Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Verschiebung des Heizungsgesetzes wäre sinnvoll“
Der Chef der Gewerkschaft IG BCE fordert zur Rettung der Chemie einen Industriestrompreis und sagt, wie er den Absturz der Grünen in Umfragen findet.
Herr Vassiliadis, der Verkauf des angeschlagenen Energiekonzerns Steag, fünftgrößter Stromkonzern in Deutschland, läuft. Wie weit ist dieser Prozess?
Wir kommen gut voran. Anfang Juni wissen wir, welche bindenden Gebote es gibt. Ich freue mich, dass die Eigentümer alle hinter den qualitativen Bedingungen stehen.
Was sind das für Bedingungen?
Der Käufer muss die Tarifverträge übernehmen und die Mitbestimmung achten, das ist klar. Er muss aber auch ein Zukunftskonzept für die Steag vorlegen, und zwar für den grünen und schwarzen Bereich.
Werden Sie eine Zerschlagung der Steag untersagen? Das Unternehmen hat dem grünen Bereich schon mal vorsorglich einen neuen Namen gegeben – Iqony. Ein bisschen albern, oder?
Ich verstehe, dass Iqony zunächst bei der Unterscheidbarkeit hilft. Aber es bleibt eine Einheit. Eine Zerschlagung wird es auch in den Jahren nach dem Verkauf nicht geben. Wir geben die Steag nun in gute Hände, die die beiden Bereiche gemeinsam weiterentwickeln. Der schwarze und grüne Bereich profitieren stark voneinander.
Werden Sie als Auflage für den Investor ein Verbot von Stellenabbau verlangen?
Die Steag hat in den vergangenen Jahren bereits viele Stellen abgebaut. Mehr dürfen und können es nicht werden, sonst wird sie zu klein. Das muss der Investor wissen.
In der Branche heißt es, der tschechische Kohleverstromer EPH bekommt den Zuschlag.
VASSILIADIS Nichts ist entschieden.
EPH hat meines Wissens nach ein schlüssiges Konzept vorgelegt. Das haben andere aber auch. Eine wesentliche Frage ist, ob die Bieter bereit sind, einen angemessenen Preis zu zahlen und die qualitativen Bedingungen zu erfüllen.
In der Branche ist von zwei Milliarden Euro Kaufpreis für die Steag die Rede.
VASSILIADIS Das werden wir sehen.
Steag ist ein Gewinner der Energiekrise, weil ihre Kohlekraftwerke aus der Reserve geholt wurden. Das ist 2024 vorbei. Womit soll der schwarze Bereich künftig Geld verdienen?
Das Wertvolle am schwarzen Bereich sind die Kraftwerksstandorte mit einer hervorragenden Infrastruktur. Sie müssen und können auf Wasserstoff umgerüstet werden. Damit kann nicht zuletzt auch das Fernwärmenetz gestärkt werden.
Sehen Sie auch eine Chance für die Atomkraft?
Kernkraft ist in Deutschland durch. Neubauten wird es nicht geben. Wer die drei jüngst abgeschalteten Meiler nutzen will, müsste jetzt Brennstäbe bestellen und Genehmigungen beantragen. Das sehe ich nicht.
Die Industrie fordert einen Industriestrompreis. Wird es den geben?
Das hoffe ich! Wenn wir die Chemie und die verbundenen Wertschöpfungsketten im Land halten wollen, brauchen wir wettbewerbsfähige Energiepreise. Es geht nicht um dauerhafte Subventionen, sondern um eine Überbrückung, bis genug erneuerbare Energien zur Verfügung stehen. Die USA kämpfen mit Subventionen im großen Maßstab darum, die Industrie zurückzuholen. Wir sollten dafür sorgen, dass unsere Industrie erhalten bleibt.
Covestro-chef Markus Steilemann findet die von Habeck angebotenen sechs Cent je Kilowattstunde als Industriestrompreis noch zu wenig. Was sagen Sie?
VASSILIADIS Auch wir haben vier Cent gefordert. Die Industrie kann aber zufrieden sein, wenn sie sechs Cent bekommt.
Covestro ist ein wichtiger Arbeitgeber in NRW. Machen Sie sich Sorgen?
VASSILIADIS Alle energieintensiven Unternehmen stehen unter Druck. Covestro kämpft natürlich auch. Es geht um die gesamte Chemieregion Rhein-ruhr, die eng miteinander vernetzt ist.
Für die Bürger gibt es Preisbremsen bei Strom und Gas. Besorgt es Sie, dass nun das Kartellamt Prüfverfahren gegen Versorger einleitet?
Es ist richtig, dass das Kartellamt prüft. Der Staat stellt viel Geld bereit, um Bürger zu entlasten. Diese Subventionen dürfen Unternehmen nicht missbrauchen.
Für die meisten Menschen ist die wichtigste Frage: Was wird aus meiner Heizung? Muss das Gebäudeenergie-gesetzt (GEG) von Robert Habeck nachgebessert werden?
So, wie es jetzt ist, wird das schwierig. Förderung, Praktikabilität, Verfügbarkeiten – das Wirtschaftsministerium muss noch vieles klären, daher wäre eine Verschiebung des Heizungsgesetzes sicher sinnvoll. Auch ist offen, ob die Stromnetze so viele Wärmepumpen schaffen.
Was halten Sie vom Plan, über 80-Jährige von der Pflicht zum Heizungstausch auszunehmen?
VASSILIADIS Es sollte um die Wohnungen gehen, nicht um die Bewohner. Was sagt deren Alter über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit? Alleinerziehende trifft eine Umtauschpflicht auch hart.
Sie haben als Chef der Bergbau-gewerkschaft oft mit den Grünen gerungen. Freut es Sie, dass die Grünen und Habeck in den Umfragen nun abrutschen?
VASSILIADIS Nein, aber das Heizungsgesetz ist noch nicht gut, weil viele Fragen offen sind.
Was ist das Grundproblem?
Deutschland setzt sich oft zu hohe Ziele. Wir brauchen eine Roadmap mit einer klaren Reihenfolge. Und wir sollten in Teilschritten arbeiten – also nicht nur über Klimaneutralität bis 2045 reden, sondern erst mal sehen, wie weit wir bis 2030 kommen. In den USA hat man den Mut, mit ungelösten Fragen zu leben.
Die Ampelkoalition will den Kohleausstieg bis 2030. Ist das realistisch?
Das würde nur gehen, wenn bis dahin genug erneuerbare Energien und Netze ausgebaut sind und sich die Politik auch in der Lausitz mit den Betreibern einigt.