Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Den O-ton von Jesus kennt niemand
Das Neue Testament wurde auf Griechisch verfasst. Gottes Sohn hatte jedoch eine andere Muttersprache: Aramäisch.
Es gibt etliche Sätze aus der Ostergeschichte, die wir – auch ohne größere Bibelkenntnisse – sofort als die Worte Jesu erkennen. Wie die Einsetzungsworte beim letzten Abendmahl: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis!“Oder auch seine Vergebungsworte: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“Schließlich sein Ausruf der Verzweiflung und Todesangst: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
So steht es in den Evangelien. Doch sind diese Worte bei allem Bemühen um Genauigkeit wirklich authentisch? Diese Frage stellt sich vor allem vor diesem Sprachhintergrund: Das Neue Testament mit den Evangelien, der Apostelgeschichte, den Briefen und Offenbarungen wurde in griechischer Sprache verfasst; das ist die Quelle, aus der wir schöpfen.
Aber: Das Griechische war nicht die Sprache Jesu; Gottes Sohn sprach Aramäisch. „Und von ihm existiert kein einziger O-ton, also kein Urevangelium. In der Tat ist es die große Frage, warum sich die Autoren der Bibel dazu entschieden haben, die Texte im Griechischen zu verfassen“, fragt sich auch Professor Holger
Gzella. Er lehrt in München Alttestamentliche Theologie und zählt zu den wohl renommiertesten Experten des Aramäischen.
Ganz so einfach zu verstehen ist es tatsächlich nicht, warum biblische Urtexte in Griechisch verfasst wurden. Denn Aramäisch war zu Lebzeiten Jesu wie auch noch zur Zeit der Niederschrift der Evangelien keineswegs eine bloß lokal beheimatete Sprache. Das Aramäische ist nach den Worten Gzellas eine Weltsprache des Altertums gewesen, die sich überall dort verbreitete, wo die ersten Hochkulturen und mit ihnen monotheistische Religionen entstanden. Wie im Nahen Osten und Zentralasien, in Indien und Nordafrika.
Ein unsichtbares Weltreich sei das Aramäische gewesen, sagt Gzella.
Und ein altes obendrein. Erste Schriftstücke stammen aus dem 9. Jahrhundert v. Chr., es hatte die Keilschrift abgelöst mit einer schon früh voll ausgebauten Grammatik und einem reichen Wortschatz. Praktisch von Beginn an ist es ein vollständiges Kommunikationsmedium gewesen.
Wieso dann also eine Übertragung der Worte Jesu ins Griechische? Es gibt für den Theologen nur einen Grund: eine Art Wirkungseifer der Autoren. Anders gesprochen: Sie suchten nach einem Medium, das die beste und zukunftsträchtigste Verbreitung versprach. Und das war damals zweifellos die griechische Sprache. Denn unter dem jüdischen Klientelkönig Herodes dem Großen und seiner pro-römischen Ausrichtung war das Griechische in Palästina als Amtssprache eingeführt worden – als offizielle Schriftsprache. Das Aramäische sei nach den Worten Gzellas im Recht zwar noch bis zum Jahr 100 n. Chr. verwendet worden. „Doch viele Akteure der neutestamentlichen Missionsbewegung – wie Paulus – haben sich auf das westliche Mittelmeergebiet konzentriert, wo das Griechische die Verkehrssprache war.“Sehr wahrscheinlich habe das Aramäische für die Ausbreitung des Christentums vor allem nach Osten hin und später bis Zentralasien eine größere Rolle gespielt.
Was also tun, will man Jesus und seinen Worten noch ein Stück näher kommen? Tatsächlich gab es Bemühungen, mit einer Rückübersetzung ins Aramäische die ursprüngliche Bedeutung der einschlägigen Jesusworte
zu finden. Aramäisch-fachmann Holger Gzella nennt das aber reine „Kaffeesatzleserei“. Für den Wissenschaftler sind die maßgebliche Originaltexte die Griechischen und alle Versuche, ein aramäisches Original zu konstruieren, „reine Spekulationen“.
Solche Probleme hatte im Jahr 1967 schon ein junger Theologe erkannt, der viele Jahre später Papst werden sollte. Joseph Ratzinger hielt damals in Tübingen eine Vorlesungsreihe über das apostolische Glaubensbekenntnis und deutete das fehlende Original auf diese kluge Weise: „Zu den wenigen kleinen Kostbarkeiten, in denen uns die Urgemeinde unübersetzt das aramäische Reden Jesu festgehalten hat, weil sie besonders auffallend darin ihn selbst vernahm, gehört die Anrede
„Abba – Vater“. Dadurch würde sich das Original von der Vateranrede im Alten Testament unterscheiden. So stellt das aramäische „Abba“nach den Worten Ratzingers eine „Formel des intimen Zueinander dar“. Dass also Jesus so betete, dass er in diesem Wort mit Gott verkehrte „und darin eine neue, nur ihm persönlich eignende Form der Intimität mit Gott ausdrückte, das war es, was die frühe Christenheit festhielt, wenn sie dieses Wort in seinem Urklang aufbewahrte“. So wertvoll können aramäische Sprachbotschaften sein.
Das Aramäische war einst eine Weltsprache. Und dass sie selbst heute noch nicht vollständig verschwunden ist, liegt daran, dass sie chamäleonhafte Eigenschaften hat und sich auch in den vergangenen Jahrhunderten stetig wandelte. Die Zahl ihrer Sprecher wird heute weltweit auf etwa eine Million Menschen geschätzt, davon leben allein in Deutschland derzeit etwa 120.000. Die seien, bemerkt Holger Gzella, in verschiedenen Schüben zu uns gekommen: erst als Gastarbeiter, dann als Flüchtende vor allem aus der Osttürkei. Wobei unter den aramäischen Christen das Bewusstsein herrscht, dass ihre Sprache eine ganz besondere ist – mit dem berühmtesten Muttersprachler der Welt: Jesus.
Empfehlung Holger Gzellas Buch „Aramäisch. Weltsprache des Altertums“ist erschienen im Verlag C.H. Beck. Es hat 480 Seiten und kostet 36 Euro. Das Buch ist in einer Reihe erschienen, die der Verlag C.H. Beck und die Düsseldorfer Gerda-henkel-stiftung gemeinsam unterhalten und kontinuierlich weiterentwickeln. Auf der Website der Henkel-stiftung findet sich zudem ein aufschlussreiches Interview mit Prof. Gzella. Es ist nachzulesen auf:
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16.00 Tagesschau
16.10 Verrückt nach Meer
17.00 Tagesschau
17.15 Brisant
18.00 Wer weiß denn sowas?
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Wissen vor acht – Mensch Wetter
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Der Zürich-krimi: Borchert und die bittere Medizin 19.45 19.50 19.55 20.00 20.15
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