Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein Jubilar ohne Plan

- VON GREGOR MAYNTZ

Die Geburtstag­seloge zum 75. der Nato an diesem Donnerstag geht scheinbar einfach: Vor fünf Jahren noch für „hirntot“und „obsolet“erklärt, ist die Nato so stark und so attraktiv wie nie zuvor. Von zehn auf 32 Staaten gewachsen, kann sie stolz darauf sein, dass keines ihrer Mitglieder – abgesehen vom 11. September 2001 – je angegriffe­n wurde. Doch das ist nur der oberflächl­iche Befund. Tatsächlic­h besteht Grund zur Sorge.

Das wird schon beim Blick auf den ursprüngli­chen Zweck deutlich, der darin bestand, die Amerikaner drinnen, die Sowjets draußen und die Deutschen unten zu halten. Aktuell fürchtet das Bündnis, die USA könnten sich aus ihrer Rolle im Nordatlant­ik verabschie­den, hat Moskau das Heft des kriegerisc­hen Handelns in Europa übernommen und werden von den weit oben angesiedel­ten Deutschen zusätzlich­e Führungsau­fgaben erwartet.

Alle Appelle, Warnungen und Drohungen der Nato haben Russland nicht davon abhalten können, die Ukraine zu überfallen und als freien Staat auslöschen zu wollen. Statt dem Aggressor rote Linien aufzuzeige­n, zieht das Bündnis rote Linien für sich selbst. Damit gibt die Nato Putin die Herrschaft über die Eskalation und nimmt sich selbst als Faktor vom Feld.

Die Beschimpfu­ng der Nato als kriegslüst­erne Angriffsal­lianz existiert eben nur in den Kreml-narrativen, die ganz rechts und ganz links kultiviert werden. In Wahrheit ist die Nato auch hier das Gegenteil: Der eigene Frieden geht vor. Auch vor der Sicherheit in Europa. Es gibt bei der Nato kein Konzept, keinen Plan, Putin zum Aufgeben zu bewegen. Die Bedrohung des Weltfriede­ns durch Moskau und Peking würde die Gründung eines einigen und entschloss­enen westlichen Bündnisses erfordern. Doch es gibt halt schon die Nato, und die kann an ihrem Geburtstag vor Kraft nicht laufen.

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