Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der vielleicht letzte Urlaub mit dem Sohn
Das Kind unseres Autors will auch mit 14 Jahren mit seinen Eltern auf Reisen gehen. Zum Glück. Aber wie lange geht das noch so?
Wir hatten eingecheckt und die Kontrollen passiert, und nun befanden wir uns in diesem zeitlichen und räumlichen Transit zwischen Alltag und Ferien, den es nur kurz vor dem Beginn einer Urlaubsreise am Flughafen gibt. Wir kauften Zeitschriften und Bücher, weil wir wussten, wir würden bald ausreichend Gelegenheit haben, sie zu lesen. Wir aßen die Butterbrote, die eigentlich für später bestimmt waren. Und gerade, als wir uns schlendernd die Frage beantworteten, was wir als Erstes machen wollten, wenn wir angekommen sein würden, sahen wir das Glücksrad.
David wollte es drehen, das erste Mal zog er nicht fest genug, deshalb durfte er nochmal. Er gewann, und er bekam einen Gutschein über 30 Euro, einzulösen in einem Flughafengeschäft. Jetzt lief uns ein bisschen die Zeit davon, wir huschten in einen Laden, David entschied sich für ein Lego-set, er trug es wie den Champions-league-pokal ins Flugzeug und baute das Ding noch in der Luft zusammen. Seither gibt es bei uns ein buchstäblich geflügeltes Wort. Immer wenn einer zum Flughafen muss, sagt garantiert ein anderer: „Vielleicht gibt es ja wieder ein Glücksrad.“
Ich mache seit 14 Jahren Urlaub mit Kind. Meine Familie hat die ideale Mitgliederzahl für die Sitzreihen von Flugzeugen: drei. David sitzt immer in der Mitte zwischen uns, für zwei bis drei Stunden ist er festgeschnallt und kann nicht weg. Es ist kein Computer in der Nähe, der locken würde, und so lange komme ich ihm nur noch selten so nahe. Vielleicht flüstern wir deshalb unwillkürlich bei solchen Gelegenheiten: „Es fühlt sich an wie in einer Höhle.“Überhaupt freue ich mich, dass er auch dieses Jahr wieder mit seinen Eltern reisen möchte. Ich will das nämlich gar nicht mehr missen: alle zusammen woanders sein.
Beim Aufräumen fand ich neulich ein Notizbuch. Ich hatte es vor sechs Jahren am Flughafen gekauft und jeden der folgenden Urlaubstage darin protokolliert. Ich weiß noch, dass es nervig war, es überall mit hinzunehmen. Aber nun birgt es Sätze und Szenen, die ich ansonsten vielleicht vergessen hätte. Dieses klassische Vater-mutterKind-dilemma etwa: Am Tag vor der Abreise war David verabredet, die Mutter seines Freundes rief an, ihr Sohn habe Halsweh, ein bisschen bloß und nur beim Schlucken, ob er dennoch kommen könne, sei auch gar nicht schlimm. Natürlich sagt man ja, gar kein Problem, und am zweiten Urlaubsabend meldete David: „Ich hab‘ Halsschmerzen.“
Nachdem ich das Notizbuch durchgeblättert habe, weiß ich wieder, dass David auf einer Fahrt mit der Fähre die Frage, ob er schon seekrank sei, mit „nein, seefroh“beantwortete. Dass er uns erpresst hat, indem er seine Beteiligung an einer Wanderung nur unter der Bedingung zusagen wollte, dass er danach zocken dürfe. Und dass er am zweiten Regentag Google Street View öffnete, unsere Straße zu Hause ansteuerte und sich mitten in Italien nach Düsseldorf zurücksehnte. Urlaub mit Kind ist eine Geschichtenfabrik.
Wir haben viele Varianten des Urlaubs mit Kind erlebt. Uns mit anderen Familien am Urlaubsort verabreden. Mit anderen Familien in Urlaub fahren. Andere Kinder mitnehmen. Sehr schön war die Episode mit einem Freund Davids, der angeblich im Urlaub nur lese, wie seine Mutter stolz ankündigte. Tatsächlich hatte er immer ein Buch vor der Nase. Ich wunderte mich allerdings, dass er sich tagelang in der Mitte des Bandes aufhielt und nie umblätterte. Bis ich irgendwann sah, dass er sein Handy hineingelegt hatte und in Wirklichkeit zockte.
Als ich 13 oder 14 war, bin ich mit Freunden weggefahren, nicht mehr mit meinen Eltern. Es gibt Anzeichen dafür, dass es heute anders läuft. Bekannte berichten, dass ihre 18 Jahre alte Tochter nach wie vor ganz selbstverständlich mitfährt. Und von Kollegen weiß ich, dass ihre
Ich will das gar nicht mehr missen: alle zusammen woanders sein
Schön war die Episode mit einem Freund Davids, der angeblich im Urlaub nur lese
Kinder aus dem Studienort in die elterlichen Ferien mitreisen und sogar ihre Freundinnen und Freunde mitbringen. Gute Aussichten.
Aus meinem Notizbuch weiß ich, dass wir damals auf unserem Rückflug keine drei Plätze nebeneinander bekamen, einer von uns musste in eine andere Reihe. David sollte sich also entscheiden, mit wem von uns er sitzen wollte. Er versuchte, diplomatisch zu sein, und übertrug die Entscheidung einem Abzählreim. Als ich der Gewinner war, sagte David „noch mal“und zählte erneut aus. Erst als Sandra es wurde, gab sich David zufrieden und sagte: „Beim nächsten Mal sitze ich neben dir, Papa.“Ich lauere noch immer auf meine Chance.
Vielleicht romantisiere ich den Urlaub mit Kind ein bisschen. Im Notizbuch steht nämlich auch, dass ich mich bei Sandra beklagte, ich hätte nicht mal die Hälfte der vor Abflug gekauften Magazine und Bücher lesen können. Sie entgegnete jedoch: „Dafür hast du Material für mehrere neue Bücher gesammelt.“