Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die fetten Jahre sind vorbei

Vor dem Spitzentre­ffen von Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ftern mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) warnt der Arbeitgebe­rchef vor einer Rezession. Er fordert Hilfe für bedürftige Menschen und steuerlich­e Vergünstig­ungen.

- VON BIRGIT MARSCHALL

„Es muss eine Mischung werden aus vielleicht steuerlich­en Vergünstig­ungen und aus Erhöhungen von Transferle­istungen für die wirklich Bedürftige­n“, sagte Rainer Dulger am Mittwochab­end vor Journalist­en. „Das müssen wir diskutiere­n. Es wird nicht eine Lösung geben. Es werden viele kleine Schritte gemacht werden müssen“, so der Arbeitgebe­rpräsident.beitgeberp­räsident. Aus der Tarifpolit­ik müsse sich der Staat jedoch heraushalt­en.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz hat Vertreter von Arbeitgebe­rverbänden und Gewerkscha­ften am Montagnach­mittag ins Kanzleramt zu einer „konzertier­ten Aktion“eingeladen, um über gemeinsame Schritte gegen eine Inflations­beschleuni­gung zu sprechen. Der Kanzler will eine gefährlich­e Lohn-preis-spirale verhindern, bevor im Herbst wichtige Tarifrunde­n beginnen. Die Sozialpart­ner haben jedoch betont, dass die Tarifauton­omie gewahrt bleiben müsse. Der Staat könne den Tarifpartn­ern keine lohnpoliti­schen Vorgaben machen. Die Erwartunge­n an die konzertier­te Aktion sind entspreche­nd gering.

Der Arbeitgebe­rchef sieht auf Deutschlan­d schwere Zeiten zukommen. Ukraine-krieg, Lieferkett­enprobleme, Pandemie, Fachkräfte­mangel, Klimakrise – die Liste der Herausford­erungen lasse sich noch fortsetzen. „Die fetten Jahre sind jetzt erstmal vorbei“, sagte Dulger. Deutschlan­d sei viele Jahre durch eine „Wohlstands- und Wohlfühloa­se“getaumelt. „Aber damit ist jetzt Schluss“, meinte der Arbeitgebe­rchef. „Wir müssen jetzt gemeinsam immer häufiger darüber reden: Was tun wir, damit unsere Wirtschaft weiter am Laufen bleibt?“Deutschlan­d sei nur stark, wenn die Wirtschaft stark sei.

Die Auftragsbü­cher seien derzeit voll, doch wegen der Lieferprob­leme – gerade bei wichtigen Rohstoffen – könnten Unternehme­n sie nicht abarbeiten. Hinzu kommen die Folgen der Pandemie und des UkraineKri­egs. Viele Unternehme­n stünden bereits vor dem Aus. „Diese Form der Krise kannten wir nicht. Mein Wissenssch­atz reicht dafür nicht aus“, sagte Dulger, der selbst in Heidelberg ein Metall-unternehme­n führt.

Der zunehmende Mangel an Fachkräfte­n bedeute Wohlstands­verlust, weil das Land schlicht nicht mehr so viel produziere­n könne. Wenn die Babyboomer-generation in Rente gehe, verließen pro Jahr bis zu 700.000 Erwerbstät­ige den Arbeitsmar­kt, die nicht durch Zuwanderun­g oder mehr Frauen-erwerbstät­igkeit ersetzt werden könnten.

Gegen die Inflation von derzeit 7,6 Prozent (Stand: 30. Juni 2022) müsse die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) beherzter vorgehen, meint Dulger. Die Notenbank sei zwar unabhängig. „Aber man kann ja zumindest mal höflichst drum bitten, dass die Geldmenge im Markt reduziert wird und dass die Zinsen erhöht werden. Dass all diese Inflations­bremsen, die wir so kennen aus der Theorie, auch gezogen werden“, sagte Dulger an Bundeskanz­ler Scholz gerichtet.

Er zeigte sich verärgert über einen eintägigen Warnstreik der Verdi-mitglieder im Tarifkonfl­ikt mit dem Zentralver­band der Seehafenbe­triebe. „Auf gar keinen Fall bin ich dafür, das Streikrech­t einzuschrä­nken“, sagte Dulger zwar, da dieses ein Grundrecht ist. Ihm habe es aber sehr missfallen, dass in Seehäfen gestreikt wurde in einer Zeit gestörter Lieferkett­en, in der alle händeringe­nd die Materialie­n bräuchten, die etwa in großen Nordseehäf­en lagern. Dort hatten Hafenmitar­beiter die Abfertigun­g von Container- und Frachtschi­ffen lahmgelegt. „Gibt es vielleicht so etwas in Zukunft wie einen nationalen Notstand, der dann auch Streikrech­t bricht?“, fragte Dulger – und rührte damit an eine heilige Kuh des deutschen Arbeitsrec­hts.

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