Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Nato und EU verfolgen Doppel-strategie für Europas Sicherheit
Es ist Krieg in Europa, und daraufhin ändern die beiden wichtigsten Bündnisse ihre Strategie: Im März beschloss die EU einen neuen „strategischen Kompass“, im Juni die Nato ihr neues „strategisches Konzept“. Greifen Kompass und Konzept ineinander? Ergänzen sie sich? Wird Europa sicherer durch diese Doppel-strategie? Schon der Vergleich der Äußerlichkeiten ist aufschlussreich: Das 63 Seiten lange Eu-dokument führt zu der Absicht, eine schnelle Eu-eingreiftruppe mit 5000 Soldatinnen und Soldaten auf die Beine zu stellen. Die auf elf Seiten komprimierte Nato-strategie mündet unter anderem in den Beschluss, nächstes Jahr 300.000 Soldatinnen und Soldaten in Europa schnell einsatzbereit zu haben. Fünf zu 300 – ein bezeichnendes Größenverhältnis.
Deshalb erscheint es ein wenig gewagt von der EU, ihre eigene „wichtige Rolle“in der aktuellen komplexen Sicherheitssituation zu unterstreichen. Wenigstens weist sie zugleich darauf hin, dass die Nato für die Sicherheit ihrer Mitglieder „essenziell“sei. Die Prioritäten der Nato für Europa lesen sich bei den Schwerpunkten der neuen Strategie beinahe Eu-frei. „Wir bleiben fest entschlossen, unsere eine Milliarde Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen“, hält die Nato fest. Sie spricht zunächst überhaupt nicht von Europa. Aus ihrer Sicht gibt es neuerdings „keinen Frieden im euro-atlantischen Raum“. Damit vergrößert sie unausgesprochen die Warnungen an Putin: Sein Krieg betrifft nicht nur die europäischen, sondern alle Nato-mitglieder.
Europa taucht bei der Nato erst nach der Hälfte des Konzeptes auf, als sie darauf verweist, dass die atomare Abschreckung auch durch die „vorwärts“lagernden Us-nuklearwaffen „in Europa“funktioniere. Es folgen die ersten Erwähnungen der EU im Zusammenhang mit Terrorabwehr und Krisenprävention. Erst in Punkt 43 von 49 folgt eine längere Passage mit dem klaren Statement, wonach Nato und EU „bei der Förderung von Frieden und Sicherheit auf der Welt eine einander ergänzende, kohärente und sich gegenseitig verstärkende Rolle“spielen. Die Nato unterstreicht dabei die Absicht, ihre strategische Partnerschaft zwischen der Nato und der EU auszubauen und „politische Konsultationen“zu stärken. Es folgt das große Aber: Denn sie macht an dieser Stelle zugleich klar, dass dabei von „wesentlicher Bedeutung“sei, dass die EU die nicht zu ihr gehörenden Nato-verbündeten in ihre Anstrengungen im Verteidigungsbereich einbindet. Ein deutlicher Seitenhieb, der etwa auf die Nato-mitglieder Nordmazedonien oder Türkei verweist, bei denen sich die EU mit einer Mitgliedschaft schwer tut.
David Mcallister, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, bescheinigt der Nato, „die globalen sicherheitspolitischen Herausforderungen treffend skizziert“zu haben. Aber die Nato-eu-kooperation wird von ihm nüchterner bewertet. Für ihn sind Eu-kompass und Nato-konzept „neue Grundlagendokumente“, für den Cdu-außenexperten geht es jetzt darum, „eine gemeinsame strategische Vision zu erarbeiten“.
Lob kommt auch vom Chef-außenpolitiker der Grünen im EUParlament, Reinhard Bütikofer: Die Strategie der Nato thematisiere die fundamental veränderte internationale Lage deutlicher als die der EU. Eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Nato und EU auf dem Feld der Sicherheitspolitik bleibe „wünschenswert und hilfreich“.