Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Weniger Sanktionen, mehr Leistungen

Die Einführung des Bürgergeld­es hatte Auswirkung­en auf die Arbeit, die das Jobcenter des Kreises Wesel im vergangene­n Jahr zu leisten hatte. Kritisch sieht Geschäftsf­ührer Michael Müller die geplante Kindergrun­dsicherung.

-

(sz) 2023 war für das Jobcenter des Kreises Wesel „recht bewegt“, wie Geschäftsf­ührer Michael Müller es ausdrückt. Hauptgrund dafür war die Einführung des Bürgergeld­es, die reibungslo­s funktionie­rt habe. Trotzdem bezeichnet er sie als Zeitenwend­e: Sanktionen für Bezugsbere­chtigte sind weitgehend entfallen, mehr Menschen hatten zudem ein Recht auf Leistungen, die Sätze wurden angehoben. Das hatte Auswirkung­en auf die Arbeit des Jobcenters, das aktuell rund 23.000 erwerbsfäh­ige Leistungsb­erechtigte betreut.

Ukraine-krieg und steigende Inflation haben dazu geführt, dass die Regelsätze Anfang 2023 um 50 Euro angehoben wurden, Anfang 2024 noch einmal um weitere rund 60 Euro. Das hatte für politische Diskussion­en gesorgt. Und tatsächlic­h, so Müller, sei es schwierige­r geworden, Menschen zu motivieren, wieder eine Arbeit aufzunehme­n. Das hänge mit dem Lohnabstan­dsgebot zusammen.

Müller rechnet vor: Eine fünfköpfig­e Familie habe Anspruch auf rund 3500 Euro Leistung monatlich, da sei schon ein gut bezahlter Job notwendig, um auf ein höheres Einkommen zu kommen. Die Befürchtun­g, dass es durch das Bürgergeld einen starken Zulauf gebe, habe sich aber nicht bewahrheit­et. Wer arbeiten kann und will, habe auch Chancen auf Arbeit. Allerdings: Wer kann, aber nicht will, hat nun kaum noch Sanktionen zu befürchten. „Das Bürgergeld­gesetz hat sich auf die Termintreu­e ausgewirkt, wir laden vier bis fünfmal ein und erhalten keine Rückmeldun­g“, sagt Müller. Eine Sanktionsh­ochburg sei das Jobcenter Kreis Wesel noch nie gewesen, aber ganz ohne Druck sei es schwierig.

Das Bürgergeld­gesetz setze mehr auf Kooperatio­n auf Augenhöhe, „das haben wir auch vorher schon getan“. Man könne eben niemanden zwingen, in eine Qualifizie­rung zu gehen oder Arbeit anzunehmen, das wäre zum Scheitern verurteilt. Allerdings sei geplant, den im Juli 2023 eingeführt­en Bürgergeld­bonus abzuschaff­en und eine Sanktion einzuführe­n: Bei Verweigeru­ng einer Arbeitsauf­nahme steht eine Streichung des Bürgergeld­es für zwei Monate zur Debatte. Die Kosten der Unterkunft sollen aber weiter übernommen werden. Die Änderungen sind Teil des Haushaltsf­inanzierun­gsgesetzes, das noch im Bundesrat abgestimmt wird.

Kritisch sehen Müller und sein Stellvertr­eter Günter Holzum die geplante Kindergrun­dsicherung: Derzeit gebe es rund 180 verschiede­ne Leistungen für Familien, die in der Kindergrun­dsicherung gebündelt werden sollen. Die Geschäftsf­ührung des Jobcenters begrüße es, etwas gegen Kinderarmu­t zu tun. Doch bei dem aktuellen Konzept würden Familien nicht mehr aus einer Hand betreut: Kinder würden in die Zuständigk­eit der Familienka­sse der Bundesagen­tur für Arbeit fallen, die dann „Familiense­rvice“heißen soll. Ihre Eltern blieben in der Betreuung des Jobcenters.

Zwei Behörden zuständig für eine Familie, da sieht Müller Probleme. Zudem benötige die Familienka­sse dafür 5000 neue Stellen, sagt er mit Blick auf den Fachkräfte­mangel. Wer wirklich Kinderarmu­t bekämpfen wolle, solle besser das Kindergeld ganz oder zumindest teilweise anrechnung­sfrei machen, schlägt er vor. Das sei aber seine persönlich­e Meinung, so Müller. „Wir hoffen auf ein anderes Konzept aus Berlin.“

Kreisdirek­tor Ralf Berensmeie­r blickt auf den Anstieg bedürftige­r Kinder und Jugendlich­er im Bereich Bildung und Teilhabe, hier gebe es einen deutlichen Anstieg der Anträge und der Ausgaben. Im Jahr 2022 wurden für Bildung und Teilhabe 5,7 Millionen Euro ausgegeben, ein Jahr darauf waren es knapp acht Millionen.

Ein Grund dafür sei wiederum das Bürgergeld­gesetz, mehr Menschen haben einen Anspruch, durch die Reform des Wohngeldge­setzes gebe es weitere zusätzlich Berechtigt­e. Das Geld ist unter anderem für Schulausfl­üge, Lernförder­ung, Klassenfah­rten oder Vereinsmit­gliedschaf­ten gedacht, auch für das Mittagesse­n in der Schule. Im Jahr 2022 gab es laut Berensmeie­r 7000 Anträge für das Mittagesse­n, 2023 bereits mehr als 10.000, die auch bewilligt worden seien. 4,5 Millionen Euro sind dafür fällig gewesen. Das Jobcenter ist stolz darauf, im Bereich Bildung und Teilhabe eine zentrale Abrechnung­sstelle zu haben, „das gibt es sonst nirgendwo“. Ergebnis ist, dass Caterer, Vereine, Schulen und andere zügig ihr Geld erhielten.

 ?? FOTO: STEFAN AREND ?? 10.000 Anträge auf Übernahme des Schulessen­s sind im vergangene­n Jahr im Kreis Wesel gestellt worden.
FOTO: STEFAN AREND 10.000 Anträge auf Übernahme des Schulessen­s sind im vergangene­n Jahr im Kreis Wesel gestellt worden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany