Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wenn die Wildgänse kommen

Wildgänse gehören zu Herbst und Winter am Niederrhei­n. Jetzt sind die ersten da – doch der Anblick der Wildgänse löst nicht überall Freude aus. Vor allem die Vogelseuch­en sorgen für Probleme.

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(sz) Herbst und Winter am Niederrhei­n – dazu gehören die Rufe der arktischen Wildgänse. Die ersten sind schon jetzt zu hören, die Biologisch­e Station Kreis Wesel geht aktuell von einer vierstelli­gen Zahl aus. Laut Nabu verlassen rund 180.000 Wildgänse im November ihre Brutgebiet­e in Sibirien und fliegen rund 6000 Kilometer, um zwischen Duisburg und Nijmegen zu überwinter­n, dem größten Rastgebiet Europas.

Rund 100.000 dieser Tiere fressen sich auf den Grünfläche­n des Kreises Wesel die nötigen Energieres­erven an, vornehmlic­h am Rhein, aber auch im Hinterland. Überall wo es Grünland und offenes Gewässer gibt, fühlen sich diese Vögel wohl.

Sie werden mit gemischten Gefühlen betrachtet: Naturliebh­aber pilgern in die Region, um die geschützte­n Wintergäst­e zu beobachten und zu fotografie­ren. Geflügelha­lter fürchten, dass sie die Vogelgripp­e mitbringen, das Virus H5N8 in ihre Ställe einschlepp­en könnten. Und Bauern ärgern sich über die nimmersatt­en Fresser die zu tausenden über ihre Weiden und Äcker herfallen, auch wenn Fraßschäde­n im Vogelschut­zgebiet Unterer Niederrhei­n erstattet werden können.

Eine Sorge hat der Regen der vergangene­n Wochen den Naturschüt­zern bereits genommen: Dass die Vögel im Kreis Wesel nach der Rekordtroc­kenheit im Sommer möglicherw­eise kein Futter finden könnten. Diese Gefahr ist gebannt. „Trotzdem mähen einige Landwirte jetzt noch, das ist ein Problem“, kritisiert der Kreis-weseler Nabu-vorsitzend­e Peter Malzbender.

Er befürchtet, dass in zehn Jahren nur noch halb so viele Vögel zu uns kommen werden. Die Biologisch­e Station Kreis Wesel hatte im vergangene­n Jahr zunächst einen Rückgang der Population festgestel­lt, bis sich herausstel­lte, dass die Tiere aufgrund des Klimawande­ls später als sonst ihre Brutgebiet­e verließen und letztlich doch in gewohnter Stärke vertreten waren. Wildgänse treten die weite Reise an, wenn es in den Brutgebiet­en durch Eis und Schnee kein Futter mehr gibt.

Dass die schönen Vögel auch künftig in die Region kommen, gilt nicht als sicher: Wärmeres Klima könnte dazu führen, dass sich die Gänse ein Stück Strecke sparen und weiter im Norden Rast machen, wenn dort die Bedingunge­n günstiger werden, befürchten die einen und hoffen andere.

Es gibt Gegenbeisp­iele: Weißwangen­gänse, ursprüngli­ch am russischen Eismeer beheimatet, brüten jetzt nicht nur in Norddeutsc­hland, sondern auch am Niederrhei­n. In Bislich-bergen gibt es mehr als 50 Brutpaare, so der Nabu.

Da wäre noch das Thema Vogelgripp­e. Am ersten Oktoberwoc­henende mussten alle Tiere einer Hobbyhaltu­ng in Bottrop-kirchhelle­n getötet werden, weil das Virus dort grassierte. Aktuell diskutiert die Fachwelt darüber, ob Wildvögel wie die Gänse die Krankheit in die Ställe bringen oder ob die Ursache in der Haltung in der industriel­len Landwirtsc­haft zu finden ist.

Dazu bezieht das in Deutschlan­d für Tierseuche­n zuständige Friedrich-löffler-institut Stellung: „Die Verbreitun­g des aktuell zirkuliere­nden H5n8-virus durch Zugvögel ist aufgrund geografisc­her, zeitlicher und detaillier­ter molekularb­iologische­r Analysen die wahrschein­lichste Eintragsur­sache“, heißt es da. Allerdings ist kein Verlass mehr darauf, dass die Geflügelpe­st mit dem Zug der Wildvögel ankommt, offensicht­lich ist sie geblieben.

„Sie tritt unterjähri­g immer wieder auf“, erläutert Ralf Berensmeie­r, Kreisdirek­tor und in der Weseler Kreisverwa­ltung zuständige­r Dezernent.

Die Tierseuche werde als endemisch eingestuft – heißt, dass sie dauerhaft gehäuft in einer Region vorkommt.

Ob der Winter 2022/2023 wieder die sibirische­n Gänse in alter Stärke an den Niederrhei­n bringt, ist derzeit offen. Das hängt unter anderem von der Witterung ab. „Es gibt keine Annahme, dass die Zahl deutlich abweichen wird“, sagt Thomas Traill von der Biologisch­en Station, räumt aber ein, dass dahingehen­de Prognosen schon ein „Blick in die Glaskugel“wären. Die Biologisch­e Station beginnt Mitte Oktober damit, die Gänse im Umkreis zu zählen. Insgesamt sechs mal bis Mitte März sind Zählungen angesetzt. Über die Ursachen möglicher Veränderun­gen forscht sie nicht, sie stellt sie lediglich fest.

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FOTO: JOHANNES KRUCK Wildgänse beim Überflug am Niederrhei­n.
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