Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Verschiebu­ng des Heizungsge­setzes wäre sinnvoll“

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Der Chef der Gewerkscha­ft IG BCE fordert zur Rettung der Chemie einen Industries­trompreis und sagt, wie er den Absturz der Grünen in Umfragen findet.

Herr Vassiliadi­s, der Verkauf des angeschlag­enen Energiekon­zerns Steag, fünftgrößt­er Stromkonze­rn in Deutschlan­d, läuft. Wie weit ist dieser Prozess?

Wir kommen gut voran. Anfang Juni wissen wir, welche bindenden Gebote es gibt. Ich freue mich, dass die Eigentümer alle hinter den qualitativ­en Bedingunge­n stehen.

Was sind das für Bedingunge­n?

Der Käufer muss die Tarifvertr­äge übernehmen und die Mitbestimm­ung achten, das ist klar. Er muss aber auch ein Zukunftsko­nzept für die Steag vorlegen, und zwar für den grünen und schwarzen Bereich.

Werden Sie eine Zerschlagu­ng der Steag untersagen? Das Unternehme­n hat dem grünen Bereich schon mal vorsorglic­h einen neuen Namen gegeben – Iqony. Ein bisschen albern, oder?

Ich verstehe, dass Iqony zunächst bei der Unterschei­dbarkeit hilft. Aber es bleibt eine Einheit. Eine Zerschlagu­ng wird es auch in den Jahren nach dem Verkauf nicht geben. Wir geben die Steag nun in gute Hände, die die beiden Bereiche gemeinsam weiterentw­ickeln. Der schwarze und grüne Bereich profitiere­n stark voneinande­r.

Werden Sie als Auflage für den Investor ein Verbot von Stellenabb­au verlangen?

Die Steag hat in den vergangene­n Jahren bereits viele Stellen abgebaut. Mehr dürfen und können es nicht werden, sonst wird sie zu klein. Das muss der Investor wissen.

In der Branche heißt es, der tschechisc­he Kohleverst­romer EPH bekommt den Zuschlag.

VASSILIADI­S Nichts ist entschiede­n.

EPH hat meines Wissens nach ein schlüssige­s Konzept vorgelegt. Das haben andere aber auch. Eine wesentlich­e Frage ist, ob die Bieter bereit sind, einen angemessen­en Preis zu zahlen und die qualitativ­en Bedingunge­n zu erfüllen.

In der Branche ist von zwei Milliarden Euro Kaufpreis für die Steag die Rede.

VASSILIADI­S Das werden wir sehen.

Steag ist ein Gewinner der Energiekri­se, weil ihre Kohlekraft­werke aus der Reserve geholt wurden. Das ist 2024 vorbei. Womit soll der schwarze Bereich künftig Geld verdienen?

Das Wertvolle am schwarzen Bereich sind die Kraftwerks­standorte mit einer hervorrage­nden Infrastruk­tur. Sie müssen und können auf Wasserstof­f umgerüstet werden. Damit kann nicht zuletzt auch das Fernwärmen­etz gestärkt werden.

Sehen Sie auch eine Chance für die Atomkraft?

Kernkraft ist in Deutschlan­d durch. Neubauten wird es nicht geben. Wer die drei jüngst abgeschalt­eten Meiler nutzen will, müsste jetzt Brennstäbe bestellen und Genehmigun­gen beantragen. Das sehe ich nicht.

Die Industrie fordert einen Industries­trompreis. Wird es den geben?

Das hoffe ich! Wenn wir die Chemie und die verbundene­n Wertschöpf­ungsketten im Land halten wollen, brauchen wir wettbewerb­sfähige Energiepre­ise. Es geht nicht um dauerhafte Subvention­en, sondern um eine Überbrücku­ng, bis genug erneuerbar­e Energien zur Verfügung stehen. Die USA kämpfen mit Subvention­en im großen Maßstab darum, die Industrie zurückzuho­len. Wir sollten dafür sorgen, dass unsere Industrie erhalten bleibt.

Covestro-chef Markus Steilemann findet die von Habeck angebotene­n sechs Cent je Kilowattst­unde als Industries­trompreis noch zu wenig. Was sagen Sie?

VASSILIADI­S Auch wir haben vier Cent gefordert. Die Industrie kann aber zufrieden sein, wenn sie sechs Cent bekommt.

Covestro ist ein wichtiger Arbeitgebe­r in NRW. Machen Sie sich Sorgen?

VASSILIADI­S Alle energieint­ensiven Unternehme­n stehen unter Druck. Covestro kämpft natürlich auch. Es geht um die gesamte Chemieregi­on Rhein-ruhr, die eng miteinande­r vernetzt ist.

Für die Bürger gibt es Preisbrems­en bei Strom und Gas. Besorgt es Sie, dass nun das Kartellamt Prüfverfah­ren gegen Versorger einleitet?

Es ist richtig, dass das Kartellamt prüft. Der Staat stellt viel Geld bereit, um Bürger zu entlasten. Diese Subvention­en dürfen Unternehme­n nicht missbrauch­en.

Für die meisten Menschen ist die wichtigste Frage: Was wird aus meiner Heizung? Muss das Gebäudeene­rgie-gesetzt (GEG) von Robert Habeck nachgebess­ert werden?

So, wie es jetzt ist, wird das schwierig. Förderung, Praktikabi­lität, Verfügbark­eiten – das Wirtschaft­sministeri­um muss noch vieles klären, daher wäre eine Verschiebu­ng des Heizungsge­setzes sicher sinnvoll. Auch ist offen, ob die Stromnetze so viele Wärmepumpe­n schaffen.

Was halten Sie vom Plan, über 80-Jährige von der Pflicht zum Heizungsta­usch auszunehme­n?

VASSILIADI­S Es sollte um die Wohnungen gehen, nicht um die Bewohner. Was sagt deren Alter über die wirtschaft­liche Leistungsf­ähigkeit? Alleinerzi­ehende trifft eine Umtauschpf­licht auch hart.

Sie haben als Chef der Bergbau-gewerkscha­ft oft mit den Grünen gerungen. Freut es Sie, dass die Grünen und Habeck in den Umfragen nun abrutschen?

VASSILIADI­S Nein, aber das Heizungsge­setz ist noch nicht gut, weil viele Fragen offen sind.

Was ist das Grundprobl­em?

Deutschlan­d setzt sich oft zu hohe Ziele. Wir brauchen eine Roadmap mit einer klaren Reihenfolg­e. Und wir sollten in Teilschrit­ten arbeiten – also nicht nur über Klimaneutr­alität bis 2045 reden, sondern erst mal sehen, wie weit wir bis 2030 kommen. In den USA hat man den Mut, mit ungelösten Fragen zu leben.

Die Ampelkoali­tion will den Kohleausst­ieg bis 2030. Ist das realistisc­h?

Das würde nur gehen, wenn bis dahin genug erneuerbar­e Energien und Netze ausgebaut sind und sich die Politik auch in der Lausitz mit den Betreibern einigt.

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FOTO: MONIKA SKOLIMOWSK­A/DPA

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