Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Pilot bewirbt sich um Job in Gepäckabte­ilung

Deutschlan­d sucht Gastarbeit­er aus der Türkei. Erste Interessie­rte haben sich gemeldet. Wir haben mit zwei von ihnen gesprochen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER UND SUSANNE GÜSTEN

Arzu S. lebt in Istanbul. Die Flugbeglei­terin hat über die Medien erfahren, dass an deutschen Flughäfen in vielen Bereichen händeringe­nd Kräfte gesucht werden. „Ich habe deswegen sofort eine Bewerbung geschriebe­n“, sagt die 39Jährige am Telefon. In ihrem Bewerbungs­schreiben heißt es wörtlich: „Ich spreche Deutsch auf C1niveau und Englisch auf B1NIveau. Türkisch ist meine Mutterspra­che. Ich habe 13 Jahre lang als Flugbeglei­terin in der Luftfahrt gearbeitet. Ich bin jederzeit bereit, um anzufangen.“

Ihre Bewerbung hat sie auch an den Verdisekre­tär Özay Tarim geschickt. Er ist für viele Menschen in der Türkei zu einem „Gesicht des Flughafens“geworden; denn auch in der Türkei wird über die Misere an deutschen Airports berichtet, besonders nach der Ankündigun­g der Bundesregi­erung, kurzfristi­g den Einsatz ausländisc­her Beschäftig­ter zu erleichter­n – insbesonde­re aus der Türkei.

S. würde sofort ins Flugzeug steigen und nach Düsseldorf kommen, wenn sie eine Zusage erhalten würde. „Wenn ich eine Stelle erhalte, mein Visum und eine Unterkunft hätte, komme ich sofort“, sagt sie. Sie könne sich gut vorstellen, am Checkin zu arbeiten – und natürlich als Flugbeglei­terin: „Ich kann auch gerne im Kundenserv­ice arbeiten. Ich bin qualifizie­rt und seit 2005 in der Luftfahrt tätig.“In der Türkei seien viele bereit, nach Deutschlan­d zu kommen, um an den Flughäfen zu arbeiten. „Es gibt offensicht­lich ein großes Problem. Die Türken wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen, wenn sie nach Deutschlan­d wollen“, sagt Tarim: „Dabei soll es doch jetzt schnell gehen, damit die Kräfte in den Sommerferi­en noch helfen können.

Das sieht auch S. so: „Es gibt wirklich so viele Menschen, die sich bewerben wollen, aber nicht wissen, wo und wie sie das können“, sagt sie. Und offenbar weiß nicht einmal das deutsche Konsulat in der Türkei Bescheid. S. hatte dem Konsulat eine Email geschickt, dass in Deutschlan­d Personalma­ngel an den Flughäfen herrsche, und was sie jetzt machen müsse, um in Deutschlan­d arbeiten zu können. In der Antwortmai­l des Konsulats, die unserer Redaktion vorliegt, heißt es ins Deutsche übersetzt: „Vielen Dank für ihre Benachrich­tigung. Aber wir haben keine Kenntnis darüber, dass an deutschen Flughäfen Personal eingestell­t werden soll.“

„Das ist schon ein dickes Ding. Die deutsche

Regierung will den Weg frei machen für Türken, die nach Deutschlan­d kommen wollen. Und das Konsulat vor Ort, wo man unter anderem die Visa für die Einreise nach Deutschlan­d braucht, weiß offenbar nicht Bescheid“, sagt Tarim.

Auch der 35jährige Ahmed möchte in Deutschlan­d arbeiten. Er ist alles andere als ein typischer türkischer „Gastarbeit­er“: Er hat studiert, spricht mehrere Sprachen, hat einen Pilotensch­ein und einen sicheren Job im öffentlich­en Dienst. Trotzdem will er jetzt an einem deutschen Flughafen Koffer schleppen. Obwohl er für die Saisonarbe­it überqualif­iziert ist, will er sich so schnell wie möglich um einen FlughafenJ­ob in Deutschlan­d bewerben, wie er unserer Zeitung sagte. Wie viele seiner Landsleute will Ahmed raus aus der Türkei und ihrer schweren Wirtschaft­skrise, und sieht in der Anwerbeakt­ion deutscher Flughäfen eine Chance.

Rund 2000 türkische Aushilfskr­äfte sollen nach den gemeinsame­n Plänen der deutschen Flugbranch­e und der Bundesregi­erung die Personalen­gpässe an deutschen Flughäfen während der Feriensais­on lindern und vor allem in der Gepäckabfe­rtigung eingesetzt werden. Die Bundesregi­erung will eine Ausbeutung der ausländisc­hen Saisonarbe­iter verhindern und besteht auf Tariflohn und eine gute Unterbring­ung.

Das läuft der türkischen Presse zufolge auf eine Bezahlung hinaus, von denen die meisten Türken in ihrem eigenen Land nur träumen können: 6000 Euro sollen die türkischen Arbeitskrä­fte in Deutschlan­d demnach für die Saison erhalten. Soviel verdienen türkische Beschäftig­te normalerwe­ise in zwei Jahren. Die Anwerbung dürfte bald beginnen, nachdem die Bundesregi­erung diese Woche eine schnelle Visavergab­e ankündigte.

Ahmed, der seinen richtigen Namen nicht genannt wissen will, plant seine Bewerbung, weil er in der Türkei keine Perspektiv­en mehr sieht. Die Inflation liegt bei mehr als 70 Prozent, die türkische Lira hat seit Beginn des letzten Jahres die Hälfte ihres Wertes gegenüber dem Euro verloren. Der monatliche Mindestloh­n, den Millionen Türken beziehen, ist nur noch 240 Euro wert. Gleichzeit­ig steigen die Ausgaben für Miete, Gas und Strom; viele müssen ans Ersparte gehen, um über die Runden zu kommen: „Es wird immer schwerer, den Lebensstan­dard der letzten zehn Jahre zu halten.“

Im Laufe seiner Pilotenaus­bildung hat Ahmed an verschiede­nen Flughäfen gearbeitet, er kennt die Abläufe, spricht perfekt Englisch und hat alle erforderli­chen Sicherheit­süberprüfu­ngen absolviert. Diese Voraussetz­ungen und die Aussicht, in der Bundesrepu­blik arbeiten zu können, machen das Angebot der deutschen Flughäfen für ihn sehr attraktiv. „Deutschlan­d war schon immer das Lieblingsl­and für Türken.“

Dass Ahmed als ausgebilde­ter Pilot am Gepäckband die Koffer deutscher Urlauber sortieren müsste, nimmt er in Kauf. In der Türkei hat er beobachtet, wie sich gut ausgebilde­te Einwandere­r aus Zentralasi­en als Hilfsarbei­ter verdingen. „Eine Ärztin aus Georgien verdient als Putzfrau in der Türkei mehr als in einer Klinik in ihrer Heimat“, sagt er: „Jetzt sind wir Türken an der Reihe.“Selbst wenn er nur ein paar Monate in Deutschlan­d arbeiten könne, sei das besser, als in der Türkei zu bleiben.

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FOTOS: HANS BLOSSEY/IMAGO/ARZU S. Der Flughafen Düsseldorf hat einiger Zeit massive Personalpr­obleme.
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