Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Generation Work-life-balance
ANALYSE Zu faul, zu wählerisch, zu anspruchsvoll – die Kritik an jungen Berufseinsteigern wächst. Die Erwartung scheint groß, die Leistungsbereitschaft gering. Fünf Thesen, warum viele unter 30-Jährige nicht hart arbeiten wollen.
Es ist ein Satz, der polarisiert: „Da kommen 25-Jährige und wollen nur drei Tage arbeiten“, sagte Europapark-geschäftsführer Roland Mack jüngst in einem Interview. Sie wollten nicht am Wochenende und am liebsten im Homeoffice arbeiten, das Wort „Work-life-balance“bereite ihm Sorgen. Der Generationenkonflikt auf dem Arbeitsmarkt spitzt sich zu. Fünf Thesen, warum das so ist.
1. Die Demografie ist schuld. Unsere Gesellschaft wird älter. Bis spätestens 2030 geht die Babyboomer-generation in Rente, das sind mehr als zwei Millionen Berufstätige. Die werden durch jüngere Jahrgänge nur zu einem Bruchteil ersetzt. Auch die Zuwanderung kann das nicht ausgleichen. Nach den Regeln des Marktes gewinnt das Arbeitsangebot an Gewicht – gerade können jüngere Arbeitnehmer aus mehreren Stellen auswählen, Ansprüche hinsichtlich Familie und Freizeit stellen und höhere Gehälter durchsetzen. „Die Zahl der offenen Stellen je arbeitsloser Person hat einen Rekordwert erreicht“, sagt der Us-arbeitsmarktforscher und Nobelpreisträger Andrew Card. Allein in Deutschland fehlen 350.000 Fachkräfte, die Jobs in der Gastronomie oder in anderen personennahen Dienstleistungen nicht mitgerechnet. Wenn die Arbeitgeber nicht besser entlohnen, werden sie den Mangel nicht beheben. Das können sie aber, weil der Kapitaleinsatz je Beschäftigter steigt. Die jungen Leute in gesuchten Bereichen sitzen eben am längeren Hebel.
2. ... genau wie G8. Der Grundstein des Berufslebens wird in der Schulzeit gelegt. Mit dem „Turbo-abi“, das in NRW 2005 von Rot-grün eingeführt und 2020 von Schwarz-gelb wieder abgeräumt wurde, sollte aufs Gas gedrückt werden: Acht statt neun Jahre bis zum Abitur, schneller ins Berufsleben, die Wirtschaft ankurbeln. Lerntechnisch kein Problem, hieß es von diversen Experten, die recht haben mögen. Viele Schüler würden weniger jobben und sich mehr aufs Abitur konzentrieren, sagte der Bildungsforscher Horst Weishaupt einmal über G8, „ich weiß nicht, ob das ein Grund zur Klage ist“. Doch genau das ist es. Für soziales Lernen, das Übernehmen erster Verantwortung durch Hobbys, Vereine oder Nebenjobs blieb für die meisten keine Zeit. Ganz auf Effizienz getrimmt ist es sogar nachvollziehbar, dass – nach Hochschulabschlüssen mit Anfang 20 – Berufseinsteiger es locker angehen lassen. Weil sie es so wollen – aber auch weil sie diesen Kosmos gar nicht kennen.
3. Identifikationsfiguren fehlen. Die „Jugend von heute“lebte gestern noch in einer ganz anderen Arbeitswelt. Während besonders die bis 1965 geborenen Babyboomer in Elternhäusern aufwuchsen, die von harter Maloche im Nachkriegsdeutschland geprägt waren, ist die Sozialisation heute eine andere. Schon die Kinder und Enkel der Babyboomer, die Generation X (1965 bis 1980) und Y (1981 bis 1995) wurden im Bewusstsein des Wohlstandes groß – (Gast)arbeiterkinder einmal ausgenommen. In der aktuellen, nach 1995 geborenen Generation kommt das für sie vertraute Phänomen Internet („digital native“) hinzu – und damit eine neue Arbeitswelt. Influencer auf Instagram, das ist heute ein Beruf, mit dem 20-Jährige teils fünfstellige Monatsgehälter verdienen – mitunter ohne Bildungsabschluss. Neben Social-mediaStars gibt es heute auch mehr Politiker und Politikerinnen, die zwar studiert, aber nie in einem Beruf gearbeitet haben. Vorbilder und Identifikationsfiguren haben sich gewandelt, und damit auch die Haltung zur Berufswelt.
4. Es gibt keine Arbeitsmoral mehr. „Work-life-balance“wird gern als Modewort benutzt. Doch das Bedürfnis zu arbeiten, um zu leben und nicht umgekehrt, ist nachvollziehbar. Die Zahlen psychischer, stressbedingter Erkrankungen hätten schon vor der Corona-krise aufhorchen lassen sollen. Arbeitsleid haben auch früher Menschen erfahren, bloß gab es viele Diagnosen noch nicht. Dass junge Menschen eine Vier-tage-woche und Homeoffice bevorzugen, sagt auch nichts über ihren Einsatzwillen aus. Solche Modelle können aus Arbeitgebersicht sogar effizienter sein. Und trotzdem treffen Berufseinsteiger oft auf eine harte Realität: So berichtet der Chef eines mittelständischen It-unternehmens von Bewerben mit teils absurden Vorstellungen: Mit vier Berufsjahren im Alter von 35 ein Gehalt von 80.000 Euro zu verlangen, sei selbst für die It-branche zu viel. Man habe sich auf 70.000 Euro geeinigt, der Vertrag sei dennoch gescheitert. „Die Bewerberin war nicht bereit, einen Tag pro Woche nicht im Homeoffice zu arbeiten“, so der Firmenchef.
„Die Zahl der offenen Stellen je arbeitsloser Person hat einen Rekordwert erreicht“Andrew Card Usarbeitsmarktforscher
5. Das Schlimmste steht noch bevor. Gerade bei Jüngeren hat sich eine große Unsicherheit angesichts der aktuellen Krisen breitgemacht. Die Corona-pandemie hat vor allem den Schülerinnen und Schülern sowie den Studierenden zugesetzt. Bildungsforscher befürchten, dass die Spuren sich durchs gesamte Berufsleben ziehen könnten. Jetzt kommt noch die Erfahrung eines Krieges in Europa und die ernsten Folgen für die Energieversorgung Deutschlands hinzu. Da Europa in fataler Weise von russischem Gas abhängig ist, könnte die Wirtschaft noch jahrelang massiv gestört sein – und die Lebenschancen junger Leute bedrohen. Auch der verheerende Klimawandel erfordert den Umbau der Wirtschaft. Für die Generation Z eine schwere Hypothek.