Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ns-sprache ist im Afd-alltag angekommen
Die Rhetorik von Björn Höcke erinnert an Deutschlands dunkelste Zeit. Er selbst bestreitet bewusste Parallelen zu den Nazis, auch vor Gericht. Dabei sind nicht wenige Redewendungen bis heute belastet.
Fünf Minuten dreißig dauert es, bis Björn Höcke in seinem letzten großen Interview live im Fernsehen in das Jahr 1933 abdriftet. Auf eine verhältnismäßig harmlose Frage zur Schulpolitik in Thüringen bemerkt der Afd-spitzenkandidat für die Landtagswahl so beiläufig wie bedeutungsvoll: Die Bildungslandschaft sei durch Gremien wie die Kultusministerkonferenz „gewissermaßen gleichgeschaltet“. Was ihm der Mdr-moderator zunächst durchgehen lässt und erst später die Wortwahl kritisiert, mit der „er sich schwertue“.
Vielfach kritisiert wurde die Sendung, weil sie den Parteichef des als laut Verfassungsschutz gesichert rechtsextremen Afd-landesverbands eine Bühne bot. Ähnlich groß ist das Entsetzen über das Tv-duell mit Höcke und dem Cdu-spitzenkandidaten Mario Vogt an diesem Donnerstag, das ausgerechnet auf den Tag der Befreiung der KZ Buchenwald und Mittelbau-dora fällt. Wie klein die Erregung über einzelne Afd-aussagen ist, in denen immer wieder Ns-jargon anklingen, zeigt zweierlei: Wie wohldosiert sie eingewoben werden in den Wahlkampfsprech der Partei. Aber auch, wie wenig Sensibilität für belastete Begriffe und Redewendungen 80 Jahre nach Ende der Naziherrschaft noch vorhanden ist. Einige Beispiele.
Gleichschaltung Nicht nur Galionsfigur Höcke, sondern auch der Afdbundestagsabgeordnete Gottfried Curio sprach 2018 im Bundestag von Gleichschaltung. In der Debatte um Hans-georg Maaßen wetterte der innenpolitische Sprecher, „selbst der Verfassungsschutz soll jetzt gleichgeschaltet werden“. Die gleiche Ns-analogie verwendete die Afd-fraktion im Brandenburger Landtag 2021: In einem Antrag zu Corona-maßnahmen ist schriftlich von der „Gleichschaltung im Rahmen des Infektionsschutzes“die Rede.
Der ursprünglich aus dem Bereich der Elektrotechnik stammende Ausdruck diente den Nazis als Verharmlosung ihrer Maßnahmen nach der
Machtergreifung 1933: Alle sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Organisationen wurden übernommen und kontrolliert; Juden und Oppositionelle aus Behörden und Institutionen teils gewaltsam entfernt.
Ein entsprechendes Gesetz zur „Gleichschaltung“legte das fest. Indem die AFD das Wort für ihre Kritik an Regierungshandeln nutzt, verharmlost sie die Gräueltaten der Nationalsozialisten.
Systemmedien Im Vorfeld der „Gleichschaltung“propagierte die Nsdap-führung Begriffe wie „Lügenpresse“und „Systemmedien“, um Kritiker zu denunzieren. Einst Lieblingswort von Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels, wurde „Lügenpresse“2015 zum Unwort des Jahres gewählt. Beigetragen dazu haben Afd-politiker und Pegida-gruppen, deren Schnittmengen im Osten nicht gering sind. Als „Systempresse“wurden auch westliche Medien von der DDR herabgewürdigt – heutige Vergleiche, die die AFD immer wieder bemüht, sind so absurd wie geschichtsvergessen.
Überfremdung Mit Schlagworten wie „Überfremdung“und „Remigration“knüpft das Afd-vokabular sprachlich an die Ideologie der Nszeit an, in der „Umvolkung“oder „Umsiedlung“meinte, die von ihnen eroberten Gebiete im Osten zu „re-germanisieren“. Das bedeutete nichts anderes als die gewaltsame Vertreibung der Menschen, die dort lebten. Grundlage dafür war die Rassentheorie, die den „Volksbegriff“im Dritten Reich definiert. Nicht weit davon entfernt klingt Höcke, der in seinem Buch („Nie zweimal in denselben Fluss“) vom vermeintlich „bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“schreibt. Sein Ziel: die „Wiederherstellung von Identitäten“und die „Sicherstellung des Ansiedlungsund Gestaltungsmonopols eines Volkes in seinem Land“.
Volkstod/volkskörper Immer wieder verwendet Höcke rhetorische Bilder aus dem Bereich der Biologie. „Der Verwesungsgeruch einer
absterbenden Demokratie wabert durchs Land“, sagte er etwa 2017; auch von der „Keimzelle des Volkes“spricht er in seinem Buch. Diese entstammt der Rassen- und Erbpflege, die die Gesetzgebung der Ns-diktatur bestimmte, und in der die Familie als „Keimzelle des Volkes“bezeichnet wird, die dazu berufen sei, „den Fortbestand des Volkes zu sichern“. Sie war die ideologische Grundlage zur Massenvernichtung von Millionen Menschen.
Superlative Höcke spricht regelmäßig in Superlativen, die von ihrer Wortwahl an Ns-propaganda erinnern. In einer Rede vor der Jungen Alternative 2017 etwa redet er vom „total besiegten Volk“und meint, „dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AFD“. Der „totale Krieg“, den Goebbels 1943 in seiner Rede im Sportpalast ausrief, ist Teil der Nazi-superlative wie die „Endlösung“– der perfiden Umschreibung der auf der Wannsee-konferenz beschlossenen Massentötung aller Juden in Europa.