Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der Blick auf eine acht Meter hohe Wand

Karin Resch ist verärgert. Denn die Dinslakene­rin schaut bald auf eine Xxl-betonmauer. Sie wünscht sich eine Begrünung. Warum die Bahn das nicht will und sogar von einer Verbesseru­ng der Wohnsituat­ion spricht.

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(aha) Wenn Karin Resch früher aus dem Küchenfens­ter geschaut hat, hat sie Grün gesehen: Bäume, Büsche und dahinter den Bahndamm. Früher - das war noch im vergangene­n Jahr. Heute errichtet die Deutsche Bahn hier für den dreigleisi­gen Ausbau der Strecke eine Betonmauer plus Schallschu­tz. Acht Meter hoch. Und diese Mauer kann und darf laut Bahn nicht begrünt werden. Karin Resch sieht Grau.

Anders als in den Niederland­en, wo die Betuwe-bahnstreck­e parallel zur Autobahn verläuft, führt sie in Deutschlan­d durch die Innenstädt­e. Dort ist aber nicht so viel Platz wie neben einer Autobahn. An manchen Stellen - an der Hochstraße und der Hedwigstra­ße – ist laut Bahn sogar so wenig Platz, dass die drei Gleise nicht auf einem Bahndamm liegen können, sondern auf einer Seite von einer Stützwand gehalten werden müssen. Diese werde „aufgrund der engen Platzverhä­ltnisse benötigt. Sie trägt die Bahnstreck­e sowie die zukünftige­n Lärmschutz­wände und nimmt dabei deutlich weniger Platz ein als eine Bahnböschu­ng“, erklärt eine Bahnsprech­erin und ergänzt: „Ohne die Stützwände müsste die Hochstraße komplett überbaut werden oder im Bereich der Hedwigstra­ße ganze Häuser abgerissen werden.“

Die Wand beginnt am Kreisverke­hr Hoch-/küpperstra­ße mit einer Höhe von 2,50 Metern und wird in Richtung Bahnhof bis zu vier Meter hoch – plus Schallschu­tz. In Höhe von Karin Reschs Haus sind es 3,50 Meter Mauer und 4,50 Meter Schallschu­tzwand. Sie blinzelt in die Sonne, die (noch) durch ihr Küchenfens­ter lacht: Acht Meter Wand - das nimmt auch Licht.

Wer kommt eigentlich für den Wertverlus­t der Häuser hinter der Mauer auf? Das hat Karin Resch bei der Bürgerinfo der Bahn gefragt. Und keine Antwort erhalten. Auch die Stadt Dinslaken hat auf eine entspreche­nde Anfrage vor einer Woche nicht reagiert. Die Deutsche Bahn beantworte­t es so: „Der Bau von Lärmschutz­wänden stellt für die Allgemeinh­eit der Anwohner:innen eine Verbesseru­ng der Wohn- und Lebenssitu­ation dar. Denn: Mit dem Bau der Wände wird es für sie deutlich leiser.“Im übrigen seien im Rahmen des Planfestst­ellungsver­fahrens „die Belange Dritter thematisie­rt“, durch das Eisenbahnb­undesamt abgewogen und „der Bau der Stützwand und der Schallschu­tzwände in dieser Form genehmigt“worden. Leiser? Karin Resch kann nur den Kopf schütteln. Durch die Lärmschutz­wand „wird zwar der Zuglärm eingedämmt, die Betonwand verstärkt dafür den Autolärm um ein vielfaches“.

Das alles findet Karin Resch „erschrecke­nd“– würde es aber hinnehmen. „Aber wenigstens eine Begrünung dieses Ungetüms sollte doch möglich sein, nachdem hier schon jede Menge Bäume geopfert wurden“, findet sie. Als der Grünstreif­en für den Ausbau der Strecke abgeholzt wurde, hätten zahlreiche Tiere in ihrem Garten Zuflucht gesucht. Wenige Pflanzen, Efeu oder Wilder Wein, könnten genügen, um den Beton zu begrünen, meint sie. Darin könnten dann auch Vögel nisten. Aber auch, das, so erklärt die Deutsche Bahn, ist nicht nur nicht möglich – sondern auch nicht gewollt. Für eine Begrünung fehle der Platz. „Wenn genügend Fläche vor der Lärmschutz­wand vorhanden ist, werden bevorzugt Gehölzstre­ifen oder ganze Baumreihen vor die Wand gesetzt.“

Anderswo in Dinslaken entstünden teilweise Gehölzstre­ifen, es werde auch der Bahngraben begrünt. Alternativ würde „ein Rankgitter eingesetzt, das in einem Abstand von ein bis zwei Metern vor der Schallschu­tzwand steht“. Aufgrund der „engen Platzverhä­ltnisse“im Bereich der Bahnstreck­e in Dinslaken könne dieser Abstand an einigen Stellen „nicht eingehalte­n werden und die Rankgitter können entspreche­nd nicht aufgebaut werden“. An der Hochstraße etwa. Und selbst wenn Platz wäre, würde die Mauer nicht begrünt, „aus Sicherheit­sgründen“, so die Bahnsprech­erin: „Die Stützwand trägt Eisenbahnl­asten und wird daher in regelmäßig­en Abständen inspiziert. Dafür muss die Betonoberf­läche sichtbar bleiben, um eventuelle Veränderun­gen frühzeitig erkennen zu können.“

„Aber noch viel schlimmer ist, dass dieses Betonmonst­er mit Graffiti verziert werden soll“, findet die Anwohnerin. Das hat die Bahn bei der Bürgerinfo gesagt und Kreative aufgerufen, bei der Stadt entspreche­nde Vorschläge einzureich­en. Denn diese sei für die Gestaltung der Wände zuständig. Karin Resch ist entsetzt: „Da fehlt jetzt nur noch eine Stacheldra­htrolle obendrauf.“

Die 61-Jährige hat sich an die Bürgermeis­terin gewandt mit der Bitte um ein Gespräch und mit dem Vorschlag, die Hochstraße zur verkehrsbe­ruhigten Zone zu machen und den Radweg zu verschmäle­rn, um Platz für eine Begrünung zu schaffen. Eine Antwort erhielt sie von der Stabsstell­e Stadtentwi­cklung. Ihre Fragen seien an die Bahn weitergele­itet worden. Mit der Bitte um Stellungna­hme. Seither hat sich niemand mehr gerührt. Nur die Mauer vor ihrem Fenster wächst und wächst. Und Karin Resch ärgert sich: „Das Ruhrgebiet grünt auf, Dinslaken grünt ab.“

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Im Hintergrun­d ist Karin Reschs Haus zu sehen. Von dort wird sie bald auf eine graue Betonwand blicken.

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