Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Angst vorm Lockdown ist zurück in Shanghai
In Chinas Wirtschaftsmetropole wurde erstmals die Omikron-variante BA. 5 identifiziert. Nun drohen erneut großflächige Ausgangssperren.
Für die meisten Bewohner im wohlhabenden Shanghai sind die obdachlosen Arbeitsmigranten unsichtbar. Doch seit Ende des Lockdowns strömen sie jede Nacht in immer größerer Anzahl in die unterirdischen Gänge des HongqiaoBahnhofs: Einige schlafen in den gefliesten Gängen, andere quartieren sich in die Toilettenkabinen ein. Wie lokale Medien berichten, teilen viele von ihnen dasselbe Schicksal: Nachdem sie sich während der jüngsten Corona-welle mit dem Virus infizierten, finden sie mittlerweile keine Jobs mehr. Zu tief sitzt bei vielen Arbeitgebern die Angst vor Corona.
Und spätestens, seit am Freitag erstmals in Shanghai die hochansteckende Omikron-subvariante BA.5 entdeckt wurde, hat sich die Alarmbereitschaft der Bevölkerung ein weiteres Mal verschärft. Bis zum Donnerstag führen die Behörden noch zwei Runden an PCR-MASsentests durch, um die Ausbreitung der hochinfektiösen Virusvariante rechtzeitig einzudämmen. Ob das gelingt, scheint angesichts Chinas epidemiologischen Erfolgen der letzten Monate durchaus denkbar. Doch die Gretchenfrage, die die Menschen interessiert, ist vielmehr, ob dafür erneut ein stadtweiter Lockdown notwendig ist.
Offiziell sind in den vergangenen zwei Wochen zwar nur knapp 400 Corona-fälle in Shanghai registriert worden. Doch über den chinesischen Messenger-dienst Wechat kursieren bereits tausendfach Textnachrichten von einem Arzt, der behauptet, dass die Infektionszahlen tatsächlich um ein Vielfaches über den offiziellen Statistiken liegen, jedoch aus Rücksicht auf die derzeit stattfindenden Abschlussprüfungen der Oberschüler nicht publiziert werden. Auch wenn sich die Aussage nicht verifizieren lässt, spricht allein schon die wachsende Beunruhigung innerhalb der Bevölkerung Bände. Und diese ist durchaus begründet: In mehreren Vierteln mussten bereits Fitnessstudios schließen, zudem sind etliche Wohnanlagen abgeriegelt worden.
Dabei ist erst seit wenigen Wochen überhaupt so etwas wie Normalität in die internationale Finanzmetropole eingekehrt. Zuvor waren die meisten Einwohner in Shanghai für zwei Monate in ihre Wohnungen eingesperrt – und durften diese nur für die nahezu täglichen Pcr-tests verlassen.
Dass die Corona-lage in ganz China wieder zu kippen droht, lässt sich empirisch relativ gut belegen: Die japanische Beratungsfirma Nomura veröffentlicht etwa einen regelmäßigen Überblick über die verschiedenen Lockdowns im Land. Seit vergangener Woche sind wieder knapp 115 Millionen Menschen von Ausgangssperren betroffen, immerhin acht Prozent der Gesamtbevölkerung.
Einerseits versucht die Zentralregierung in Peking, ihre „Null Covid“Maßnahmen weiter zu perfektionieren: Ausgangssperren sollen immer zielsicherer werden, Quarantänezeiten verkürzt werden. Doch an der groben Stoßrichtung ändert sich auch mittelfristig nichts: Die Volksrepublik möchte das Virus aus ihren Landesgrenzen verbannen. Angesichts der hochinfektiösen Omikron-variante gleicht das einer Quadratur des Kreises.
Eine schrittweise Exit-strategie, wie sie etwa von der europäischen Handelskammer empfohlen wird, könnte durch eine forcierte Impfkampagne erfolgen. Als bisher einzige Stadt hatte sich erst kürzlich Chinas Hauptstadt Peking an eine Impfpflicht gewagt. Die dortige Lokalregierung kündigte an, dass öffentliche Orte wie Kinos und Einkaufszentren nur noch unter Vorlage eines Impfnachweises besucht werden dürfen. Doch die neue Regelung hielt keine 48 Stunden, ehe sie wieder zurückgezogen wurde – nachdem die Bevölkerung auf den sozialen Medien ihren Unmut geäußert hatte.