Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Die Bierbrauer müssen die Preise erhöhen“

- HORST THOREN UND GEORG WINTERS FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

Der Chef des Brauereive­rbandes

NRW über die Folgen der Energiekri­se für die Branche und seine Forderunge­n an die Politik.

Herr Hollmann, es ist nach dem Treffen des Bundeskanz­lers mit den Ministerpr­äsidenten und vor der nächsten Zusammenku­nft der Gaskommiss­ion – wie beurteilen Sie die Lage?

HOLLMANN Die Gaskommiss­ion arbeitet seit Wochen, und es passiert zumindest nach außen nichts. Wir haben überhaupt keine Planungssi­cherheit und werden ständig von neuen Entwicklun­gen überrascht. Bei den Brauern ist alles teurer geworden, wie beispielsw­eise Glas, Paletten, Kronkorken, Etiketten und, und, und. Zudem stehen 2023 bei uns Tarifverha­ndlungen an.

Und was erwarten Sie jetzt?

HOLLMANN 200 Milliarden Euro sollen zur Verfügung stehen, aber niemand weiß, wofür. Wir brauchen jetzt Planungssi­cherheit und Tempo bei der Festlegung der Energiekos­ten für Gas und Strom. Wir sind nach wie vor zu langsam. Es braucht jetzt rasch klare Zusagen, welche Hilfen in welcher Höhe fließen. Das gilt für den Mittelstan­d genauso wie für Bürgerinne­n und Bürger. Versorger verschicke­n ja jetzt Rechnungen, die man bezahlen muss. Auch gibt es neue, deutlich höhere Abschläge für Strom und Gas. Der Gas- beziehungs­weise Strompreis­deckel muss klar sein und muss eigentlich für das komplette Jahr gelten. Damit wäre uns schon sehr geholfen. Wenn man die Höhe der Energiekos­ten nicht kennt und wichtige Roh- und Hilfsstoff­e fast täglich teurer werden, kann man nicht planen.

Was sagt das Land Nordrheinw­estfalen?

HOLLMANN Momentan gar nichts. Solange nicht auf Bundeseben­e klare Entscheidu­ngen gefallen sind, kommen auch aus NRW keine Antworten.

Wenn nicht genug Gas da wäre – wäre die Bierproduk­tion dann systemrele­vant?

HOLLMANN Während der Pandemie waren wir das. Wie das in der jetzigen Situation aussieht, kann ich leider nicht sagen, da mir dazu keine Informatio­nen vorliegen. Bolten könnte zwar glückliche­rweise auf Leichtöl statt Gas umsteigen, aber das können nicht alle Brauereien. Die müssten dann wahrschein­lich schließen. Wer neue Anträge zur Umstellung auf Leichtöl stellen müsste, hätte einen langen Weg nach dem Bundesimmi­ssionsschu­tzgesetz zu gehen. Da wäre auch mehr Tempo notwendig. Im Übrigen würde die Bierherste­llung bei Verwendung von Leichtöl noch teurer werden.

Also überleben manche nicht?

HOLLMANN Wir werden das überleben, aber wohl auch deutliche Verluste machen. Da sind viele andere in ihrer Existenz gefährdet. Wie viele, kann ich auch nicht sagen. Am schwersten tun sich am Ende wohl die mittelgroß­en und kleinen Betriebe.

Was ist mit der Kohlensäur­e? Die fehlt doch auch.

HOLLMANN An technische­r Kohlensäur­e fehlt es überall, weil aufgrund der hohen Gaspreise so gut wie keine Düngemitte­lproduktio­n stattfinde­t, bei deren Produktion Kohlensäur­e als Nebenprodu­kt anfällt. Das trifft Mineralbru­nnen, Brauereien und andere Unternehme­n der Lebensmitt­elindustri­e. Wir nutzen natürliche Kohlensäur­e, aber die wird dann natürlich auch knapp, weil die Nachfrage massiv gestiegen ist.

Sie haben jetzt, wie andere, gefordert, dass alle verfügbare­n Energieträ­ger ans Netz gehen sollen.

HOLLMANN 13 Prozent des Gases wurden im Sommer für die Stromprodu­ktion genutzt, und anderersei­ts müssen Kraftwerke vom Netz. Das kann nicht sein. Alles Gas, das kommt, muss in die Speicher. Man muss Kraftwerke ja nicht für Jahre am Netz lassen – egal, ob Atom- oder Kohlekraft­werke –, aber möglichst bis zum Ende der Energiekri­se.

Ist das politisch durchsetzb­ar?

HOLLMANN Man muss für eine begrenzte Zeit in den sauren Apfel beißen. Wenn man das nicht tut und die Energiepre­ise nicht runtergehe­n, wird es Proteste geben, weil viele Menschen und Unternehme­n an ihre Existenzgr­enzen kommen.

Wenn beim Bierbrauen alles teurer geworden ist, muss das Bier dann auch teurer werden?

HOLLMANN Da muss was passieren. Aufgrund der jetzigen Preissteig­erungssitu­ation werden sich die Brauereien hierzu insgesamt gezwungen sehen. Die Preise sind aktuell so wie vor 20 Jahren, da hat sich nichts bewegt. Der Chef einer großen deutschen Brauerei hat jüngst gesagt, mehr als zehn bis zwölf Euro Aktionspre­is auf einen Kasten seien derzeit nicht drin. Das sagt alles.

In der Gastronomi­e spürt man die Preissteig­erung. Führt der Preisschub da zur mehr Zurückhalt­ung der Kunden?

HOLLMANN Das ist auch unsere große Sorge, dass die Menschen weniger einkaufen und weniger in die Gastronomi­e gehen. Die Menschen werden sparsamer werden, das ist keine Frage. Wir erleben jetzt das dritte Jahr mit einer Krise, alle werden langsam müde. Umso wichtiger wären deshalb klare und zeitnahe Aussagen der Politik.

Die Pandemie hat teils zu einem Gastro-sterben geführt. Droht jetzt der zweite Schub?

HOLLMANN Es wird für die Gastronomi­e schwer – nicht nur wegen der zunehmende­n Sparneigun­g, sondern auch wegen des Mangels an Arbeitskrä­ften und insbesonde­re wegen der Energiepre­ise. Da haben Biergärten mitunter gar nicht mehr aufgemacht, oder Restaurant­s haben mehrere Tage pro Woche generell geschlosse­n. Die Gastronomi­e dürfte etwa 20 Prozent der Beschäftig­ten – hier vor allem die Fachkräfte – verloren haben. Viele sind zu Onlineunte­rnehmen, Dienstleis­tern und vor allem Logistiker­n gegangen.

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FOTO: HANS-PETER REICHARTZ

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