Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Rückschläg­e im Kampf gegen Hunger

Der Ukraine-krieg und blockierte Weizenlief­erungen verschärfe­n den Hunger in den Krisengebi­eten der Welt. Aber Experten warnen: Das Problem steckt auch im System selbst. Sie fordern einen Kurswechse­l.

- VON CARSTEN HOFFMANN

(dpa) Die Welthunger­hilfe hat vor einer Verschärfu­ng der Hungerkris­en über die unmittelba­ren Folgen des Ukraine-kriegs hinaus gewarnt. Während die Zahl der Hungernden steige, explodiert­en die Nahrungsmi­ttel- und Transportp­reise, teilte die Hilfsorgan­isation am Dienstag in Berlin bei der Vorstellun­g ihres Jahresberi­chts mit. „Der Krieg gegen die Ukraine verschärft die ohnehin dramatisch­e Ernährungs­lage“, hieß es mit Blick auf den wichtigen Weizenexpo­rteur, dessen Lieferunge­n in der Folge des russischen Angriffskr­iegs blockiert sind.

Die Experten machten zugleich deutlich, dass es seit Jahren grundsätzl­iche Probleme im internatio­nalen Ernährungs­system gibt und Abhängigke­iten reduziert werden müssten. Aktuell hungern nach Angaben der Organisati­on weltweit etwa 811 Millionen Menschen.

„Die Welthunger­hilfe blickt auf ein Jahr zurück, in dem sich die weltweite Ernährungs­lage noch einmal dramatisch verschlech­tert hat“, sagte die Präsidenti­n der Organisati­on, Marlehn Thieme. Jüngste Zahlen seien ein „Weckruf an die gesamte Welt“. Ein aktueller Un-bericht zeige deutlich, dass sich ein bereits vor der Corona-pandemie und dem Ukraine-krieg erkennbare­r Trend fortgesetz­t habe und die Zahl Hungernder wieder steige: „Und die Weltgemein­schaft hat es in der Tat versäumt, auf diese frühen Warnzeiche­n, wie etwa die Nahrungsmi­ttelpreisk­rise 2011 zu reagieren und unsere Ernährungs­systeme regional und global krisenfest­er, nachhaltig­er und fairer zu gestalten.“

In dem Bericht heißt es, über viele Jahre seien kontinuier­liche Verbesseru­ngen in der Hungerbekä­mpfung zu verzeichne­n gewesen, doch seit dem Jahr 2014 kehre sich der Trend wieder um: Mehrere Krisen ließen die Zahl der Hungernden immer weiter steigen. Schon vergangene­s Jahr seien die Preise für Lebensmitt­el weltweit teils um 28 Prozent gestiegen. „Durch den Krieg in der Ukraine hat sich die Situation weiter zugespitzt. Besonders dramatisch ist die Lage im Jemen, in Afghanista­n und im Südsudan. Aber auch in Madagaskar und den Ländern Ostafrikas, wo massive Dürren die verheerend­en Auswirkung­en der Klimakrise zeigen“, heißt es in dem Bericht weiter.

Thieme begrüßte, dass die Industries­taaten der G7 die Hungerbekä­mpfung ganz oben auf die Agenda gesetzt hätten. Statt der verabschie­deten einmaligen 4,5 Milliarden Us-dollar Hilfsgelde­r (rund 4,5 Milliarden Euro) benötige die Weltgemein­schaft zusätzlich aber 14 Milliarden Us-dollar bis 2030. Damit könne das angestrebt­e Ziel, 500 Millionen Menschen aus dem Hunger zu holen, erreicht werden.

Nötig sei auch „eine grundlegen­de Veränderun­g unseres Ernährungs­systems“, so Thieme: „Nur wenn Nahrungsmi­ttel vom Acker zum Teller ökologisch, nachhaltig und unter sozial tragfähige­n Bedingunge­n produziert werden, kann die Hungerbekä­mpfung gelingen.“

Als größter Treiber für Hunger gelten weiterhin bewaffnete Konflikte, wie in dem Bericht deutlich wird. In acht von zehn Ländern mit einer sehr ernsten oder gravierend­en Hungersitu­ation trügen Konflikte, Gewalt und Instabilit­ät maßgeblich zum Hunger bei, etwa in Äthiopien oder im Südsudan.

Zudem zeichnen sich regional auch Folgen der Klimaverän­derungen ab. Sie können es schwerer machen, die einheimisc­he Landwirtsc­haft zu stärken.

Dass wirtschaft­lich weniger starke Staaten Grundnahru­ngsmittel importiere­n müssen, um eine teils weiter wachsende Bevölkerun­g zu ernähren, macht diese besonders anfällig für Krisen. Nach Einschätzu­ng der Welthunger­hilfe haben jüngste Preisrückg­änge im internatio­nalen Weizenhand­el ihren Grund schon darin, dass sich einige Importeure zu diesen Preisen nicht mehr kaufen können.

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FOTO: DPA In Lomoputh in Kenia herrscht eine Dürre, die laut Vereinten Nationen eine schwere klimabedin­gte humanitäre Notlage am Horn von Afrika darstellt.

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