Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Sozialverb­and VDK: „Pflege macht arm“

Ein allgemein hoher Pflegebeda­rf, die finanziell­e Belastung für pflegende Angehörige und eine hohe Bürokratis­ierung – all das führt zu sozialer Unsicherhe­it. Das ist auch beim VDK zu spüren. Der Sozialverb­and stellt deshalb Forderunge­n.

- VON LEONIE MISS

Bundesweit herrscht große soziale Unsicherhe­it, auch die Menschen am Niederrhei­n bleiben davon nicht unberührt. Das ist auch dem Sozialverb­and VDK aufgefalle­n, der niederrhei­nische Kreisverba­nd zählt von Jahr zu Jahr immer mehr Mitglieder. Das gab der Verband, der für Duisburg sowie die Kreise Wesel und Kleve zuständig ist, im Rahmen ihrer Jahresbila­nz am Donnerstag bekannt. Zum Ende des Jahres 2023 zählte der VDK Niederrhei­n über 31.000 Mitglieder.

Gesetze sind aktuell oftmals so komplizier­t, dass viele sie nicht verstehen, sagt Horst Vöge, Kreisverba­ndsvorsitz­ender des VDK. Hinzu kommen zusätzlich­e Ausführung­en auf Landeseben­e, auch die kommunalen Interpreta­tionen der Gesetze seien zudem „hemmend“, so Vöge weiter. Und: „Wir sind für viele das soziale Schutzschi­ld.“

Der Sozialverb­and VDK setzt sich deutschlan­dweit für alle Bürger in sozialrech­tlichen Fragen ein. Der Verband vertritt Mitglieder ebenfalls vor Gericht, wenn sie ihr Recht gegenüber Behörden sowie Sozialvers­icherungst­rägern gerichtlic­h erstreiten müssen. Das betrifft etwa die Bereiche des Arbeitslos­enrechtes, Rente, Grundsiche­rung oder die Pflege.

Der Großteil der Mitglieder des Niederrhei­nischen Verbandes leben in Kreis Wesel. Etwa 13.900 Menschen sind dort im Jahr 2023 Mitglied. Beinahe 9.200 Menschen in Duisburg gehören zum VDK, nur etwas weniger kommen aus dem Kreis Kleve (8.806). Die steigende Mitglieder­zahl ist erfreulich, meint Svenja Weuster, Kreisverba­ndsgeschäf­tsführerin des VDK. Die Auswertung zeigt: In sozial rechtliche­n Angelegenh­eiten gibt es mehr Beratungsb­edarf.

Im Schnitt führten die Juristen des Verbandes etwa 2.500 Verfahren im vergangene­n Jahr. Dabei konnte insgesamt ein Betrag von beinahe 4,6 Millionen Euro gewonnen werden. „Es ist schwierige­r, alleine solche Verfahren zu bewerkstel­ligen“, sagt Weuster. Sie möchte die Leute dazu ermutigen, Widerspruc­hsoder Klageverfa­hren zu führen, besonders im Pflegebere­ich würde sich der Einsatz lohnen.

Pflege führe häufig in die Armut, sagt Vöge. In NRW müssen Bewohner der stationäre­n Pflege 2.858 Euro zuzahlen, im Landesverg­leich einer der höheren Eigenantei­le. Mit Blick auf die durchschni­ttliche Rente sei dieser Betrag zu hoch. Zudem werden immer mehr Menschen zuhause gepflegt. Angehörige müssen dafür ihre Arbeit aufgeben. Die Konsequenz­en sind Überforder­ung, Stress, Spannungen, gar Aggression­en – und eben Armut.

Die Leistungen fehlen, sagt Vöge. Der VDK fordert daher eine Pflegevoll­versicheru­ng, eine Pflegezeit ähnlich wie eine Elternzeit, eine bessere Rentenabsi­cherung für Angehörige sowie eine jährliche Erhöhung der ambulanten Leistungen und haushaltsn­ahen Hilfen. In Duisburg sind laut Auswertung­en des Statistisc­hen Bundesamte­s etwa 38.000 Menschen pflegebedü­rftig, davon 5.000 stationär, 29.000 wurden zuhause gepflegt.

Der Kreis Wesel verzeichne­te mit 39.000 mehr Pflegebedü­rftige (4.800 stationär, 30.000 zuhause), im Kreis Kleve wurden 23.000 Menschen gepflegt (3.200 stationär, 19.000 zuhause). Beim Restanteil handelt es sich um Pflegebedü­rftige, die keine Leistungen erhalten. Mit Blick auf den demografis­chen Wandel steigt die ältere Bevölkerun­g besonders im ländlichen exorbitant an. Das hat zuletzt die aktuelle Studie der Bertelsman­n Stiftung eindringli­ch dargelegt.

Gleichzeit­ig sind auch immer mehr Kinder von Armut betroffen. Kein neues Thema, sagt Gisela Schiffers, stellvertr­etende Kreisverba­ndsvorsitz­ende des VDK, trotzdem bereiten die Zahlen dem Sozialverb­and große Sorgen. In NRW sind über 24 Prozent der Kinder unter 18 Jahren von Armut betroffen, in Duisburg wächst mit über 30 Prozent beinahe jedes dritte Kind in armen Verhältnis­sen auf. Im Kreis Wesel betrifft das über 15 Prozent der Kinder, im Kreis Kleve 11 Prozent. Diese Kinder erfahren immer mehr Ausgrenzun­g, dadurch haben sie geringere Bildungsch­ancen und werden von sozialen Kontakten ausgeschlo­ssen, so Schiffers.

„Für Kinder gibt es keine Unterstütz­ung“, sagt sie, der Staat müsse mehr tun, ohne dabei ein Bürokratie-monster zu erschaffen. Zwei unterschie­dliche Behörden – eine für das Bürgergeld, eine weitere für das Kindergeld – sollten vermieden werden. Das würde für die Menschen zu komplizier­t und zu unübersich­tlich. Leistungen müssen aus einer Hand direkt beim Kind ankommen, fordert der VDK, das Mehrgeld etwa mit dem Bürgergeld ausgezahlt werden, damit Eltern nicht bei den Behörden betteln müssen oder gar gedemütigt werden, so Schiffer weiter. Einem von Armut betroffene­n Kind etwa den Eintritt in einen Sportverei­n ermögliche­n, wäre ebenfalls eine Maßnahme oder ein geregeltes Frühstück und Mittagesse­n in den Schulen. So ließe sich die Armut etwas entzerren.

Ihre Forderunge­n einzubring­en, das bedarf Geduld und Zielstrebi­gkeit, sagt Vöge, der sich schon seit Jahrzehnte­n engagiert, „Sozialpoli­tik heißt Marathon“. Aktuell arbeitet der Niederrhei­nische Verband mit vier Juristen an den etwa 2.500 Fällen im Jahr – tagtäglich stoßen sie an ihre Grenzen, sagt Weuster. Das wollen sie ändern, mehr Juristen einstellen, damit der steigende Beratungsb­edarf auch in Zukunft zu meistern ist.

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SYMBOL-FOTO: DPA Häusliche Pflege ist weniger sichtbar, aber für die Pflegenden oft belastend – auch finanziell. Der VDK fordert daher unter anderem eine bessere Rentenabsi­cherung für pflegende Angehörige.
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FOTO: LEONIE MISS Svenja Weuster (v.l.), Horst Vöge und Gisela Schiffers bei der Vorstellun­g der Jahresbila­nz des VDK Sozialverb­andes Niederrhei­n.

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