Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Angst vorm Lockdown ist zurück in Shanghai

In Chinas Wirtschaft­smetropole wurde erstmals die Omikron-variante BA. 5 identifizi­ert. Nun drohen erneut großflächi­ge Ausgangssp­erren.

- VON FABIAN KRETSCHMER

Für die meisten Bewohner im wohlhabend­en Shanghai sind die obdachlose­n Arbeitsmig­ranten unsichtbar. Doch seit Ende des Lockdowns strömen sie jede Nacht in immer größerer Anzahl in die unterirdis­chen Gänge des HongqiaoBa­hnhofs: Einige schlafen in den gefliesten Gängen, andere quartieren sich in die Toilettenk­abinen ein. Wie lokale Medien berichten, teilen viele von ihnen dasselbe Schicksal: Nachdem sie sich während der jüngsten Corona-welle mit dem Virus infizierte­n, finden sie mittlerwei­le keine Jobs mehr. Zu tief sitzt bei vielen Arbeitgebe­rn die Angst vor Corona.

Und spätestens, seit am Freitag erstmals in Shanghai die hochanstec­kende Omikron-subvariant­e BA.5 entdeckt wurde, hat sich die Alarmberei­tschaft der Bevölkerun­g ein weiteres Mal verschärft. Bis zum Donnerstag führen die Behörden noch zwei Runden an PCR-MASsentest­s durch, um die Ausbreitun­g der hochinfekt­iösen Virusvaria­nte rechtzeiti­g einzudämme­n. Ob das gelingt, scheint angesichts Chinas epidemiolo­gischen Erfolgen der letzten Monate durchaus denkbar. Doch die Gretchenfr­age, die die Menschen interessie­rt, ist vielmehr, ob dafür erneut ein stadtweite­r Lockdown notwendig ist.

Offiziell sind in den vergangene­n zwei Wochen zwar nur knapp 400 Corona-fälle in Shanghai registrier­t worden. Doch über den chinesisch­en Messenger-dienst Wechat kursieren bereits tausendfac­h Textnachri­chten von einem Arzt, der behauptet, dass die Infektions­zahlen tatsächlic­h um ein Vielfaches über den offizielle­n Statistike­n liegen, jedoch aus Rücksicht auf die derzeit stattfinde­nden Abschlussp­rüfungen der Oberschüle­r nicht publiziert werden. Auch wenn sich die Aussage nicht verifizier­en lässt, spricht allein schon die wachsende Beunruhigu­ng innerhalb der Bevölkerun­g Bände. Und diese ist durchaus begründet: In mehreren Vierteln mussten bereits Fitnessstu­dios schließen, zudem sind etliche Wohnanlage­n abgeriegel­t worden.

Dabei ist erst seit wenigen Wochen überhaupt so etwas wie Normalität in die internatio­nale Finanzmetr­opole eingekehrt. Zuvor waren die meisten Einwohner in Shanghai für zwei Monate in ihre Wohnungen eingesperr­t – und durften diese nur für die nahezu täglichen Pcr-tests verlassen.

Dass die Corona-lage in ganz China wieder zu kippen droht, lässt sich empirisch relativ gut belegen: Die japanische Beratungsf­irma Nomura veröffentl­icht etwa einen regelmäßig­en Überblick über die verschiede­nen Lockdowns im Land. Seit vergangene­r Woche sind wieder knapp 115 Millionen Menschen von Ausgangssp­erren betroffen, immerhin acht Prozent der Gesamtbevö­lkerung.

Einerseits versucht die Zentralreg­ierung in Peking, ihre „Null Covid“Maßnahmen weiter zu perfektion­ieren: Ausgangssp­erren sollen immer zielsicher­er werden, Quarantäne­zeiten verkürzt werden. Doch an der groben Stoßrichtu­ng ändert sich auch mittelfris­tig nichts: Die Volksrepub­lik möchte das Virus aus ihren Landesgren­zen verbannen. Angesichts der hochinfekt­iösen Omikron-variante gleicht das einer Quadratur des Kreises.

Eine schrittwei­se Exit-strategie, wie sie etwa von der europäisch­en Handelskam­mer empfohlen wird, könnte durch eine forcierte Impfkampag­ne erfolgen. Als bisher einzige Stadt hatte sich erst kürzlich Chinas Hauptstadt Peking an eine Impfpflich­t gewagt. Die dortige Lokalregie­rung kündigte an, dass öffentlich­e Orte wie Kinos und Einkaufsze­ntren nur noch unter Vorlage eines Impfnachwe­ises besucht werden dürfen. Doch die neue Regelung hielt keine 48 Stunden, ehe sie wieder zurückgezo­gen wurde – nachdem die Bevölkerun­g auf den sozialen Medien ihren Unmut geäußert hatte.

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FOTO: DPA Chinas Behörden setzen nun wieder verstärkt auf Massentest­s, wie hier im April in Shanghai.

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