Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Melnyk und die Last der Geschichte
Andrij Melnyk eckt an. Der Botschafter der Ukraine in Berlin ist der wohl undiplomatischste Diplomat überhaupt. Er nannte Bundespräsident Frank-walter Steinmeier einen „Statthalter Putins“, der ein „Spinnennetz der Kontakte“mit Moskau pflege. Er nannte Bundeskanzler Olaf Scholz eine „beleidigte Leberwurst“, weil der wegen der Ausladung Steinmeiers zunächst Kiew nicht besuchen wollte. Mit seinen jüngsten Äußerungen aber scheint Melnyk für viele endgültig eine Grenze überschritten zu haben. Sogar für die Ukraine selbst, die sich inzwischen öffentlich von einigen Interviewaussagen ihres Botschafters distanziert hat.
„Er war kein Massenmörder von Juden und Polen“, hat Melnyk über den ukrainischen Nationalistenführer Stepan Bandera gesagt. Das würde er auch immer wieder bestätigen – so verteidigte er seinen 1959 vom KGB ermordeten Landsmann. In Deutschland heiße es sofort, er sei so schlimm gewesen wie Hitler, kritisierte Melnyk: „Ich bezweifle, dass er je den Befehl gegeben hat, Juden zu töten.“Es fehlten ihm eindeutige Belege. Freiheitskämpfer oder Faschist – die Unklarheiten um einen Mann, der ideologische Gemeinsamkeiten mit Mussolini und Hitler hatte, aber auch selbst Kz-häftling war, sind nicht einfach aufzulösen. Bandera war Nationalist, Antisemit, Kollaborateur. Ob und inwieweit er persönlich für Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg verantwortlich war, ist eine Frage für Historiker und Juristen. Mit seiner Positionierung jedenfalls tut Melnyk seinem Land (wieder einmal) keinen Gefallen. Die Ukraine hat keine andere Wahl, als sich auf ihrem Weg nach Westen von seinen Äußerungen und auch von Bandera zu distanzieren. Besser noch wäre: Melnyks Worte und Banderas Rolle inhaltlich einzuordnen und damit Bandera die Strahlkraft zu nehmen, die Russland nur allzu gern nutzt – als Vorwand für die „Entnazifizierung“der Ukraine.