Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Verlogene Appelle
Unsere Politiker predigen Wasser und trinken Wein, statt Anreize zu schaffen.
Wrevier,w ir wohnen im Rheinischen am Rand des Braunkohle tage baus, kohl etage baus, umgeben von Windrädern. Durch den Staub des Tagebaus färbt sich der blaue Himmel im Sommer braun, Häuser und Straßen sind von einem Schlier bedeckt. Die Windrichtung ist vom Wolkenabgang des Kraftwerks ablesbar, und wenn das monotone Surren der Windräder lauter wird, steht ein Wetterwechsel bevor. Wir zahlen die gleichen Strompreise wie Bewohner von Regionen, die sich gegen Kraftwerke und Windräder sperren.
Wir installieren auf dem Hausdach eine Fotovoltaik anlage als erneuerbare Energiequelle. Im Sommer produziert die Anlage einen Überschuss an Strom, den wir ins Netz einspeisen.
Der Strom, den wir im Winter dazu-kaufen, ist dreimal so teuer wie der, der von uns eingespeist wird. Der Minimalgewinn durch die Einspeisung wird dafür ausgegeben, jenen Steuerberater zu bezahlen, den wir als Gewerbetreibende und Betreiber einer Fotovoltaikanlage nun benötigen.
Wir fahren mit dem Fahrrad zur Arbeit, um die Abgasbelastung zu reduzieren. Die Fahrradwege sind schlecht gewartet und führen über Autobahnauffahrten oder mitten hinein in große Kreuzungen. Sie enden in Bushaltestellen und Baustellen oder im Nirgendwo. Sie wurden halbherzig angelegt und sind daher von Geisterrädern gesäumt.
Seit Beginn des Ukraine-kriegs mahnt die Politik, Energie zu sparen. Wir schalten die Heizung aus und verzichten auf Flüge und Autofahrten. Anstatt eine bescheidene Hochzeit in seinem Heimatort zu feiern und den Bürgern so ein Zeichen zu setzen, fährt der Finanzminister Christian Lindner auf Sylt groß auf. Die vielen geladenen Gäste werden eingeflogen oder reisen wie der Unionsvorsitzende Friedrich Merz mit dem eigenen Flugzeug an. In der Energiekrise predigen unsere Politiker Wasser und trinken Wein. Die Bevölkerung wird mit Verarmungsängsten und Endzeitszenarien unter Druck gesetzt, anstatt sie mit reellen Anreizen und Alternativen dauerhaft zum Umdenken zu bewegen. Die deutsche Energiesparpolitik kann bisher nicht überzeugen.
Unsere Autorin ist Professorin für Infektionsbiologie an der RWTH Aachen. Sie wechselt sich hier mit der Philosophin Mariasibylla Lotter ab.