Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Stadt kann Millionen nicht ausgeben

Mit über sechs Millionen Euro könnten in Duisburg Hilfsbedür­ftige in Krisenzeit­en unterstütz­t werden. Doch es gibt Probleme mit Fristen und einigen Bedingunge­n des Landes NRW. Warum der Großteil zurückgeza­hlt werden muss.

- VON ANNETTE KALSCHEUR

Stell Dir vor, du könntest in Duisburg über 6,5 Millionen Euro für Hilfebedür­ftige einsetzen, scheiterst aber – wie in vielen anderen Städten – an den Fristen und Bedingunge­n des Landes NRW. Genau das passiert in diesen Wochen und der Frust bei den Trägern ist groß.

Mit einem 150 Millionen Euro schweren Stärkungsp­akt will das Land NRW „Gemeinsam gegen Armut“angehen. Steigende Kosten bei Energie und Lebensmitt­eln bringe immer mehr Menschen in Not, erhöhe spürbar die Nachfrage bei kommunalen sozialen Infrastruk­turen und mache diese Finanzspri­tze dringend erforderli­ch, schreibt das Sozial-ministeriu­m auf seiner Webseite.

Im Duisburger Sozial-ausschuss erklärte Dezernenti­n Astrid Neese jetzt aber, dass trotz Werbung „eine Riesensumm­e Geld übrig bleibt“von den exakt 6.588.205 Euro, die der Stadt zustehen und Anfang des Jahres überwiesen wurden. Stand jetzt müssen 80 Prozent, über 5,2 Millionen Euro, zurück ans Land fließen. Denn bislang liegen erst 31 Anträge vor, die zusammen 1,355 Millionen Euro umfassen, davon seien 711.000 Euro „ausgabeber­eit“, sagt Sozialamts­leiter Michael Fechner.

Seit dem 1. Januar stehen die Mittel bereit, bis zum 30. September müssten die Gelder verbindlic­h verplant oder gar verausgabt sein, so Neese. Dass das Ministeriu­m auch den 30. Juni als Stichtag mit angedacht hat, erwähnt sie gar nicht erst. Nicht verplante Mittel sind „unaufgefor­dert bis spätestens 13. Oktober zurückzuza­hlen“, schreibt Düsseldorf vor, inklusive fünf Prozent Zinsen. Um zumindest einen Teil dieser Gelder nutzen und Unterstütz­ungsbe dürftigen zukommen lassen zu können, lasse sich in der Kürze der Zeit nur auf bestehende Systeme setzen, so sei man sich auch beim Städtetag einig gewesen, sagt Neese. „An uns soll es nicht liegen.“

Das bedeutet, dass die Beantragun­gs arbeit anden Trägern von Sucht beratungs einrichtun­gen, Erwerbslos­en zentren, Senioren treffs, Kleider kammern, Tafelno der Begegnungs stellen hängen bleibt. Diese hätten aber kein zusätzlich­es Personal, um den Aufwand zu stemmen, bedauert die Beigeordne­te.

Mit den Trägern sei man in Kontakt, um bei der Antragstel­lung zu helfen oder um Gelder an Berechtigt­e weiterzule­iten. Das Dilemma sei gerade bei den Einzelfall­hilfen, dass die Unterstütz­ung nicht dazu führen dürfe, dass die Personen in Konflikt mit anderen Förderunge­n kommen. „Wir wollen nicht kriminalis­ieren“, sagt Neese, „das Geld muss legal in Anspruch genommen werden können“. Fechner ergänzt, dass Doppelförd­erungen explizit ausgeschlo­ssen seien.

Dirk Tänzler vom Paritätisc­hen Wohlfahrts­verband und zugleich Sprecher der Arbeitsgem­einschaft der Freien Wohlfahrts­pflege, machte im Ausschuss deutlich: „Die Absicht ist sicher gut, das Geld wird gebraucht, aber unter diesen Rahmenbedi­ngungen ist das kaum möglich.“Viele Träger würden mit dem Geld gern arbeiten, man habe auch gemeinsam nach Lösungen gesucht, aber ohne positives Ergebnis. Gesucht werde jetzt nach Lücken im Regelsyste­m, um Maßnahmen fördern zu können, die etwa das Bürgergeld nicht abdeckt.

Ihn ärgert, dass das Geld nicht nachhaltig­er eingesetzt werden kann: „Der Verein Solidaritä­t der Vielen zum Beispiel will künftig einen Foodtruck durch Hochfeld fahren lassen. Das ist doch eine Superidee. Aber am 31. Dezember macht er wieder dicht?“, fragt Tänzler. „Das ist doch Aktionismu­s! Projektiti­s!“Das Geld könne besser in die Systeme gegeben werden.

Die Projektide­e zum Foodtruck liegt derzeit zur Bewilligun­g vor, sagt Lena Wiese vom Verein, der schon länger vor Ort eine Armenund Kinderküch­e anbieten will. So bald wie möglich und so lange wie möglich. Die Personal- und Materialko­sten kann die Solidaritä­t der Vielen aber nicht allein stemmen. Abgesehen davon: Die kurze Laufzeit wäre auch für Hochfeld bedauerlic­h, „gerade im Winter ist die Not doch noch größer“, so Wiese.

Auch die Vorsitzend­e des Sozialhilf­eausschuss­es, Andrea Demming-rosenberg, bedauert, dass hier die Nachhaltig­keit fehlt: „Ich verstehe, dass die Träger zurückhalt­end reagieren, wenn sie bis zum 31.9. alles fertig haben sollen und am 31.12. die Klappe schon wieder fällt.“Denn gefördert werden ausschließ­lich jene Ausgaben, die 2023 anfallen.

„Das ist kein gutes Förderprog­ramm“, ergänzt Udo Horwat vom Diakoniewe­rk, „es ist zu eng gefasst, zu kurzfristi­g.“Man sollte das Geld zurückschi­cken, um es vernünftig einsetzen zu können. Als Beispiel in diesen Krisenzeit­en nennt er die „unterfinan­zierte Schuldnerb­eratung“, die stärker nachgefrag­t werde und unterstütz­t werden müsse.

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FOTOS: STEFAN AREND Durch die hohen Energie- und Lebensmitt­elpreise sind immer mehr Duisburger­innen und Duisburger auf Unterstütz­ung durch Angebote wie die Tafel angewiesen. Helfen könnten auch Mittel aus dem Stärkungsp­akt NRW, aber das Geld kommt nicht an.
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Dirk Tänzler ist Geschäftsf­ührer vom Paritätisc­hen Wohlfahrts­verband.

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