dürfte es bei den Preisen wieder nach unten gehen, wenn nicht neue Krisen ausbrechen.
„Spätestens mit dem Ende der staatlichen Entlastungen im September sollte die Inflation wieder nach oben springen“, sagte Commerzbank-chefvolkswirt Jörg Krämer: „Das gilt umso mehr, als die deutschen Unternehmen die massiv gestiegenen Materialkosten noch lange nicht vollständig an die Verbraucher weitergegeben haben.“In der Wahrnehmung der Verbraucher steigen die Preise noch schneller als offiziell gemessen: Die gefühlte Inflationsrate liege derzeit bei fast 18 Prozent, so Dekabank-chefvolkswirt Kater: „Das ist ebenfalls historisch hoch.“Viele Haushalte müssten auf Erspartes zurückgreifen, um über die Runden zu kommen.
Die Europäische Zentralbank (EZB) steht weiter unter Druck, die auch im Euro-raum stark gestiegene Inflation unter Kontrolle zu bringen. Ezb-chefin Christine Lagarde deutete an, der Leitzins könne im Juli auch stärker als um 0,25 Prozent angehoben werden. Manche Volkswirte rechnen nun mit einer Erhöhung um 0,5 Punkte. Allerdings steckt die Notenbank in einem Dilemma: Steigert sie den Zins zu sehr, verstärkt sie die Refinanzierungsprobleme stark verschuldeter Staaten wie Italien. Eine neue Eurokrise zusätzlich zur Corona-pandemie und dem Ukraine-krieg darf sich Europa nicht leisten.