Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Hemmschuh Doppelspitzen
ANALYSE Das Problem der Ampel ist auch deswegen so groß, weil in Parteien und Fraktionen zu viele mitreden und zu viel Uneinigkeit herrscht. Angesichts zahlreicher Krisen müssen aber Entscheidungen getroffen werden.
Der Koalitionsausschuss von SPD, Grünen und FDP tagt in diesen Apriltagen zum ersten Mal im Jahr 2024. Für eine Koalition in der Krise ist das ziemlich bemerkenswert, ist doch der April bereits der vierte Monat im Jahr. Und zu besprechen gibt es eigentlich viel. Doch das Gremium selbst und die Treffen im Kanzleramt sind bei den Beteiligten nicht besonders beliebt. Auch deswegen, weil es schlicht zu viele Teilnehmer sind, um wirklich etwas schnell und nachhaltig zu entscheiden. Die Grünen kommen mit sechs Leuten: zwei Parteivorsitzende, zwei Fraktionschefinnen, ein Minister, eine Ministerin. Die
SPD stellt Kanzler, Kanzleramtsminister, Fraktionschef und die Doppelspitze der Partei, die FDP erscheint mit FDP-CHEF Christian Lindner, gleichzeitig Bundesfinanzminister, Fraktionschef und Generalsekretär, verschiedene Minister alternieren. Legendär war eine Sitzung im vergangenen Frühjahr, als 30 Stunden konferiert wurde und am Ende, so die Meinung vieler Beteiligter, eine Einigung erzielt worden war, die in groben Zügen eigentlich schon vor den Verhandlungen feststand.
Man trifft sich stets im Kanzleramt zu einem Essen, Spd-bundeskanzler Olaf Scholz referiert über die Lage des Landes. Dann ergreifen die Parteivorsitzenden das Wort, im Anschluss wird diskutiert. Für politische Langfristkonzepte, grundsätzliche Überlegungen und vertiefende Diskussionen ein gutes Format.
Angesichts der zahlreichen außenpolitischen Krisen, etwa dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine oder den innenpolitischen Herausforderungen beim Thema Wirtschaftswachstum und Haushaltskrise, müssen von der Regierung jedoch auch schmerzhafte und endgültige Entscheidungen getroffen werden. Das fällt in der Konstellation von drei Parteien, bislang einmalig in Deutschland, ohnehin schon schwer.
Aber das Problem der Ampel ist auch deswegen so groß, weil sich die Doppelspitzen in Parteien und Fraktionen als Hemmschuh erwiesen haben. Zu viele reden mit, zu viele sind sich uneinig, zu viele wollen sich profilieren, zu viele vor die Presse treten. So kann man durchaus beobachten, dass Parteispitzen teilweise zu sehr unterschiedlichen Interpretationen von Beschlüssen kommen. Das ist mitunter recht amüsant.
Entscheidungen werden aber auch deswegen immer wieder verzögert, weil in vielen Runden intern abgestimmt werden muss. Was nicht immer gelingt, da Kommunikationskanäle nicht klar sind. So hakte etwa die Einigung zu Sparmaßnahmen im Haushalt im vergangenen Dezember der Koalitionsausschuss ab. Leider wusste der entsprechende Minister, in diesem Fall Cem Özdemir, nichts von den Beschlüssen. Er war aber just in diesem Moment zur Befragung der Bundesregierung auf der Regierungsbank im Bundestag und musste sich erklären. Irgendwie, so schilderte es hinterher ein Teilnehmer, sei der Überblick verloren gegangen.
In diesen krisenhaften Zeiten hat sich das Verteilen der Macht auf mehrere Schultern überholt. Auch deshalb, weil Entscheidungen auch Verantwortung bedeuten, die man übernimmt. Und diese jemandem geben muss, der im Zweifel auch für Fehler einsteht.
Die SPD führte die Doppelspitze in der jüngeren Zeit 2019 ein – diesmal nicht, um die verschiedenen Partei-flügel zu vertreten, sondern um mit einem Mann und einer Frau die Partei zu führen. In einem längeren Beteiligungsprozess mit einem abschließenden Mitgliedervotum wurden zunächst Saskia Esken und Norbert Walter-borjans gewählt, 2021 folgte nach Walter-borjans’ Rückzug
Lars Klingbeil. Interessanterweise gibt es in der Spd-fraktion keine Doppelspitze. Die Macht von Rolf Mützenich ist ungeteilt, was eine sehr disziplinierte Fraktion zur Folge hat.
Ganz klar: Das Infrage-stellen der Doppelspitzen ist kein Plädoyer für einen Mann an der Spitze. Angela Merkel hat für die CDU jahrelang vorgemacht, dass eine Frau die Macht besitzen und ausüben kann, im Kanzleramt und in der Partei. Ihre Macht begann zu bröckeln, als sie sich als Parteivorsitzende zurückzog.
Doppelspitzen nur noch aus dem Grund zu haben, damit beide Geschlechter an der Spitze vertreten sind, darüber müsste man 2024 hinweg sein. Ebenso über die Flügellogik der Parteien.
Bei den Grünen war das Auslaufen der beliebten Doppelspitzen-idee bereits rund um die Bundestagswahl 2021 und die Kür der Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zu beobachten. Bevor klar war, wer der grüne Kanzlerkandidat wird, betonte besonders Robert Habeck den Team-gedanken immer wieder ausdrücklich. Sodass man den Eindruck bekam, dass Baerbock und Habeck als Duo ins Kanzleramt einziehen wollten, mit abwechselnden Regierungstagen. Doch dann kam die Nominierung, und für Baerbock erwies sich der einstige Partner an der Spitze nicht wirklich als Teamplayer.
Führung bedeutet, teilen zu können – ohne Frage. Dazu braucht es ein Spitzen-team mit starken Stellvertretern, die jederzeit übernehmen könnten. Aber ein Teilen von Führung ist in der Politik, in der weitreichende Entscheidungen auch auf einem Jahrmarkt der Eitelkeiten gefällt werden, ein Hindernis. Ausgerechnet die selbst ernannte Fortschrittskoalition ist dafür ein Beispiel.
Denn in Wahrheit bilden Kanzler, Vizekanzler und Vize-vizekanzler längst das Auge des Sturms. Und deswegen sind die Treffen der vielen Spitzen im Kanzleramt selten geworden.
Das Infrage-stellen der Doppelspitzen ist kein Plädoyer für einen Mann an der Spitze