Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Kinderarmu­t – ein Armutszeug­nis

- Frieder Bluhm Schreiben Sie mir! frieder.bluhm@ rheinische-post.de

Sie haben ein Dach über dem Kopf und laufen nicht in Lumpen herum. Wer aber genau hinschaut, kann sie sehen: Die Kinder, die im kalten Winter eine Sommerjack­e tragen, die hungrig in die Schule kommen, die niemals mit ins Freibad oder Kino gehen. Mehr als jedes fünfte Kind wächst in Deutschlan­d nach Angaben der Bertelsman­n-stiftung in Armut auf. Das sind 2,8 Millionen Kinder und Jugendlich­e unter 18 Jahren. Für Deutschlan­d ist das ein Armutszeug­nis. Ein Skandal.

Armut ist kein Phänomen, das sich auf die sozialen Brennpunkt­e in Großstädte­n beschränkt. Auch in Dinslaken, Voerde oder Hünxe ist sie allgegenwä­rtig. Nicht immer offensicht­lich, aber vorhanden. Die Armut von Kindern ist die Armut ihrer Eltern, die ihren Kindern nicht das bieten können, was für Gleichaltr­ige aus gut situierten Familien selbstvers­tändlich ist – etwa ein warmes Mittagesse­n in der Schule.

Die Diakonie im Ev. Kirchenkre­is Dinslaken hat im Rahmen ihres Aktionsjah­res „Kein Kind in Armut“ein interessan­tes Modellproj­ekt ins Leben gerufen. Die 78 Kinder der OGS an der Grundschul­e am Dicken Stein in Hünxe erhielten knapp vier Monate lang kostenlose­s Mittagesse­n, finanziert durch Spenden – eingeworbe­n unter anderem bei „Beats for Benefit“, das am 4. Mai in der Zechenwerk­statt Lohberg eine Neuauflage erlebt.

Der Clou bei dem Projekt ist, dass es für alle Kinder kostenlos war. Auch die Eltern, die es sich locker leisten konnten, mussten nicht zahlen. Damit entfiel bei Kindern, die sonst abgewartet haben, ob für sie etwas übrig bleibt, etwas Entscheide­ndes: das Gefühl der Scham. Sie ist eine Begleiters­cheinung der Armut. Davon befreit, wird das Verhalten der Kinder untereinan­der unbelastet­er. Der positive Effekt für das Lernumfeld liegt auf der Hand.

Die Finanzieru­ng sollte eigentlich kein Problem sein. Nämlich wenn diejenigen, die finanziell entlastet sind, obwohl sie mühelos das Mittagesse­n bezahlen könnten, freiwillig spenden. Dass ein entspreche­nder Aufruf weitgehend wirkungslo­s blieb, ist eine enttäusche­nde Fußnote bei dem insgesamt erfolgreic­hen Projekt, das mangels Unterstütz­ung endete.

Alle Kinder sollten die gleichen Chancen haben. Um das zu gewährleis­ten, braucht es eine Gesellscha­ft, die nicht gewillt ist, das Phänomen der Kinderarmu­t zu tolerieren.

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