Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Pilot bewirbt sich um Job in Gepäckabteilung
Deutschland sucht Gastarbeiter aus der Türkei. Erste Interessierte haben sich gemeldet. Wir haben mit zwei von ihnen gesprochen.
Arzu S. lebt in Istanbul. Die Flugbegleiterin hat über die Medien erfahren, dass an deutschen Flughäfen in vielen Bereichen händeringend Kräfte gesucht werden. „Ich habe deswegen sofort eine Bewerbung geschrieben“, sagt die 39Jährige am Telefon. In ihrem Bewerbungsschreiben heißt es wörtlich: „Ich spreche Deutsch auf C1niveau und Englisch auf B1NIveau. Türkisch ist meine Muttersprache. Ich habe 13 Jahre lang als Flugbegleiterin in der Luftfahrt gearbeitet. Ich bin jederzeit bereit, um anzufangen.“
Ihre Bewerbung hat sie auch an den Verdisekretär Özay Tarim geschickt. Er ist für viele Menschen in der Türkei zu einem „Gesicht des Flughafens“geworden; denn auch in der Türkei wird über die Misere an deutschen Airports berichtet, besonders nach der Ankündigung der Bundesregierung, kurzfristig den Einsatz ausländischer Beschäftigter zu erleichtern – insbesondere aus der Türkei.
S. würde sofort ins Flugzeug steigen und nach Düsseldorf kommen, wenn sie eine Zusage erhalten würde. „Wenn ich eine Stelle erhalte, mein Visum und eine Unterkunft hätte, komme ich sofort“, sagt sie. Sie könne sich gut vorstellen, am Checkin zu arbeiten – und natürlich als Flugbegleiterin: „Ich kann auch gerne im Kundenservice arbeiten. Ich bin qualifiziert und seit 2005 in der Luftfahrt tätig.“In der Türkei seien viele bereit, nach Deutschland zu kommen, um an den Flughäfen zu arbeiten. „Es gibt offensichtlich ein großes Problem. Die Türken wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen, wenn sie nach Deutschland wollen“, sagt Tarim: „Dabei soll es doch jetzt schnell gehen, damit die Kräfte in den Sommerferien noch helfen können.
Das sieht auch S. so: „Es gibt wirklich so viele Menschen, die sich bewerben wollen, aber nicht wissen, wo und wie sie das können“, sagt sie. Und offenbar weiß nicht einmal das deutsche Konsulat in der Türkei Bescheid. S. hatte dem Konsulat eine Email geschickt, dass in Deutschland Personalmangel an den Flughäfen herrsche, und was sie jetzt machen müsse, um in Deutschland arbeiten zu können. In der Antwortmail des Konsulats, die unserer Redaktion vorliegt, heißt es ins Deutsche übersetzt: „Vielen Dank für ihre Benachrichtigung. Aber wir haben keine Kenntnis darüber, dass an deutschen Flughäfen Personal eingestellt werden soll.“
„Das ist schon ein dickes Ding. Die deutsche
Regierung will den Weg frei machen für Türken, die nach Deutschland kommen wollen. Und das Konsulat vor Ort, wo man unter anderem die Visa für die Einreise nach Deutschland braucht, weiß offenbar nicht Bescheid“, sagt Tarim.
Auch der 35jährige Ahmed möchte in Deutschland arbeiten. Er ist alles andere als ein typischer türkischer „Gastarbeiter“: Er hat studiert, spricht mehrere Sprachen, hat einen Pilotenschein und einen sicheren Job im öffentlichen Dienst. Trotzdem will er jetzt an einem deutschen Flughafen Koffer schleppen. Obwohl er für die Saisonarbeit überqualifiziert ist, will er sich so schnell wie möglich um einen FlughafenJob in Deutschland bewerben, wie er unserer Zeitung sagte. Wie viele seiner Landsleute will Ahmed raus aus der Türkei und ihrer schweren Wirtschaftskrise, und sieht in der Anwerbeaktion deutscher Flughäfen eine Chance.
Rund 2000 türkische Aushilfskräfte sollen nach den gemeinsamen Plänen der deutschen Flugbranche und der Bundesregierung die Personalengpässe an deutschen Flughäfen während der Feriensaison lindern und vor allem in der Gepäckabfertigung eingesetzt werden. Die Bundesregierung will eine Ausbeutung der ausländischen Saisonarbeiter verhindern und besteht auf Tariflohn und eine gute Unterbringung.
Das läuft der türkischen Presse zufolge auf eine Bezahlung hinaus, von denen die meisten Türken in ihrem eigenen Land nur träumen können: 6000 Euro sollen die türkischen Arbeitskräfte in Deutschland demnach für die Saison erhalten. Soviel verdienen türkische Beschäftigte normalerweise in zwei Jahren. Die Anwerbung dürfte bald beginnen, nachdem die Bundesregierung diese Woche eine schnelle Visavergabe ankündigte.
Ahmed, der seinen richtigen Namen nicht genannt wissen will, plant seine Bewerbung, weil er in der Türkei keine Perspektiven mehr sieht. Die Inflation liegt bei mehr als 70 Prozent, die türkische Lira hat seit Beginn des letzten Jahres die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem Euro verloren. Der monatliche Mindestlohn, den Millionen Türken beziehen, ist nur noch 240 Euro wert. Gleichzeitig steigen die Ausgaben für Miete, Gas und Strom; viele müssen ans Ersparte gehen, um über die Runden zu kommen: „Es wird immer schwerer, den Lebensstandard der letzten zehn Jahre zu halten.“
Im Laufe seiner Pilotenausbildung hat Ahmed an verschiedenen Flughäfen gearbeitet, er kennt die Abläufe, spricht perfekt Englisch und hat alle erforderlichen Sicherheitsüberprüfungen absolviert. Diese Voraussetzungen und die Aussicht, in der Bundesrepublik arbeiten zu können, machen das Angebot der deutschen Flughäfen für ihn sehr attraktiv. „Deutschland war schon immer das Lieblingsland für Türken.“
Dass Ahmed als ausgebildeter Pilot am Gepäckband die Koffer deutscher Urlauber sortieren müsste, nimmt er in Kauf. In der Türkei hat er beobachtet, wie sich gut ausgebildete Einwanderer aus Zentralasien als Hilfsarbeiter verdingen. „Eine Ärztin aus Georgien verdient als Putzfrau in der Türkei mehr als in einer Klinik in ihrer Heimat“, sagt er: „Jetzt sind wir Türken an der Reihe.“Selbst wenn er nur ein paar Monate in Deutschland arbeiten könne, sei das besser, als in der Türkei zu bleiben.