Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Energiekrise macht vielen Angst
Politik und Wirtschaft bereiten sich auf einen Gaslieferstopp vor. Das löst Sorgen bis in die Mittelschicht aus, warnt der Sozialverband VDK: Viele in NRW fürchten, dass im Winter die Wohnung kalt bleibt und sie Not leiden müssen.
DÜSSELDORF Angesichts von Energiekrise, Inflation, Krieg in der Ukraine und nach wie vor Corona kommen immer mehr Menschen aus den Sorgen nicht mehr heraus. Beim Sozialverband VDK in Nordrhein-westfalen häuften sich entsprechende Anrufe und Fragen: „Was ist jetzt? Müssen wir alle in eine Wärmehalle rein? Können wir unsere Wohnung nicht mehr heizen? Wie können wir uns das in der Zukunft vorstellen?“, fasste der Vorsitzende des Landesverbands, Horst Vöge, am Dienstag den Tenor zusammen. Viele hätten Angst, ihre Wohnung zu verlieren, weil sie ihre Heizkosten nicht mehr bezahlen können.
Beim VDK melden sich insbesondere ältere Menschen und solche mit niedrigen Einkommen. NRW, so führt der Verband an, liegt bei der Armutsquote über dem Bundesdurchschnitt und habe mit dem Ruhrgebiet eine stärker betroffene Region. Studien zeigten allerdings, dass die Angst bis in die Mittelschicht hineinreiche. Da gehe es um Netto-haushaltseinkünfte von 1500 bis 1800 Euro, so Horst Vöge: „Also durchaus eine sehr große Gruppe.“
Wer neben überschaubaren finanziellen Mitteln auch noch gesundheitliche Probleme hat, ist von psychischer Belastung umso intensiver bedroht, ergänzte Carsten Ohm vom Bereich Sozialpolitik beim VDK. Betroffene fürchteten, in einer kalten Wohnung krank zu werden und sich mangels Geldes keine Hilfe organisieren zu können: „Die haben jetzt besonders große Ängste vor diesem Winter.“Er warnte davor, dass die seelischen Belastungen so vieler Menschen noch ein Nachspiel haben könnte: „Da sehen wir durchaus eine Welle von psychischen Erkrankungen auf uns zurollen.“In der Corona-pandemie hätten Angsterkrankungen ohnehin stark zugenommen.
Nach Ansicht des Sozialverbands trägt es zur Verunsicherung der Menschen bei, dass es aus verschiedenen Richtungen – etwa von der Politik und aus der Wirtschaft – ganz unterschiedliche und teils drastische Signale dazu gibt, wie die Energiekrise zu überstehen sein soll. Die Organisation fordert jetzt ein Moratorium: Keinem Mieter dürfte gekündigt werden, weil ihm Heizund Stromkosten über den Kopf wachsen. „Es darf nicht sein, dass wir hier zu einer Entmutigung in der Bevölkerung kommen“, so Horst Vöge. Der Verband fordert weiter, dass die steigenden Preise bei Leistungen wie Grundsicherung, Bafög oder Wohngeld dauerhaft berücksichtigt werden. Weil das Zeit brauche, die Menschen aber jetzt schon entlastet werden müssten, müssten „auskömmliche Übergangslösungen“her. Außerdem solle die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel gesenkt werden.
Angesichts eines möglichen dauerhaften Stopps von bedeutenden Gaslieferungen aus Russland hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unterdessen die Vorgaben infrage gestellt, nach denen private Haushalte selbst im Falle von Engpässen möglichst nicht beschränkt werden sollen. Niemand solle frieren, aber auch private Haushalte müssten in die Pflicht genommen werden, sagte er am Dienstag in Wien.
Die deutschen Städte und Kreise arbeiten derzeit an Krisenplänen. Dazu gehöre „das allgemeine Einstellen auf den Katastrophenfall“, sagte der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager. Energie einzusparen sei aktuell eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, erklärte Verena Göppert vom Deutschen Städtetag. Kommunen ließen etwa Beleuchtungen aus, „verzichten auf warmes Wasser in öffentlichen Gebäuden, schalten Brunnen ab, temperieren Klimaanlagen und Badewasser anders“.
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sprach sich dafür aus, die vorgeschriebenen Mindesttemperaturen für Büros und Werkhallen herunterzusetzen. Ähnliche Überlegungen gibt es in vielen Firmen. „Für den Herbst/ Winter beschäftigen wir uns mit verschiedenen möglichen Szenarien – je nachdem, wie sich die Gasversorgung im weiteren Jahresverlauf darstellt“, hieß es bei Henkel. Die Supermarktkette Rewe prüft, ob Geschäfte weniger geheizt werden könnten: „Es muss noch geklärt werden, was zumutbar ist und was das bringt.“Viele Firmen wollen das Thema mit ihren Betriebsräten besprechen.