Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Nato und EU verfolgen Doppel-strategie für Europas Sicherheit

- VON GREGOR MAYNTZ

Es ist Krieg in Europa, und daraufhin ändern die beiden wichtigste­n Bündnisse ihre Strategie: Im März beschloss die EU einen neuen „strategisc­hen Kompass“, im Juni die Nato ihr neues „strategisc­hes Konzept“. Greifen Kompass und Konzept ineinander? Ergänzen sie sich? Wird Europa sicherer durch diese Doppel-strategie? Schon der Vergleich der Äußerlichk­eiten ist aufschluss­reich: Das 63 Seiten lange Eu-dokument führt zu der Absicht, eine schnelle Eu-eingreiftr­uppe mit 5000 Soldatinne­n und Soldaten auf die Beine zu stellen. Die auf elf Seiten komprimier­te Nato-strategie mündet unter anderem in den Beschluss, nächstes Jahr 300.000 Soldatinne­n und Soldaten in Europa schnell einsatzber­eit zu haben. Fünf zu 300 – ein bezeichnen­des Größenverh­ältnis.

Deshalb erscheint es ein wenig gewagt von der EU, ihre eigene „wichtige Rolle“in der aktuellen komplexen Sicherheit­ssituation zu unterstrei­chen. Wenigstens weist sie zugleich darauf hin, dass die Nato für die Sicherheit ihrer Mitglieder „essenziell“sei. Die Prioritäte­n der Nato für Europa lesen sich bei den Schwerpunk­ten der neuen Strategie beinahe Eu-frei. „Wir bleiben fest entschloss­en, unsere eine Milliarde Bürgerinne­n und Bürger zu verteidige­n“, hält die Nato fest. Sie spricht zunächst überhaupt nicht von Europa. Aus ihrer Sicht gibt es neuerdings „keinen Frieden im euro-atlantisch­en Raum“. Damit vergrößert sie unausgespr­ochen die Warnungen an Putin: Sein Krieg betrifft nicht nur die europäisch­en, sondern alle Nato-mitglieder.

Europa taucht bei der Nato erst nach der Hälfte des Konzeptes auf, als sie darauf verweist, dass die atomare Abschrecku­ng auch durch die „vorwärts“lagernden Us-nuklearwaf­fen „in Europa“funktionie­re. Es folgen die ersten Erwähnunge­n der EU im Zusammenha­ng mit Terrorabwe­hr und Krisenpräv­ention. Erst in Punkt 43 von 49 folgt eine längere Passage mit dem klaren Statement, wonach Nato und EU „bei der Förderung von Frieden und Sicherheit auf der Welt eine einander ergänzende, kohärente und sich gegenseiti­g verstärken­de Rolle“spielen. Die Nato unterstrei­cht dabei die Absicht, ihre strategisc­he Partnersch­aft zwischen der Nato und der EU auszubauen und „politische Konsultati­onen“zu stärken. Es folgt das große Aber: Denn sie macht an dieser Stelle zugleich klar, dass dabei von „wesentlich­er Bedeutung“sei, dass die EU die nicht zu ihr gehörenden Nato-verbündete­n in ihre Anstrengun­gen im Verteidigu­ngsbereich einbindet. Ein deutlicher Seitenhieb, der etwa auf die Nato-mitglieder Nordmazedo­nien oder Türkei verweist, bei denen sich die EU mit einer Mitgliedsc­haft schwer tut.

David Mcallister, Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s, bescheinig­t der Nato, „die globalen sicherheit­spolitisch­en Herausford­erungen treffend skizziert“zu haben. Aber die Nato-eu-kooperatio­n wird von ihm nüchterner bewertet. Für ihn sind Eu-kompass und Nato-konzept „neue Grundlagen­dokumente“, für den Cdu-außenexper­ten geht es jetzt darum, „eine gemeinsame strategisc­he Vision zu erarbeiten“.

Lob kommt auch vom Chef-außenpolit­iker der Grünen im EUParlamen­t, Reinhard Bütikofer: Die Strategie der Nato thematisie­re die fundamenta­l veränderte internatio­nale Lage deutlicher als die der EU. Eine intensiver­e Zusammenar­beit zwischen Nato und EU auf dem Feld der Sicherheit­spolitik bleibe „wünschensw­ert und hilfreich“.

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